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Wahlen in Kanada
Justin Trudeau muss um seine Macht bangen

Hat er sich verkalkuliert? Justin Trudeau im kanadischen Gatineau.
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So hatte Justin Trudeau sich das nicht vorgestellt. Als der kanadische Premierminister im August überraschend vorgezogene Neuwahlen ausrief, war das Kalkül, dass er aus dieser Abstimmung mit einer absoluten Mehrheit hervorgehen würde. Nun zeigen die Umfragen nicht nur, dass daraus aller Voraussicht nach nichts wird, sondern dass Trudeau sogar sein Amt verlieren könnte. Womöglich hat er sich in grossem Stil verzockt.

Von den gut 37 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern Kanadas sind am Montag rund 27 Millionen zur Wahl aufgerufen. Die Conservative Party mit ihrem Spitzenkandidaten Erin O’Toole kommt den Umfragen zufolge ebenso auf rund 30 Prozent der Stimmen wie Trudeaus Liberal Party. Das würde bedeuten, dass wer immer bei der Wahl siegt, eine Minderheitsregierung bilden müsste. Einer solchen steht Trudeau derzeit vor, nachdem er 2019 seine absolute Mehrheit verloren hatte.

Was für den amtierenden Premierminister spricht, ist die Tatsache, dass sich die Unterstützung für die Konservativen in wenigen Provinzen konzentriert, besonders in Alberta. O’Toole könnte also unter Umständen ebenso viele Stimmen wie Trudeau auf sich vereinigen oder gar besser abschneiden, aber weniger der 338 Wahlkreise gewinnen, weil die Anhänger der Liberalen sich besser im Land verteilen.

Er könnte Justin Trudeau beerben: Der konservative Kandidat Erin O’Toole.

Dass O’Toole überhaupt realistische Chancen hat, die Wahl zu gewinnen, hätte noch vor wenigen Wochen niemand vermutet. Der 48 Jahre alte Chef der Konservativen war in der kanadischen Politik bislang kaum präsent. Im Wahlkampf hat er sich als Moderater präsentiert, um von Trudeau enttäuschte Liberale auf seine Seite zu ziehen. Ob er damit allerdings sein wahres Gesicht zeigt, ist fraglich.

Als er sich im vergangenen Jahr um den Parteivorsitz der Konservativen bewarb, trat er als Hardliner auf, der sich kritisch über das Recht auf Abtreibung äusserte, der Verbote von automatischen Waffen aufheben wollte und überhaupt Kanada «wieder zurückholen» wolle, was auch immer das im Detail bedeuten sollte. Seine Rhetorik klang ein bisschen, als habe er sie in Teilen bei Donald Trump geborgt.

Ein konservativer Opportunist

Das Problem für O’Toole war, dass er mit dieser Taktik zwar den Parteivorsitz gewann, weil die Basis der Konservativen eher weiter rechts steht, dass er aber zugleich mit diesen Positionen bei der Wahl zum Premierminister chancenlos wäre, da das Gros Kanadas eher fortschrittlich denkt. Also hat er diese Positionen kurzerhand revidiert. Die Verbote von automatischen Waffen will er nun doch nicht aufheben, er hat sich als Befürworter der Rechte der LGBTQ-Gemeinde gezeigt, das Recht auf Abtreibung will er nicht mehr antasten, und er hat sogar das Gespräch mit den Gewerkschaften gesucht. Das liegt daran, dass er hofft, wie Trump im Jahr 2016 Teile der weissen Arbeiterklasse auf seine Seite zu ziehen.

Einerseits sind die vorgezogenen Neuwahlen für O’Toole zu einer unverhofften Chance geworden, anderseits hat er Trudeau scharf dafür kritisiert, dass dieser die Wahl inmitten der Pandemie angesetzt hat. Er nannte den Premier «rücksichtslos» und «unverantwortlich». Trudeau habe «seine eigenen politischen Interessen über das Wohl von Tausenden Menschen» gestellt.

Trudeau wiederum verweist darauf, dass er sich in der Pandemie als guter Krisenmanager erwiesen habe. Tatsächlich ist Kanada recht gut durch die Pandemie gekommen, erlebt aber im Moment eine vierte Welle. Rund 4000 neue Infektionen werden täglich gezählt, vor allem unter Ungeimpften. Diese wiederum finden sich besonders in konservativen Gegenden wie Alberta, wo die Impfbereitschaft geringer ist.

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Trudeau hat seinen Herausforderer bei diesem Thema scharf angegriffen. O’Toole ist gegen eine Pflicht zur Impfung oder zum Tragen von Masken, aber er empfiehlt die Impfung immerhin. Trudeau vertritt deutlich rigidere Positionen. Er will eine Impfpflicht für Beamtinnen und Beamte einführen, er ist zudem für die Einführung von Impfpässen. Für eine Maskenpflicht in Innenräumen ist er sowieso.

Dass der 49 Jahre alte Trudeau nicht als klarer Favorit in die Wahl geht, liegt daran, dass seine nunmehr sechs Jahre währende Amtszeit von einigen Skandalen umweht war. 2015 galt er als grosse Hoffnung, doch er ist zu einem Premier der Affären, Ärgernisse und Skandale geworden. Erste Kratzer bekam das Bild, als Trudeau im Jahr 2016 mit seiner Familie Ferien auf einer Insel machte, die Karim Aga Khan gehört, einem Milliardär, dessen Stiftung sich als Lobbyist bei der Liberalen Partei registriert hatte. Der Interessenkonflikt war allzu offensichtlich.

Ein missglückter Gag

Im September 2019 wurden Bilder veröffentlicht, die zeigten, dass Trudeau sich vor knapp 20 Jahren das Gesicht braun angemalt hatte, um auf einer Kostümparty den Aladin zu geben. Der Regierungschef entschuldigte sich wieder und wieder. Im gleichen Jahr geriet er in die Kritik, weil er sich für einen Baukonzern in seinem Wahlkreis eingesetzt hatte, der zehn Jahre zuvor Schmiergeld an die libysche Regierung gezahlt hatte, um Aufträge zu erhalten. Seine Justizministerin Jody Wilson-Raybould, die von kanadischen Ureinwohnern abstammt, verliess daraufhin im Streit die Regierung. Dass er 2019 trotzdem wiedergewählt wurde, wenn auch nicht mehr mit absoluter Mehrheit, lag vor allem daran, dass der konservative Kandidat so blass war.

Allerdings blieb auch Trudeaus zweite Amtszeit nicht makellos. Zum Beispiel hat er im vergangenen Jahr einer Stiftung ohne jede Ausschreibung einen Auftrag im Wert von 43 Millionen kanadischen Dollar verschafft, rund 27 Millionen Euro. Die Stiftung namens «WE Charity» sollte dafür ein gross angelegtes Stipendienprogramm für Studentinnen und Studenten organisieren. Dann kam heraus, dass Mitglieder von Trudeaus Familie im Laufe der Jahre von ebendieser Stiftung Hunderttausende Dollar für Reden erhalten haben. Trudeau entschuldigte sich mal wieder.

Auf kleine Parteien angewiesen

Sollte seine Partei erneut die meisten Sitze im Unterhaus gewinnen, wäre Trudeau weiterhin auf die Unterstützung von kleineren Parteien angewiesen. Koalitionen zu bilden, ist in Kanada unüblich. Trudeau würde sich seine Mehrheiten von Fall zu Fall suchen und dabei besonders auf die New Democrats bauen, an deren Spitze Jagmeet Singh steht. Der war bei seinem Amtsantritt der erste nicht weisse Parteichef Kanadas und ist mittlerweile der beliebteste Politiker im Land.

Wegen der Pandemie haben mehr Menschen als jemals zuvor vom Recht auf Briefwahl Gebrauch gemacht. Diese Stimmen werden erst am Tag nach der Wahl gezählt, sodass Trudeau unter Umständen eine Weile warten muss, bis er erfährt, ob er eine dritte Amtszeit beginnen darf.