TV-Kritik «Tatort»Jimi Hendrix, Brahms und viel, viel Blut
Bild- und Musiksprache dieses «Tatorts» fesseln. Sein Clou: das Porträt des Kommissars als junger Mann. Axel Milbergs Sohn spielt Borowski als Teenager.
Es ist ein «Tatort» wie ein Totentanz, eine Choreografie des Erinnerns. In den ersten Sekunden von «Borowski und der Schatten des Mondes» schwenkt die Kamera auf Dokumente und Zeitungsschnipsel aus dem Jahr 1970, dann lässt sie in körnigen Bildern das legendäre Love-and-Peace-Festival auf der Ostseeinsel Fehmarn wiederauferstehen.
Es hätte die deutsche Antwort auf Woodstock sein sollen und wurde zum dreitägigen Chaos. Pisswetter, mangelnde Infrastruktur, Gewalt von Rockern und Wut enttäuschter Besucherinnen und Besucher, die um versprochene Auftritte geprellt wurden: Es war ein Rezept für ein Desaster. Immerhin, Jimi Hendrix war gekommen. Es sollte sein letzter grosser Auftritt vor seinem Tod werden. Klar, dass der Soundtrack des Krimis wesentlich von Hendrix geprägt ist.
Die Gegenstimme dazu, die Antifone, ist William Cowpers Hymne «There is a Fountain Filled with Blood» (1772). Das Ehepaar Mertins, auf das sich die Ermittlungen nach dem Fund einer 1970 im Wald vergrabenen Mädchenleiche allmählich konzentrieren, singt diese im Kirchenchor. Rentner Mertins – der Berner Schauspieler Stefan Kurt, erstklassig als verquälter Duckmäuser – zelebriert da in einem Solo, wie Jesu Blut alle Schuld der Sünder hinwegwäscht.
Schön wärs. Das Drehbuch von Patrick Brunken und Torsten Wenzel erzählt, wie die Geister der Vergangenheit, die Furien der Gewissensbisse jeden heimsuchen. Besonders Kommissar Borowski (Axel Milberg): Er hatte fünfzehnjährig mit seiner Freundin – gegeben von der Männedorferin Mina Rueffer – ans besagte Hendrix-Konzert trampen wollen.
Aber das Wetter wurde mies, keiner nahm die zwei mit, sie stritten; und in einem Moment der Unbedachtheit stieg die Freundin mit einer anderen jungen Frau in einen VW-Bus. Und ward nicht mehr gesehen – bis zum Fund ihrer Leiche in den Wurzeln einer grossen Eiche.
Vor Borowskis geistigen (und unserem realen) Auge spulen sich die entscheidenden Szenen immer wieder ab. Milbergs Sohn August, zur Drehzeit 16-jährig, gibt hinreissend Borowskis junges Alter Ego. Ein Clou! Auch die Dame, deren jüngeres Ich einst in den Bus miteinstieg, muss sich nun ihren Fehlern stellen. Nicht zuletzt erwachen die Dämonen des alten Sängers. Da hilft auch Brahms’ «Deutsches Requiem» nicht.
Zwischen diesen Visionen und den Diskussionen von Kommissarin Sahin (Almila Bagriacik) und Borowski zieht die Kamera übers dunkle Wogen des Waldes dahin. Aus der Vogelperspektive sehen wir zudem die braven Reihenhauskästchen. Borowskis rotes Auto wirkt wie ein Spielzeug, die Kieler Förde ist voll nächtlicher Lichtpünktchen, und über den Menschen spannt sich die Unendlichkeit des blauen Himmels auf, gesprenkelt von Scharen schwarzer Vögel. Der Mensch und sein Wille zur Form sind winzig gegenüber der Wucht der Natur.
Regisseur Nicolai Rohde gestaltet dies in getragenem Rhythmus, wortkarg, mit leicht irritierender Bereitschaft zu bedeutungsschwangeren Blicken. Diese sind, neben der einen oder anderen Unwahrscheinlichkeit, der vielleicht einzige Makel des bei aller Blutrunst bestechend schönen Films vom Schatten des Mondes.
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