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Meinung

Analyse zur Homophobie im Fussball
Kein Wunder, traut sich so kein Schwuler an die Öffentlichkeit

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Es war nicht der Abend des FC Luzern. 1:4 ging er am Samstag unter in St. Gallen, er war komplett chancenlos, auf der Bank und vor laufenden Kameras stritten sich Spieler und Staff-Mitglieder. Der Club gab ein lausiges Bild ab, zu dem dann auch noch Marius Müller beitrug.

Der Goalie war nach diesen 90 Minuten angesäuert. Er erwarte, dass sich seine Mitspieler auch sechs Meter vor dem Tor «reinwerfen wie die italienischen Nationalverteidiger», wetterte er im Interview mit dem TV-Sender Blue. Und: «Immer dieses schwule Weggedrehe, das geht mir tierisch auf den Sack.»

Natürlich macht das Video seiner Aussage am Sonntag die Runde in den sozialen Medien. «Homophob», sagen die einen. «Darf man denn nichts mehr sagen?», die anderen. Auch in Deutschland, Müller ist ehemaliger Spieler von Kaiserslautern und Leipzig, wird das Video geteilt, ein kleiner Shitstorm entsteht.

Am Montagmorgen reagiert der Club und verschickt eine Medienmitteilung, sie liest sich wie eine x-beliebige zum Thema. Die Aussage entspreche nicht den Werten des Clubs und seiner Fans. Man bekenne sich klar zu einer offenen und diversen Gesellschaft. Das werde innerhalb der Mannschaft auch noch thematisiert.

Er tut auf Instagram Busse

Der 29-Jährige selbst schreibt in einer Instagram-Story (die nach 24 Stunden wieder automatisch entfernt wird): «Ich möchte mich für meine Aussage am Samstag nach dem Spiel entschuldigen. Diese war dumm und komplett deplatziert. Sie spiegelt weder meine Einstellung noch meine Werte, welche ich tagtäglich lebe.» Die Schweizer Fussballliga äusserte sich erst nicht zum Vorfall, gibt aber am Nachmittag bekannt, ein Verfahren gegen den Goalie eröffnet zu haben.

Müller ist seit 2019 bei Luzern, er ist Führungsspieler und Vorbild und in aller Regel ein dankbarer Interviewpartner. Er sagt, was er denkt, und bedient sich nicht nur langweiliger Floskeln wie viele seiner Berufskollegen. Gäbe es Spieler wie ihn nicht, könnten es sich das Schweizer Fernsehen und Blue TV sparen, am Spielfeldrand zu stehen und Fragen zu Partien zu stellen

Trug massgeblich zum missratenen Auftritt des FC Luzern in St. Gallen bei: Marius Müller, nie um eine kernige Aussage verlegen.

Müller ist auch ein von Emotionen gesteuerter Mensch, das weiss man im Schweizer Fussball nicht erst seit Samstag. Das soll seine Wortwahl aber nicht rechtfertigen, seine Aussage ist ganz klar als beleidigend einzuordnen, weil er allen homosexuellen Menschen grundsätzlich körperliche Schwäche unterstellt.

Trotzdem wäre es falsch, den Deutschen nun als notorischen Schwulenhasser zu verteufeln. Vielmehr muss Müllers Wortwahl reflektiert werden. Warum kommt es auch 2022 noch vor, dass ein erwachsener, 29-jähriger Mann mangelnden Körpereinsatz oder die Tatsache, dass ein anderer sich nicht die Hände schmutzig machen will, mit Homosexualität gleichsetzt?

Müller ist Fussballprofi, seine Kernkompetenz ist, Fussball zu spielen. Doch auch Medienarbeit gehört dazu. Ihm muss bewusst sein, was er auslöst, wenn er im Fernsehen eine solche Aussage tätigt. Er hätte so viele andere Wörter verwenden können, und er hätte wieder einmal ein Interview mit grossem Unterhaltungswert geliefert. Nun sieht er sich ganz selbstverschuldet mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er das Wort schwul auch in seinem täglichen Sprachgebrauch mit etwas Negativem konnotiert, es gar als Beschimpfung verwendet.

Wer will sich nach solchen Aussagen schon outen?

Wichtig ist in dieser Debatte auch: Queeren Fussballern fehlt es an Vorbildern, obwohl dieser Sport weltweit der grösste ist. Thomas Hitzlsperger, einst deutscher Nationalspieler, erklärte 2014, nach seiner Karriere, auf Männer zu stehen. Er sagte in einem Interview, er wolle damit eine öffentliche Diskussion voranbringen. Dieses Jahr wagten der Australier Josh Cavallo und der erst 17-jährige Engländer Jake Daniels den Schritt.

Vorreiter in England: Blackpool-Spieler Jake Daniels (rechts am Ball) wagte als einer von nur wenigen Profifussballern das Coming-out.

Sonst sind Coming-outs von männlichen Spielern rar, je höher die sportliche Relevanz, desto eher bleiben sie komplett aus. Der Fall Müller zeigt, warum das niemanden überraschen kann. Wer würde sich als junger, schwuler Fussballer schon outen, wenn der eigene Goalie in der Kabine so spricht, wie er das am Samstag vor den Kameras tat?

Aber auch ganz grundsätzlich darf sich ein Mensch, der Woche für Woche vor TV-Kameras steht, folgende Frage stellen: Was macht meine Aussage mit einem Teenager auf dem Pausenhof, der vielleicht gerade entdeckt, dass er nicht heterosexuell ist?

Für Müller ist das Ganze darum auch eine verpasste Chance. Er, der gerne und viel redet, sich nicht davor scheut, seine Meinung zu sagen, hätte sich im Nachgang zum Spiel selbst dazu äussern können, und zwar nicht nur in wenigen Wörtern auf Instagram. Sagen, dass es ihm leidtue, er sich selbst hinterfragen werde. Dann hätte sein Interview sogar einen positiven Effekt haben können.

Stattdessen gibt es ein 60 Wörter langes Statement seines Arbeitgebers, in dem das Wort «homophob» zunächst auch noch falsch geschrieben wurde.

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