Humane ReproduktionsmedizinKinder von ausländischen Leihmüttern sind so gefragt wie nie
Weil es hierzulande gegen das Gesetz verstösst, erfüllen sich immer mehr Schweizer Paare ihren Kinderwunsch einfach im Ausland. Doch für Eltern und Kinder birgt dies Risiken.
Das Verbot der Leihmutterschaft wird häufiger als vermutet via Ausland umgangen. Dies zeigt eine Umfrage der kantonalen Zivilstandsbehörden, die erstmals offizielle Zahlen für die ganze Schweiz vorlegt. Demnach wurden allein im letzten Jahr 48 Kinder von Leihmüttern registriert, doppelt so viele wie 2016. Insgesamt zählten die Kantone in den letzten vier Jahren 144 Fälle, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet.
Die meisten Kinder wurden in den USA geboren, es folgen die Ukraine und Kanada. Diese Zahlen legen höher als die bisherigen Schätzungen des Bundes, sie bildeten aber nur die Spitze des Eisbergs. Fachleute vermuten, dass die Praxis im Geheimen viel weiter verbreitet sei und bereits bis zu 1000 so geborene Kinder in der Schweiz lebten.
Kantone sind weit entfernt von einer Lösung
Die Politik will sich nun vermehrt diesem Thema widmen, welches komplexe rechtliche Fragen mit sich bringt. Die Leihmutter gelte in der Schweiz beispielsweise weiterhin als die leibliche Mutter, auch wenn diese in ihrem Herkunftsland bereits eine Verzichtserklärung unterzeichnet habe. Bis die ausländischen Staaten diese Dokumente prüfen, könnten jedoch Wochen oder Monate vergehen. Erst wenn das Schweizer Paar das Kind offiziell adoptiert hat, gelte es auch rechtlich als Elternpaar. Unklar sei auch, was im Todesfall des Partners passiere. Fachleute warnten deshalb vor Langzeitfolgen, wie sie heute aus der Adoptionspolitik aus Indien und Sri Lanka bekannt sind.
Die Meinungen bei Experten und Politiker gingen indes weit auseinander. Die «NZZ am Sonntag » zitiert etwa einen Text der Ethikkommission aus dem Jahr 2013: «Wenn eine erwachsene, urteilsfähige und angemessen informierte Person ihre Einwilligung zu einer Leihmutterschaft erteilt, ist es schwierig, geltend zu machen, diese Person werde instrumentalisiert.»
Auch Philosophin Barbara Bleisch und Rechtswissenschafterin Andrea Büchler argumentieren in ihrem neuen Buch «Kinder wollen», ein Verbot der Leihmutterschaft lasse sich nicht in jedem Fall rechtfertigen: «Bedingung ist aber, dass die Frauen sich nicht aus finanzieller Not auf ein solches Arrangement einlassen, dass sie über alle Eingriffe an ihrem Körper entscheiden können, und dass die Würde des Kindes gewahrt bleibt.» Der Leihmutter soll darum ein adäquater Platz in der Biografie des Kindes zugestanden werden. *
Andere sehen die Leihmutterschaft grundsätzlich als ein Akt der Kommerzialisierung, der die körperliche Integrität der Frauen verletze. «Die Reproduktionsfreiheit beinhaltet nicht das Recht von Menschen mit Kinderwunsch, auf die Körper Dritter zuzugreifen», zitiert die Zeitung ein Schreiben mehrerer Wissenschafterinnen. Der Bundesrat hoffe seinersetis darauf, dass sich die internationale Gemeinschaft auf eine gemeinsame Linie verständige. Noch sei dies allerdings nicht absehbar.
Leihmutterschaft-«VIP-Package» kostet fast 65’000 Euro
Die ukrainische Firma Biotextcom bietet gemäss ihrem Onlineauftritt die volle Palette der Reproduktionsmedizin: von der künstlichen Befruchtung bis zum Leihmutterschafts-«VIP-Package», inklusive Pränataldiagnostik, Hotelaufenthalt, Chauffeur und Umhängebauch für Frauen, die zu Hause eine eigene Schwangerschaft vortäuschen wollten. Dafür veranschlage das Unternehmen einen Preis von 64’900 Euro und garantiere «100-prozentigen Erfolg». «Die billigste Leihmutterschaft in Europa im ärmsten Land Europas», steht auf der Website von Biotexcom. Konkurrenten bezeichneten das Unternehmen deshalb halb verächtlich, halb bewundernd als «Burger King» der Kinderwunschindustrie.
* In einer früheren Version des Textes hatte der wirtschaftliche Aspekt in der Argumentation der Philosophin Barbara Bleisch und der Rechtswissenschafterin Andrea Büchler gefehlt.
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