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Hongkong und die Kunstfreiheit
«Keine Nackten, keine lebenden Politiker, keine Brutalitäten»

Uli Sigg, Unternehmer und  Kunstsammler, neben einem Porträt des chinesischen Künstlers Zeng Fanzhi.
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Kürzlich hat der Komponist Samson Young den «Sigg Prize» mit einem Sinfoniesatz von Tschaikowski gewonnen, der tonlos gespielt wurde. Sind Sie in die Musikförderung eingestiegen?

Nein, Samson Youngs Tschaikowski-Bearbeitung ist eine auf Video gebannte Performance. Das Stück wird von dem Kölner Flora Sinfonie Orchester und der Leitung von Thomas Jung stumm aufgeführt, sodass man keinen Ton Musik hört, sondern nur all die Nebengeräusche beim Spielen. Das ist auch ein klarer Kommentar zur politischen Situation in Hongkong.

Hongkong als Klangkörper, der zum Schweigen verurteilt wird?

Ja.

Es wird bei der Performance ja auch die unheimliche Energie spürbar, die dieses Orchester entwickelt. Auch das ist symbolisch gemeint?

Kann man durchaus so sehen. Bei einem normalen Konzert verschwinden diese Aspekte hinter der Musik. Bei dieser Interpretation rücken sie aber ins Zentrum der Wahrnehmung. Das ist grossartig.

Der «Sigg Prize» ist eine Premiere. Kann man ihn als Nachfolger von dem «Chinese Contemporary Art Award» verstehen, den Sie vor zwanzig Jahren begründet haben?

Ja, das neue Museum M+, das von Herzog & de Meuron entworfen wurde, hat meinen Art Award beerbt und ihn umbenannt zu «Sigg Prize». Ich habe mit dem neuen Preis finanziell nichts mehr zu tun, darf ihm aber meinen Namen leihen. Sie sehen mich als Brand. Ich bin auch in der Jury. Der neue Kunstpreis ist ähnlich ambitiös aufgestellt wie der Turner-Preis in Grossbritannien. Jedes zweite Jahr sollen sechs Kandidatinnen und Kandidaten in die engere Auswahl kommen. Dann wird in einer Ausstellung eine Siegerin oder ein Sieger ausgewählt.

Sie engagieren sich seit über dreissig Jahren für chinesische Kunst. Fühlen Sie sich angesichts eines Regimes, das die Meinungsfreiheit immer stärker beschränkt, eigentlich als Sisyphus?

Nein. In den 1990er-Jahren gab es in China sehr viele gute Künstler, die man ausserhalb Chinas nicht gekannt hat. Durch meinen Preis konnte ich in der internationalen Kunstszene das Interesse für China wecken. Als dann Harald Szeemann 1999 an der Biennale von Venedig plötzlich zwanzig chinesische Künstler im Arsenale zeigte, wurde chinesische Avantgarde-Kunst für die internationale Kunstszene bekannt.

Wie hat die chinesische Regierung darauf reagiert?

Damals wurde auch der chinesischen Regierung bewusst, dass ein riesiges Interesse für zeitgenössische chinesische Kunst im Ausland bestand, die man selbst in den 1980er- und den frühen 1990er-Jahren noch bekämpft hatte. Plötzlich begann man sich auf höchster Ebene um die Gegenwartskunst zu kümmern. Es war im Jahr 2001, als Präsident Jiang Zemin anlässlich eines geplanten Staatsbesuchs in Berlin den Deutschen eine Ausstellung mit den berühmten Tonkriegern angeboten hatte. Die Deutschen bestanden aber auf einer Ausstellung mit Gegenwartskunst.

Wurde damit Kunstförderung zur Staatsaufgabe?

Nolens volens musste sich der Staat der Gegenwartskunst annehmen. Das offizielle China ist immer sehr besorgt, wie es im Ausland wahrgenommen wird. Aber Gegenwartskunst ist nicht immer dazu angetan, genau das Profil von China zu zeigen, das sich die Führung wünscht.

«Aber Gegenwartskunst ist nicht immer dazu angetan, genau das Profil von China zu zeigen, das sich die Führung wünscht.»

Uli Sigg

Gibt es eigentlich staatliche Museen für zeitgenössische Kunst?

Es gibt viele staatliche Museen in China, aber nur eines, das sich ausschliesslich mit Gegenwartskunst beschäftigt. Es steht in Shanghai und heisst Power Station of Art. Eröffnet wurde es 2012.

Gibt es auch private Museen?

Ja. Es gibt Hunderte von privaten Museen. Die privaten Kunstmuseen sind in der Regel Sammlermuseen. Viele dieser Museen gehören Immobilienmagnaten. Wenn ein solcher Unternehmer beim Staat, dem alleinigen Grundstücksbesitzer in China, ein Landstück least, um eine Überbauung zu machen, dann bekommt er einen tieferen Zins, wenn er einen Teil der Kunst oder Kultur widmet. Diese Privatmuseen sind oft Antiquitätensammlungen, manche zeigen auch zeitgenössische Kunst, je nach Geschmack des Besitzers.

Nachdem China lange einen Kurs der Öffnung fuhr, werden unter dem jetzigen Herrscher Xi Jinping die Freiheiten stark beschnitten. Wie wirkt sich das auf Ihre Kunstschenkung aus?

Ich muss jetzt vorsichtig formulieren, da ich wieder nach China einreisen will. (lacht) Mit Präsident Xi ist jede Art von öffentlichem Diskurs anders geworden. Alles wird sehr viel strenger überwacht. Die Medien sind sehr strikt reguliert. Das gilt auch für die sozialen Medien. Immer mehr gilt das auch für die Kunst.

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'The Second Situation' (1987) von Geng Jianyi.
«Untitled» (1995) von Fang Lijun.
«To Add One Meter to an Anonymous Mountain» (1995) von Zhang Huan.

Gibt es Zensur?

Die gab es immer. Früher wurde namentlich die Präsentation von Kunst strengen Regeln unterworfen. In der jüngeren Vergangenheit aber auch die Produktion. Früher hat das niemanden gekümmert. Kunst, die zu provokativ war, durfte einfach nicht im öffentlichen Raum gezeigt werden. Heute soll sie aber nicht einmal mehr produziert werden.

Wie gehen die Behörden vor?

Sie sind in die Künstlerateliers gegangen und haben kontrolliert, was dort gemacht wird. Sie haben dann Vorschriften erlassen, was man machen darf und was nicht.

Was ist denn verboten?

Die Künstler dürfen keine Nackten abbilden, keine Brutalitäten, keine lebenden Politiker, keine negativ besetzte Darstellung der Nationalflagge und so weiter.

Wie reagieren die Künstler?

Die einen setzen sich über die Vorschriften hinweg oder versuchen, sie zu unterlaufen. Die andern passen sich an. Manche sind auch deprimiert, weil es sie einschränkt beim Arbeiten.

«Die Medien sind sehr strikt reguliert. Das gilt auch für die sozialen Medien. Immer mehr gilt das auch für die Kunst.»

Uli Sigg

Wird das M+ Museum jene Meinungsfreiheit leben dürfen, die es braucht, um die Kunst ausstellen zu können, die Sie geschenkt haben?

Natürlich betrifft mich die Hongkong-Politik der Zentralregierung sehr direkt. Deshalb verfolge ich auch mit grösstem Interesse, was da genau vor sich geht. Die Schenkung nach Hongkong habe ich ja damals gemacht, weil mir der Chief Executive der Regierung Hongkongs und sein Vize den Fortbestand der Meinungsfreiheit garantiert haben. Die haben mich ja für Hongkong mit dem Argument gewonnen, dass es in Festlandchina keine Meinungsfreiheit gäbe, während Hongkong eben diese garantiere.

Wann war das?

Die Verhandlungen fanden im Jahr 2011 statt. Die Schenkung machte ich ein Jahr später. Das war für mich schon sehr entscheidend.

Haben Sie eigentlich eine Rückzugsklausel?

Nein, nicht mehr. Die gab es bis im letzten Jahr. Sie war daran gebunden, dass das Museum M+ bis Ende 2019 eröffnet werden sollte. Inzwischen ist es beinah fertiggestellt und wird im nächsten Jahr eröffnet. Wir haben darum die Klausel kassiert.

Haben Sie eine Garantie, dass Ihren Werken im Museum M+ aufgrund der Zensur nichts geschehen wird?

Ich sehe keine physische Bedrohung für die Werke. Und ich denke langfristig. Irgendwann wird auch das offizielle China sich einer uneingeschränkten Gegenwartskunst öffnen und ihr gar Gewicht beimessen.

«Es gibt den Slogan: ‹If we burn, you burn with us.› Man muss das ernst nehmen.»

Uli Sigg

Steht denn Carry Lam, die jetzige Gouverneurin in Hongkong, auch zu den 2011 gemachten Zusicherungen?

Ich kenne sie relativ gut. Auch sie garantierte mir vor Jahren die volle Meinungsfreiheit für das Museum. Gerade in diesen Tagen habe ich weitere behördliche Zusicherungen erhalten, dass die Meinungsfreiheit im Museum garantiert werde.

Kann sie das, wenn die Zentralregierung auch in Hongkong die künstlerische Freiheit unterbindet?

Ich sehe das durchaus auch als ein mögliches Problem. Ich bin aber überzeugt, dass es immer eine Differenz zwischen Festlandchina und Hongkong geben wird. Darum ist es immer noch richtig, dass ich meine Sammlung nach Hongkong gegeben habe. Ich wollte, dass meine Sammlung in China ist, weil dieses Land eine historisch aufgebaute Übersicht über die Gegenwartskunst zwingend braucht. Und wenn diese Sammlung im freiheitlichsten Teil des Riesenlands ist, dann ist das in Ordnung.

Im Moment hat man das Gefühl, dass es zu keiner Einigung zwischen China und den Protestierenden in Hongkong kommt. Sehen Sie das auch so?

Das stimmt. Festlandchina wird den Druck verstärken. Die Protestierenden werden dagegenhalten. Sie gehen davon aus, dass Hongkongs Wirtschaft und seine Banken unverzichtbar für China sind. Deshalb müsse auch ein Präsident Xi irgendwann einlenken. Es steht im Protestcamp auch die Drohung im Raum, dass alles in die Luft gehe, wenn Xi nicht nachgebe. Es gibt den Slogan: «If we burn, you burn with us.» Man muss das ernst nehmen.

«Viele Künstler, viele Junge sehen keine Zukunft mehr in Hongkong.»

Uli Sigg

Die Macht ist aber klar in Peking?

Für Peking hat Hongkong jedenfalls an Bedeutung verloren, rein wirtschaftlich. Als die Öffnung Chinas begann, produzierte Hongkong etwa 20 Prozent des chinesischen Bruttosozialprodukts. Jetzt sind es etwa 3 Prozent. Die Gewichte haben sich massiv zuungunsten Hongkongs verschoben.

Wie hat sich die Lage für die Künstler in Hongkong im letzten Jahr verschlechtert?

Die meisten gehören zu den Protestierenden oder sympathisieren mit diesen. Viele Künstler, viele Junge sehen keine Zukunft mehr in Hongkong.

Warum?

Die Jungen können mit dem Durchschnittssalär keine Wohnung mehr kaufen und auch keine Familie mehr gründen. Aus ihrer Sicht haben nebst einigen ultrareichen einheimischen Familien die reichen Festlandchinesen, die das Real Estate beherrschen, Hongkong übernommen.

Was halten Sie von Boris Johnsons Angebot, den Hongkong-Chinesen Aufenthaltsrecht zu geben, die auswandern wollen?

Ich halte das für eine valable Alternative für viele Hongkonger. Wenn der Druck aus Peking noch grösser wird, kann ich mir gut vorstellen, dass eine Fluchtbewegung gerade der gut Gebildeten einsetzt.