Neuer Zug der ÖBBDie Österreicher starten eine Nachtzug-Offensive – auch ab Zürich
Mit einem neuen Nachtzug wollen die Österreichischen Bundesbahnen das Netz massiv ausbauen. Mit dabei sind die SBB – obwohl sie von einem Verlustgeschäft ausgehen.

Nachtblau mit rotem Streifen: So präsentiert sich das Äussere der neuen Nachtzüge, welche die ÖBB und Siemens am Dienstag präsentiert haben. Der österreichische Bahnbetreiber hat 33 Zuggarnituren bei Siemens geordert. Bis 2024 sollen die Züge, die aus zwei Schlafwagen, drei Liegewagen und zwei Sitzwagen bestehen, alle in Betrieb sein und pro Zug 250 Passagiere transportieren. Am meisten Komfort im ÖBB Nightjet bietet der Schlafwagen. Und so sieht es in den neuen Zügen aus. Allerdings gibt es im Schlafwagen nur Platz für 24 Personen.
In den neuen Zügen können Velos mittransportiert werden, der Einstieg ist barrierefrei. In den Liegewagen bieten Schlafkapseln nach japanischem Vorbild mehr Privatsphäre. Die Wagen sind mit kostenlosem WLAN ausgerüstet. Eine besondere Fensterbeschichtung soll verhindern, dass der Handynutzer sein Netz verliert. Die maximal zugelassene Geschwindigkeit liegt bei 230 km/h.
Ein ganz grosser Fan der nächtlichen Zugfahrten von Metropole zu Metropole ist ÖBB-Chef Andreas Matthä. Er baut sein Bahnunternehmen zum europäischen Marktführer bei den Nachtzügen aus. Das Investitionsvolumen für die neue Flotte beträgt gegen eine halbe Milliarde Euro. Derzeit werden 19 Linien in West- und Mitteleuropa betrieben. Bis 2024 sollen es 26 sein.
Vorbehaltlose Unterstützung erhält Matthä von der österreichischen Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler. Die grüne Politikerin ist überzeugt, dass Nachtzüge die Zukunft der klimafreundlichen Mobilität innerhalb Europas seien. «Nachtzüge sind die Alternative zum Kurzstreckenflug», betonte sie bei der Präsentation.
Kein Wunder, hat sich Wien zum wichtigsten Knotenpunkt entwickelt. Auf Platz zwei folgt Zürich. Auch hierzulande ist der Druck gestiegen, Nachtzugsverbindungen aus Klimaschutzgründen auszubauen. SBB und ÖBB wollen das bestehende Angebot ab Zürich von sechs auf zehn Linien aufstocken. Geplant sind unter anderem neue Nachtverbindungen nach Amsterdam, Rom und Barcelona. «Zürich als Nachtzughub soll gestärkt werden», betont Matthä. In die Kooperation sind auch die Deutsche Bahn und die französische SNCF eingebunden.
Harter Kampf gegen Billigairlines
Kann das Geschäft rentabel betrieben werden? ÖBB-Chef Matthä meinte am Dienstag diplomatisch: «Man wird nicht reich davon.» Das Problem: Gegen die Billigairlines kommen die Bahnen nicht an. Nachtzüge sind in der Beschaffung teuer, was die Bahnbetreiber zu hohen Abschreibern zwingt. Die Kapazitäten in den Schlaf- und Liegewagen können nur einmal alle 24 Stunden verkauft werden. Tagsüber stehen die Züge nach der Reinigung ungenutzt auf Abstellgleisen. Kurzstreckenflugzeuge hingegen sind täglich mehrmals unterwegs. Darum und wegen der beschränkten Anzahl Betten und Liegen bleibt der Nachtzug ein Nischenprodukt. Um Kunden aus dem Flieger in den Zug zu locken, müssen die Bahnbetreiber ihre Ticketpreise jenen der fliegenden Konkurrenz anpassen. Laut ÖBB-Chef Matthä sollte das Schlafwagenbillett etwas günstiger sein als das Flugticket plus eine Hotelübernachtung. (Lesen Sie dazu den Hilferuf der Swiss in der Corona-Krise.)
Diese Kalkulation dürfte enorm unter Druck geraten, wenn die Pandemie dereinst so weit im Griff sein wird, dass das Reisen wieder zum Normalfall wird. Fachleute rechnen damit, dass die Airlines sich einen harten Preiskampf liefern werden, um ihre Maschinen wieder zu füllen.
SBB rechnen mit defizitären Betriebskosten
Bei den SBB macht man sich keine Illusionen. Bei der Bekanntgabe der Ausbaupläne im Herbst 2020 sprachen die SBB ungeschminkt von «hohen und defizitären Betriebskosten». Der Ausbau könne nur «mit finanzieller Unterstützung aus dem Schweizer Klimafonds sichergestellt werden». Ob dies der Fall sein wird, wird sich nach dem Urnengang zum CO2-Gesetz in diesem Sommer zeigen.

Die ÖBB sind zuversichtlicher. Man werde die Investitionen zurückverdienen, glaubt Matthä. Allerdings müsse die Auslastung in den Nachtzügen übers Jahr gesehen bei 50 bis 60 Prozent liegen. Vor der Pandemie waren 1,4 Millionen Passagiere im Nachtzug unterwegs. Nach der Pandemie sollen es doppelt so viele sein. Die österreichische Regierung verspricht eine Entlastung bei den Trassenpreisen, auch sollen die Preise für Bahnstrom reduziert werden.
«Die Senkung des Trassenpreises wäre ein zu kleiner Anreiz und ist darum verworfen worden.»
Die Forderung nach einer Senkung der Trassenpreise für die Nachtstunden in Europa ist eine alte Forderung, die auch in der Schweiz immer wieder auftauchte. Jetzt ist sie vom Tisch. Auf Anfrage teilt das Bundesamt für Verkehr mit: «Das zentrale Element zur Förderung des Nachtzugangebots und des internationalen Personenverkehrs ist die im CO2-Gesetz verankerte Unterstützung aus dem KIimafonds. Die Senkung des Trassenpreises wäre ein zu kleiner Anreiz und ist darum verworfen worden.»
Von Basel nach Rügen im Nachtzug
Im Windschatten der grossen Staatsbahnen bieten auch einige wenige Private Nachtzüge an. Zu ihnen gehört der Kölner Unternehmer Niko Maedge, der neben Nachtzügen auch Autoreisezüge unter dem Label Train4you betreibt. In Deutschland ist sein Geschäft unter dem Begriff «Urlaubs-Express» bekannt. Nun will Maedge auch in der Schweiz Kunden gewinnen, wie er vor kurzem bekannt gab. Für diesen Sommer ist eine durchgehende Nachtverbindung von Basel auf die Ostseeinsel Rügen geplant.
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