JobcoachKarriere, Kinder, Krise – und jetzt?
Jasmin Joecks forscht zur Rolle von Familienfreundlichkeit in Unternehmen. Sie rät dazu, unsere Homeoffice-Erfahrungen dazu zu nutzen, um die Rollen in der Familie zu hinterfragen.
Kinder, Karriere, Corona – wie geht das zusammen? Vor allem, wenn beide Eltern erwerbstätig und in ihrem Beruf gefordert sind? Die Coronakrise war, vor allem im Lockdown, auch eine Krise der Familien. Doch noch immer arbeiten viele Eltern zu Hause anstatt im Büro. Wo auch immer es beruflich möglich ist, wird die Arbeit weiterhin ins Homeoffice verlagert. Was bedeutet dieses monatelange Arbeiten von Zuhause aus für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Homeoffice: Entlastung und Belastung
Homeoffice kann sowohl positive als auch negative Folgen für die Vereinbarkeit haben. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es durch die Arbeit von Zuhause aus zu einer steigenden Arbeitsmotivation, einer höheren Arbeitszufriedenheit sowie einer besseren Work-Life-Balance kommen kann – auch in Familien. In einer Studie mit Angestellten eines Call Centers zeigten der Stanford-Ökonom Nicholas Bloom und Kollegen zudem, dass sich nicht nur die Arbeitsleistung erhöht, wenn die Arbeitnehmenden von daheim arbeiten, sondern auch die Fluktuationsrate sinkt, die Arbeitszufriedenheit steigt und weniger Erschöpfungssymptome auftreten. Die Schweizer Arbeits- und Organisationspsychologin Gudela Grote fand ähnliche Ergebnisse.
Andere Studien zeigen aber auch, dass das Arbeiten im Homeoffice grosse Herausforderungen mit sich bringt, weil die Grenzen zwischen Arbeit und Familienleben verschwimmen. Dadurch, dass es keine klaren Grenzen mehr gibt, verschärft sich der empfundene Konflikt zwischen Familie und Beruf. Eine klare Trennung der Eltern- und Erwerbstätigenrolle ist aufgrund der Krise sehr schwierig. Eher findet eine Integration der beiden Rollen statt: Arbeit und Familie sind nicht mehr separiert, sondern miteinander verknüpft.
Den Begriff Work-Life-Balance überdenken
Das mag sich auf den ersten Blick ungesund und aufreibend anhören. Doch ist es das tatsächlich? Ist die Arbeit nicht ein wesentlicher Teil des Lebens und sollte dementsprechend nicht davon getrennt, sondern nach Möglichkeit integriert werden? Arbeit ist doch – im besten Fall – Leben oder zumindest gehört sie dazu?
In einer der vielen Begriffsdefinitionen, die es zu Work-Life-Balance gibt, wird zwar insbesondere auf das Zusammenspiel des Arbeits- und Privatlebens hingewiesen, aber der Begriff an sich wirkt eher so, als ob es zwei getrennte Bereiche wären, zwischen denen eine Balance erst noch hergestellt werden müsste. Und das, obwohl wir einen wesentlichen Teil unserer Lebenszeit mit der Erwerbstätigkeit verbringen. Ist es da nicht schade anzunehmen, dass das Leben nur vor oder nach der Arbeit stattfindet?
Hin zur mehr Individualisierung
Klar, inwiefern jeder Einzelne die beiden Lebensbereiche überhaupt verknüpfen kann oder will, hängt von individuellen Vorlieben und vor allem von den Möglichkeiten ab. Zudem erfordert das Arbeiten im Homeoffice ein gutes Zeit- und Selbstmanagement. Die durch die Anwesenheit im Büro vorgegebene Zeitstrukturierung geht verloren. Auch für Erwerbstätige mit Kindern birgt dies aber nicht nur Risiken, sondern auch grosse Chancen – und das nicht erst seit Corona.
Der Trend ging schon seit Jahren weg von den starren Arbeitszeitmodellen, der sogenannten Normalarbeitszeit, hin zur Flexibilisierung der Arbeit, zeitlich und örtlich. Auch arbeitsbezogene Entscheidungs- und Legitimationsprozesse werden immer individueller, so dass die Zeitstrukturierung durch Anwesenheit im Büro an Bedeutung verliert.
Langfristige Corona-Veränderungen
Eine Umfrage der Online-Community YouGov zeigt, dass in Deutschland rund 27 Prozent der Befragten seit Corona weniger Stress haben als zuvor. (Lesen Sie zu diesem Thema auch diesen Beitrag). Auch wenn es alles andere als leicht ist, Erwerbstätigkeit mit Kinderbetreuung zu vereinbaren, kann eine Ausnahmesituation wie die Coronakrise unter bestimmten Bedingungen aber zu einer Stressreduktion und einer gewissen Entschleunigung führen – auch bei Eltern. Weil Gewohnheiten hinterfragt und die Balance zwischen Arbeit und Freizeit neu ausgehandelt wird.
Denn auch wenn die Terminkalender schon wieder voll sind, hat sich durch die Krise langfristig etwas geändert. Auswärtstermine und Geschäftsreisen fallen noch immer häufig aus. Familien haben leerere Terminkalender wieder schätzen gelernt. Mahlzeiten werden teilweise noch gemeinsam zu Hause eingenommen. Und noch nie hat man sich in den letzten Monaten so oft die Frage gestellt: Was essen wir heute eigentlich zu Mittag?
Kommunikation als ein Wegbegleiter
Die Krise kann allen Eltern als Anstoss dienen, die einzelnen Rollen im Haushalt und in der Familie zu hinterfragen. Aus dieser Erfahrung kann es zu einem Wandel des Mindsets kommen. Mehr denn je kommt es darauf an, die Prioritäten richtig zu setzen und gemeinsam füreinander da zu sein.
Eine ganz entscheidende Rolle, damit Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle unterschiedlichen Zielgruppen funktioniert, kommt dabei den Vorgesetzten zu. Führungskräfte, die mit dieser aussergewöhnlichen Situation umgehen können, sind gefragt. Der Schlüssel ist hierbei die Kommunikation. Es gilt interessiert zuzuhören und neugierig nachzufragen. Die Besprechungskultur ist auf Grund der Digitalisierung effizienter und tendenziell sachlicher geworden. Zeit für Tür-und-Angel-Gespräche scheint es kaum mehr zu geben. Die Konzentration liegt auf der Aufgabe, zwischenmenschliche Beziehungen treten in den Hintergrund. Umso bedeutender ist der bewusste persönliche Austausch. Das schafft Vertrauen und Bindung. Und darauf kommt es an. Nicht nur bei der Arbeit, sondern auch bei der Kindererziehung.
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