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Mutterschaftsurlaub im Parlament
Keine politische Zwangspause mehr für Mütter

Kathrin Bertschy musste Mutterschaftsgelder zurückzahlen, weil sie an einer Session teilgenommen hatte. Sie hat den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gezogen.
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Ihre Teilnahme an der Frühjahrssession 2019 ist Kathrin Bertschy teuer zu stehen gekommen. Denn die Berner Grünliberale war zu diesem Zeitpunkt noch im Mutterschaftsurlaub. Und dieser lässt sich laut dem geltenden Gesetz nicht mit einer bezahlten parlamentarischen Tätigkeit vereinbaren. Die Berner Ausgleichskasse hat daher Mutterschaftsgeld zurückgefordert – laut Bertschy einen «tiefen vierstelligen Betrag». Die Grünliberale fand dies ungerecht und fühlte sich in ihren politischen Rechten beschnitten. Sie zog den Fall bis vor Bundesgericht – und verlor.

Das höchste Schweizer Gericht befand, die Taggelder seien zu Recht zurückgefordert worden. Dabei geht es nicht nur um die Tage, an welchen Bertschy parlamentarisch aktiv war. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld erlischt grundsätzlich, wenn die Frau die Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt. Wer also an Ratssitzungen teilnimmt, verliert auch den Erwerbsersatz für die privatwirtschaftliche Tätigkeit. 

Verzicht auf die politische Stimme oder das Geld

Das stürzt Politikerinnen ins Dilemma. Denn eine Nationalrätin darf sich während einer Session nicht vertreten lassen. Sie kann also entweder auf ihre Stimme verzichten oder auf das Mutterschaftsgeld. Bleibt sie zu Hause, verkleinert sich die Stimmkraft der ohnehin schon untervertretenen Frauen. «Das ist demokratisch unhaltbar», findet Bertschy. «Es ist wichtig, dass man diese Praxis jetzt ändert.» Das Parlament müsse den Politikerinnen ermöglichen, den Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler wahrzunehmen. Über einen entsprechenden Vorschlag diskutiert der Ständerat diesen Donnerstag.

Das Problem betrifft aber bei weitem nicht nur National- und Ständerätinnen. Noch einschneidender sind die Folgen für Kantons- und Gemeinderätinnen. Denn bei ihnen ist das Einkommen aus beruflicher Tätigkeit oft deutlich höher als die parlamentarische Entschädigung. Sie riskieren also mehr, wenn sie an Ratssitzungen teilnehmen.

Dies ist denn auch immer wieder Thema in kantonalen und kommunalen Parlamenten. Einige übernehmen den finanziellen Schaden. Andere diskutieren über Stellvertretungslösungen. Bereits heute können sich Kantonsrätinnen in Graubünden, Wallis, Genf, Neuenburg und Jura vertreten lassen. Vor allem aber wartet man landesweit darauf, dass der Bund das Problem endlich löst. Die Kantone Basel-Stadt, Baselland, Luzern und Zug haben entsprechende Standesinitiativen eingereicht.

Nur die SVP ist dagegen

Inzwischen liegt der Entwurf für eine Gesetzesänderung vor. Neu soll unmissverständlich festgehalten werden: Parlamentarierinnen verlieren ihren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht, wenn sie an Rats- oder Kommissionssitzungen teilnehmen, für die keine Stellvertretungsmöglichkeit vorgesehen ist. Das gilt für die Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene.

Die vorberatende Kommission des Ständerats hat die Anpassung mit grossem Mehr gutgeheissen. Und der Bundesrat hat sich ebenfalls für eine solche Änderung des Erwerbsersatzgesetzes ausgesprochen. Bei den Parteien ist einzig die SVP dagegen. Die Chancen stehen also gut, dass am Donnerstag der Ständerat und später auch der Nationalrat zustimmen.

Nationalrätin klagt in Strassburg

«Es freut mich, dass das Parlament die stossende Praxis nun korrigiert», sagt Bertschy. Noch mehr hätte sie gefreut, wenn das Bundesgericht anders entschieden hätte. Sie hat das Urteil an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weitergezogen. Daran will sie auch weiterhin festhalten. Denn mit der geplanten Gesetzesänderung seien noch nicht alle Probleme gelöst. Etwa jenes einer Musikerin, die monatelang für ein Konzert probe, dann ein Kind kriege und nach der Geburt nicht zwei Stunden auftreten dürfe, wenn sie das Mutterschaftsgeld nicht verlieren wolle.

Besser findet Bertschy die Regelung bei den Männern. Sie dürfen ihren zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub auch unterbrechen und in Tranchen aufteilen. Für die Parlamentarier braucht es daher auch keine entsprechende Gesetzesänderung.