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Nach Dopingverdacht
Mathias Flückiger musste gar betreut werden

Berner Mountainbiker Mathias Flueckiger reagiert an einer Medienkonfenrez, am Donnerstag, 2. Maerz 2023 im Haus des Sports in Ittigen. Im Rahmen der Europameisterschaften in Muenchen wurde am 18. August 2022 eine positive Dopingprobe von Mathias Flueckiger publik. Gleichzeitig erfolgte eine provisorische Sperre des Berner Mountainbikers. Die Disziplinarkammer von Swiss Olympic hat diese Sperre am 17. Dezember 2022 aufgehoben. Der Fall ist jedoch bis heute nicht abgeschlossen. (KEYSTONE/Anthony Anex)

«Riesiger Schicksalsschlag»

Flückiger sagt: «Es war ein riesiger Schicksalsschlag. Das erleben natürlich ganz viele Leute. Aber was bei mir der Unterschied ist: Wenn jemand einen Schicksalsschlag erleidet, hat das Umfeld Mitleid. Doch mit mir hatte niemand Mitleid, weil alle das Gefühl hatten, ich hätte etwas angestellt.»

Die Freundin kündigte für ihn seinen Job

Der 34-jährige Mountainbiker erzählt nun, was ihm auch geholfen hat, den Tritt wieder zu finden. Starken Halt hat ihm seine Freundin Lisa gegeben. Die Lehrerin kündige ihren Job, um ihren Partner zur Seite stehen zu können. Bei gemeinsamen Spaziergängen im Wald habe er einen Weg zurück gefunden.

Er erwachte in einem weissen Zimmer

Jetzt spricht wieder Flückiger, es geht um die erste Zeit nach dem Urteil: «In meinen Gedanken war immer dieser 18. August. Aber die folgenden Tage waren genau gleich schwierig für mich, teils gar noch schwieriger, als ich realisierte, was da passiert ist. Ich kam zurück in die Schweiz, ging an einen sicheren Ort für meine Gesundheit, so dass ich abgeschirmt sein konnte von der Öffentlichkeit. Ein paar Tage habe ich noch in Erinnerung. Aber der 18. August war dermassen intensiv, dass ich sogar Lücken habe in meiner Erinnerung, ich weiss nicht mehr genau, was passiert ist. Ich erwachte in einem weissen Zimmer, alles war leer. Es brauchte Tage, ja Wochen, bis ich mich traute, wieder herauszukommen. Es war ein Meilenstein, schon nur wieder auf einem Trottoir zu gehen. Weil ich mich dermassen fürchtete, Leuten zu begegnen, die mich verurteilen.»

Wie 1 Gramm Zucker im Schwimmbecken

Ausserdem findet Kamber: «Wir müssen vorsichtig agieren bei solch geringen Mengen Verunreinigung. Die Menge, die bei Flückiger festgestellt wurde, entspricht im Verhältnis etwa einem Gramm Zucker, das in einem Olympia-Schwimmbecken aufgelöst wird.»

Zeranol – hilft das überhaupt?

Kamber hat sich auch deshalb von Beginn an für den Fall interessiert, weil es um das Mittel Zeranol geht. Kamber sagt, Zeranol spiele als Dopingmittel im Sport quasi keine Rolle, weil es kein typisches Anabolikum sei und sogar «eher negativ wirkt».

Das sagt Dopingexperte Kamber

Matthias Kamber war jahrelang der oberste Schweizer Dopingjäger. Heute spricht er als Experte im Team Flückiger. Kamber erklärt, dass Flückiger nicht hätte provisorisch gesperrt werden dürfen, weil es sich bei der positiven Probe um ein sogenanntes «atypical finding» gehandelt habe. In solchen Fällen sei es zwingend, dass zuerst zusätzliche Abklärungen gemacht werden müssten, bevor von einem tatsächlichen Dopingvergehen gesprochen werden dürfe.

Der Anwalt redet

Die Probe sei unauffällig gewesen, alles habe auf eine Kontamination hingedeutet, findet Flückigers Anwalt Thilo Pachmann. Dem sei aber zu wenig nachgegangen worden.

Der Fall im Rückblick

Flückiger wird noch einmal emotional und ist immer wieder den Tränen nahe: «Nach der Streckenbesichtigung an den European Games in München 2022 ging ich zurück zum Schweizer Teambus, redete noch kurz mit meinem Mechaniker. Anschliessend stieg ich in den Bus, um zurück ins Hotel zu kommen. Ich sass zuhinterst, unterhielt mich noch mit Leuten von Swiss Cycling und merkte, dass andere Menschen in den Bus drängen. Ich dachte, ich müsse aussteigen wegen ihnen, damit sie eine Sitzung halten können. Aber es waren die beiden Nationaltrainer, der Medienverantwortliche und der Geschäftsführer von Swiss Cycling. Dieser teilte mir mit, dass es eine positive Probe gegeben habe. Und dieser Moment ist heute noch präsent, es war der schlimmste Moment für mich.»

Das Comeback

Flückiger bedankt sich bei seiner Familie und seiner Freundin für die Unterstützung und erklärt, dass er als Mountainbiker gerne zurückkommen will. Während des Trainingslagers fuhr er bereits ein Rennen am vergangenen Sonntag, das offizielle Comeback wird er am 19. März in Gränichen geben.

Die grossen Zweifel

Flückiger sagt, er habe an einzelnen Tagen nach dem Dopingbescheid nicht gewusst, ob er diese Last noch tragen könne, ob er diese Last überhaupt noch tragen wolle. Er sagt aber auch: «Heute bin ich dankbar, dass ich hier sein kann.»

Es geht los

Mathias Flückiger sitzt im «Haus des Sports» in Ittigen an einem Tisch und redet in die Mikrofone. Vor sich hat er einen Laptop. Er sagt: «Ich bin nervös, freue mich aber auch über das reden zu können, was ich erleben musste und durchmachen musste in den letzten sieben Monaten. Der 18. August 2022 war für mich der Tag, an dem ich eine Stufe vor dem Abgrund stand, alle meine Werte, die ich mein Leben lang bewusst gelebt habe, wurden von einer Sekunde auf die andere infrage gestellt, wurden mir nicht mehr geglaubt, das war für mich das Schlimmmste. Es ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, seit ich alles verloren habe, was ich aufgebaut habe, was meine Familie, mein Team aufgebaut haben. Alle Erfolge, die ich gefeiert habe, ob Olympia-Zweiter, mehrere Podestplätze, alles, was ich gewonnen habe, war kaputt und wertlos, all die schönen Emotionen waren weg. Von einem Tag auf den anderen wurde ich aus der Szene, aus dieser Sportart herausgerissen.»

Die Vorgeschichte

So aufwühlend und spektakulär der Fall Mathias Flückiger ist, so komplex und verworren entwickelt er sich. Es beginnt im Juni 2022, als der Berner Mountainbiker, Olympiazweiter 2021 und mehrfacher Medaillengewinner an Weltmeisterschaften, an den Schweizer Meisterschaften von Swiss Sports Integrity auf Doping getestet wird. Das Resultat der A-Probe gilt als sogenannt atypisch, weil Flückiger darin eine geringe Menge des verbotenen Anabolikums Zeranol nachgewiesen wird. Swiss Sports Integrity muss damit automatisch abklären, warum das Resultat atypisch ist. Am 18. August sperrt dann Swiss Sport Integrity den Sportler provisorisch. Sie findet: Die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass es sich um Betrug handelt als um mögliche Kontamination. Diese provisorische Sperre müsste nicht öffentlich gemacht werden, wird von Swiss Cycling aber bekannt gegeben.

Einen Monat später, am 16. September, beantragt Flückiger dann bei der Disziplinarkammer von Swiss Olympic die sofortige Aufhebung der provisorischen Sperre, reicht ein Dossier mit Erklärungen und Entlastungsindizien ein. Das Hauptargument: Swiss Sport Integrity habe sich nicht an das Protokoll der Welt-Anti-Doping-Agentur in solchen Fällen gehalten. Darunter vor allem: Man habe ihn nicht ausreichend angehört. Weitere Gründe: Das Steroidprofil Flückigers ist unauffällig; kurz vor und nach dem atypischen Test wurde Flückiger je einmal kontrolliert, beide Tests waren negativ. Ausserdem liess sich Flückiger eine Haarprobe entnehmen, bei der keine Spuren von Zeranol bzw. von dessen Metaboliten gefunden wurden. Das soll zeigen: Flückiger könne weder über längere Zeit Kleinstmengen an Zeranol zu sich genommen haben noch eine grössere Menge an einem bestimmten Tag.

Am 17. Dezember wird die provisorische Sperre durch die Disziplinarkammer wieder aufgehoben. Begründung: Swiss Sports Integrity habe die entsprechenden Vorgaben der Welt-Anti-Doping-Agentur tatsächlich nicht in Gänze abgearbeitet. Swiss Sports Integrity hat nun zwei Optionen: Den Fall erneut aufnehmen oder ruhen lassen. Noch hat sie nicht entschieden. Sollte Swiss Sport Integrity den Fall abschliessen, könnte die Welt-Anti-Doping-Agentur dagegen vorgehen.

Flückiger kann mittlerweile wieder fahren: Am vergangenen Sonntag startet er an einem UCI-Rennen in Banyoles (ESP) und wird Sechster, 29 Sekunden hinter dem Sieger.