Anthologie jüdischer ErzählungenDie Juden schon wieder! Zum Glück
16 Autorinnen und Autoren erzählen in «Wir schon wieder» vielstimmig und undogmatisch vom Leben nach dieser Zäsur vom 7. Oktober. Gerade weil die Beiträge so unterschiedliche Haltungen vertreten, ist das Buch ganz besonders.
«Wir schon wieder», was für ein grossartiger Titel! Ironisch spiele er darauf an, dass sie zwar hier seien, obwohl sie niemand haben wollte. «Traurige, tote Juden, Klezmer oder Chagall sind als Projektionsfläche natürlich populär, Jüdinnen und Juden, die sich öffentlich äussern, schon ein bisschen weniger», schreibt die Herausgeberin, Dana von Suffrin, im Vorwort der Anthologie.
Wer den Buchtitel schrecklich findet, ist Maxim Biller. Das überrascht jetzt auch niemanden. Biller, der als streitbarer Autor der Gegenwart gilt und dessen Name vermutlich als erster fällt, wenn es darum geht, wer die jüdische deutsche Literatur prägt, schreibt der Herausgeberin in seinem zornigen Brief «Abgelehnt», dass er ein deutscher Autor sein will. Und dass er sich schon gar nicht einer «jüdischen Literatur» zugehörig fühle. Er fürchtet die Folklore (vorneweg: So weit kommts nicht, weit und breit auch kein Pathos oder Nostalgie).
Für Dana von Suffrin vereint die Schreibenden zwar ihre jüdische Sozialisierung, aber viele Freunde wurden zu Feinden – seit dem 7. Oktober ist die jüdische Gemeinschaft zerrissen, was auch ganz plastisch wird in diesem so sorgfältig kuratierten Buch. Es ist komplexer und somit zum Glück vielstimmiger, wie dieses Buch zeigt. Darin versammeln sich Texte von Zelda Biller, Olga Mannheimer, Eva Menasse, Slata Roschal, Ljudmila Ulitzkaja und anderen.
«Antisemitismus ist keine deutsche Erfindung»
In der kurzen Geschichte von Linda Rachel Sabiers hält zum Beispiel Yael am Nachmittag des 7. Oktober in der einen Hand das Handy mit den Pushnachrichten, in der anderen den Schwangerschaftstest. Mit Tom streitet sie sich, ob sie in diese Welt ein Kind gebären kann, denn «Judentum war DNA» und «Antisemitismus ist keine deutsche Erfindung».
Wie Elfriede Jelinek die Hamas beschreibt, die Fanatiker, denen der Tod erstrebenswert ist, liest sich hart an der Grenze zum Zynismus. Aber es ist wie erwartet klug von ihr, die sich schon früh nach dem 7. Oktober in die Debatte eingeschaltet hat. Sie erzählt das Töten als «eine Freizeitaktivität, zu der man lässig über Zäune springt, denn Töten und Sterben, das sie nicht fürchten, sondern ersehnen, sind dann endgültig Sport geworden, wenn schon Sport nicht Mord sein kann».
Am Wochenende des 1. September gingen so viele Menschen auf die Strassen in Israel wie seit dem 7. Oktober nicht. Auf Bildern sah man sechs Särge, darin die Geiseln, die offenbar nur wenige Stunden vor einer möglichen Freilassung exekutiert worden sind. Elf Monate hatten sie überlebt.
Dmitrij Kapitelman, jüdisch-ukrainisch-ostdeutscher Herkunft, der sich als «Vaterjuden» bezeichnet, will den Tätern seine Sprachen nicht überlassen. Weder das Deutsch noch das Russisch. Und er fragt sich, als sein Vater nicht mit ihm eine Gedenkstätte in Jerusalem besichtigen will, warum sich Juden eigentlich immer einem Schmerz verschreiben sollen, dessen Verursacher sie nicht sind. «Warum nicht lieber mit Zimtschnecken ans Rote Meer fahren?» Kapitelman bringt ein wunderschönes Wort in die Welt: den «Schmerzschatten» würden viele Juden loswerden wollen und «mehr als ein Trauma sein».
Die Kurzgeschichte von Dana Vowinckel ist eine Entdeckung. Leah, ein Rising Star der Literatur, die sich mit dem Vater an Jom Kippur immer schrecklich stritt, weil beide Hunger hatten, schreibt über den jüdischen Kunsthändler Curt Valentin, der nach New York floh und mit «entarteter Kunst» handelte. Im Auftrag der NS-Behörden. Wie also kann eine Geschichte über ein «böses Opfer» erzählt werden?
Wer darf wessen Geschichte erzählen?
Leahs Lektor findet dann, ihr Buch würde nur in die «Spiegel»-Liste kommen, wenn man ihr Werk mit der eigenen Familiengeschichte garniert verkaufen würde. Als die Autorin sagt, niemand sei ermordet worden, es seien ja amerikanische Juden, und dann klar wird, dass ihre Mutter gar keine Jüdin ist, sondern der Vater, ist der Lektor irritiert. Dann sei Leah ja auch keine Jüdin.
Vowinckel erzählt von zeitgeistiger identitätspolitischen Dingen und parallel die Liebesgeschichte zu Julian: «Nachts lag ich wach neben ihm und hatte Angst, dass er die Liebe ihres Lebens war.» Rasant, sprachlich überzeugend – mit einem Ende, das man so nicht kommen sah.
Lena Gorelik schliesst ihren Text mit dem Satz: «Alles ist sagbar, ich weiss nur nicht, wo die Worte sind.» Auf etwas mehr als 200 Seiten finden sich in diesem Buch welche, denen zuzuhören sich lohnt.
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