Omikron drückt den ÖlpreisPlötzlich kommt Joe Biden zu bezahlbarem Benzin
Mit allen Mitteln versucht der US-Präsident, die Teuerung im Land zu stoppen – bisher ohne Erfolg. Jetzt kommt ihm ausgerechnet das Coronavirus zu Hilfe.

Manchmal, ganz selten natürlich, kann so eine neue Corona-Mutation auch ein politischer Glücksfall sein. Offiziell ist Joe Biden derlei Zynismus selbstverständlich fremd, insgeheim aber mag ihn schon einmal der Gedanke durchzuckt haben, dass die Omikron-Variante genau zur rechten Zeit kommt.
Zwar birgt jede Verlängerung der Pandemie Gefahren für die Wirtschaftsentwicklung. Vor allem aber hat die neue Virusversion in den vergangenen Tagen für exakt jenen Absturz des Rohölpreises gesorgt, den der US-Präsident so lange herbeigesehnt, bisher aber nicht bewerkstelligt bekommen hatte. Am Donnerstag kostete ein Barrel, also 159 Liter, der Sorte WTI zeitweise nur noch gut 65 Dollar, 18 Prozent weniger als vor einer Woche. Im Vergleich zum Jahreshöchststand betrug das Minus gar 23 Prozent.
Biden steht knapp ein Jahr nach Amtsantritt mächtig unter Druck: In elf Monaten sind Kongresswahlen, und seiner Partei, den Demokraten, droht – Stand jetzt – eine krachende Niederlage. Die Gründe dafür sind vielfältig, eine der Ursachen aber ist Biden selbst. Viele Bürger haben schlicht das Gefühl, dass ihr Präsident die Pandemie nicht in den Griff bekommt – und, schlimmer noch: die Inflation.
Nervosität im Weissen Haus
Um 6,2 Prozent sind die Konsumentenpreise im Oktober gestiegen, bei vielen Einzelprodukten lag das Plus noch viel höher. Nirgendwo aber wird die Misere so direkt erfahrbar wie an der Tankstelle, wo die Gallone Benzin mittlerweile durchschnittlich 3,40 Dollar kostet.
Europäer mögen darüber müde lächeln, denn das entspricht umgerechnet gerade einmal 83 Rappen pro Liter. Für die US-Bürger aber, die weiterhin sehr viel mit oft sehr grossen Autos unterwegs sind, bedeutet das im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von sagenhaften 50 Prozent. In manchen Regionen Kaliforniens schlägt die Gallone gar mit bis zu 4,75 Dollar zu Buche.

Im Weissen Haus herrscht angesichts der Preisentwicklung bereits seit Wochen Hektik. Um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, wies Biden die Wettbewerbsbehörde FTC jüngst an, zu untersuchen, ob die US-Mineralölkonzerne sich an den Zapfsäulen zulasten der Autofahrerinnen und Autofahrer bereichern. Er überzog die Mitgliedsländer des Ölkartells Opec plus, darunter Saudiarabien und Russland, mit Drohungen, Forderungen und Appellen.
Vor allem aber kündigte er an, die USA würden über die kommenden Monate 50 Millionen Barrel aus ihrer strategischen Ölreserve auf den Markt werfen, um das Angebot zu erhöhen und den Preis zu drücken. Das entspricht 8 Milliarden Litern und fast 8 Prozent der gesamten US-Reserven. Biden zufolge sind an der konzertierten Aktion auch China, Japan, Indien, Südkorea und Grossbritannien beteiligt, die ebenfalls über hohe Ölvorräte verfügen, um für Naturkatastrophen, Kriege und andere Krisen gewappnet zu sein.
Die Idee klingt bestechend, hatte aber von Beginn an gleich mehrere Schwachstellen. So haben ähnliche Aktionen früherer US-Präsidenten kaum für Erleichterungen an der Preisfront gesorgt. Hinzu kommt: Von den 50 Millionen Barrel werden in Wahrheit nur 18 Millionen tatsächlich dauerhaft abgegeben – jene Menge nämlich, deren Verkauf der Kongress bereits 2018 genehmigt hatte, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die übrigen 32 Millionen Barrel werden nur verliehen: Die Rohölkäufer müssen über einen Zeitraum von mehreren Jahren die gleiche Menge Rohöl an die USA zurückgeben und dazu noch Zinsen zahlen.
Was, wenn es wieder zu Lockdowns kommt?
Viel mehr als die Freigabe der Ölreserven treibt die Finanzmärkte aber ohnehin die Omikron-Variante um. Allein am vergangenen Freitag, als der Name der neuen Variante die Nachrichtenticker flutete, brach der Ölpreis um mehr als 11 Prozent ein – der siebtheftigste Crash, den es am Markt je gegeben hatte. «Das war ein Schock, auch für die Finanzmärkte», sagt Ölanalystin Dora Borbely von der Deka Bank. Die Börse hatte plötzlich ihren ganz eigenen Black Friday.

Seither herrscht am Markt grosse Ungewissheit: Was, wenn bald wieder Ausgangsbeschränkungen greifen sollten, wenn Fabrikschlote nicht mehr rauchen und Flieger nicht mehr abheben? Dann wird die Weltwirtschaft weniger Öl brauchen. «Das wäre übel», sagt Ölanalystin Borbely.
Die neue Virusvariante stellt damit auch alle Kalkulationen der Opec-plus-Staaten infrage. Sie hatten sich über die vergangenen Monate am Markt kommod eingerichtet, schliesslich zog die Nachfrage dank wachsender Volkswirtschaften und sinkender Inzidenzen stetig an. Gleichzeitig blieben die Länder immer ein bisschen auf der Förderbremse, um die Preise nach oben zu bugsieren.
Das Prinzip: Nicht zu viel Öl produzieren, wenn alle danach gieren. Nun aber könnte alles ganz anders kommen. Bricht die Nachfrage wegen der Omikron-Variante ein und bringen die USA und ihre Mitstreiter zusätzlich rund 75 Millionen Fass Öl in Umlauf, könnte es rasch zu einem Überangebot kommen. Expertin Borbely sagt dazu: «Schon im Frühjahr rechnen alle mit zu viel Öl am Markt.»
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