Tausende Kinder gestorbenKeine Barmherzigkeit für die «Kinder der Sünde»
Irland sieht sich mit einem dunklen Kapitel seiner jüngsten Geschichte konfrontiert. Ein neuer Bericht wirft Licht auf die «Mutter-und-Baby-Heime» – und zwingt die Regierung zu einer Entschuldigung für ein bitteres Unrecht.
Erneut sieht sich die irische Bevölkerung mit einem dunklen Kapitel ihrer jüngsten Geschichte konfrontiert – der trostlosen Geschichte der Behandlung unverheirateter Mütter, die zur Geburt ihrer «illegitimen» Kinder in staatliche und kirchliche Heime abgeschoben wurden. Dort fanden Tausende der Kleinen ein grausames Ende, viele der Baby- und Kinderleichen wurden heimlich vergraben.
Nach der Veröffentlichung eines schockierenden neuen Berichts zu Irlands «Mutter-und-Baby-Heimen» gab gestern Mittwoch der irische Regierungschef Micheál Martin vorm Parlament im Namen des Staates eine formelle Entschuldigung ab zu dem Unrecht. Betroffen waren viele Mädchen, Frauen und Kinder in der Zeit zwischen der Staatsgründung 1922 bis zum Jahr 1998, als das letzte dieser Heime seine Tore schloss.
Der Bericht über die «dunkle, schwer erträgliche und schändliche» Geschichte habe eine Kultur ausserordentlicher Unterdrückung zutage gefördert, erklärte Martin, an der «unsere ganze Gesellschaft beteiligt war». Keine auswärtige Macht habe Irland zu diesen Handlungen gezwungen: «Das haben wir uns selbst zugefügt.»
Darbend, krank, verwahrlost
Der fast 3000-seitige Untersuchungsbericht wirft ein Licht auf die massenhafte Abschiebung unverheirateter Schwangerer, deren Familien mit der «Schande» unehelicher Kinder nichts zu tun haben wollten. Diese Heime wurden, mit Unterstützung des Staates und der römisch-katholischen Kirche in Irland, zum Grossteil von kirchlichen Orden geführt. Mindestens 56’000, möglicherweise aber auch an die 80’000 Frauen sollen in diesen Heimen ihre Kinder zur Welt gebracht haben. Von den Kindern, die in den Heimen verblieben, starben während der ersten Lebensjahre Tausende, oft darbend, krank, verwahrlost und ohne Zuwendung.
In einem der grössten Heime, in Bessborough in der Grafschaft Cork, starben Mitte der Vierzigerjahre 75 Prozent aller dort geborenen Säuglinge und Kinder. Aus einem anderen Heim, Pelletstown in Dublin, wurde bekannt, dass dort sechs von zehn Kindern allein waren, als sie starben. Pelletstown wurde vom Orden der Daughters of Charity geführt. So recht bekannt wurde das Ausmass dieses Skandals erst, als die Historikerin Catherine Corless 2014 herausfand, dass die Geburts- und Todesregister der Stadt Galway als «Ort des Ablebens» von fast 800 Kindern ein Kinderheim der Bon Secours Sisters in der nahen Ortschaft Tuam angaben, dass aber nirgendwo Gräber dieser Kinder aufzufinden waren.
Drei Jahre später entdeckte man auf dem Gelände des Heims, in einem ausgedienten unterirdischen Wassertank, ebenso viele Kindergerippe. Wie sich herausstellte, hatten die Ordensschwestern die umgekommenen Kinder dort in aller Stille verschwinden lassen, statt ihnen in umliegenden Friedhöfen ein Begräbnis zu geben.
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