Nach umstrittener Ruanda-EntscheidungJetzt beschwert sich Irland wegen steigender Flüchtlingszahlen bei Grossbritannien
Immer mehr Asylsuchende, die es über den Ärmelkanal nach England geschafft haben, drängen neuerdings via Nordirland in die Irische Republik. Vielleicht, spekuliert man in Dublin, sei das Absicht.
In Dublin fürchtet man zusehends, dass die britische Drohung mit Massendeportationen von Asylsuchenden nach Ruanda auf Kosten Irlands geht – und dass das von Anfang an die Absicht von Premierminister Rishi Sunak war. Im Eilverfahren will die irische Regierung diese Woche gesetzliche Mittel finden, mit deren Hilfe sie dem Zuzug von Flüchtlingen und Migranten aus dem Vereinigten Königreich Einhalt gebieten und die Betreffenden nach Grossbritannien zurückschicken kann.
Für nötig hält Irlands Regierungschef Simon Harris eine schnelle Lösung dieses Problems, weil offenbar «schätzungsweise 80 Prozent» der neuen Asylbewerber in Irland in jüngster Zeit über Nordirland in die Irische Republik gekommen sind. Das hatte Justizministerin Helen McEntee vorige Woche bekannt gegeben.
Zwischen der zu Grossbritannien gehörenden Provinz Nordirland und der Republik, die Mitglied der EU ist, gibt es keine Ausweiskontrolle: Von England via Nordirland nach Irland zu reisen, ist darum in der Regel kein Problem.
Dass Irland derzeit «eine klare Zunahme der Zahl» von Asylsuchenden beobachtet, die auf diesem Weg ins Land gekommen sind, hat auch der irische Aussenminister Micheál Martin bestätigt. Dabei sei es «ziemlich offenkundig», dass viele dieser Personen schlicht vermeiden wollten, von London nach Ruanda abtransportiert zu werden – «nicht dass bisher schon irgendjemand deportiert worden ist».
Tatsächlich besteht Premierminister Sunak darauf, dass die Drohung mit Ruanda abschreckende Wirkung haben wird auf Tausende «illegaler Migranten», die in kleinen Booten von Frankreich über den Ärmelkanal setzen, mittlerweile aber kein Recht mehr haben, einen Asylantrag im Vereinigten Königreich zu stellen, und die stattdessen von Juli an nach Ostafrika geschafft werden sollen.
Sunak sieht Erfolg seiner Abschiebepolitik
Bisher ist es Sunak freilich nicht gelungen, sein Versprechen, er werde «die Boote stoppen», einzulösen. Allein am Samstag gelang es 350 Asylsuchenden, an der englischen Küste an Land zu kommen. Die Gesamtzahl dieses Jahres liegt rekordhoch und dürfte 50’000 überschreiten, wenn der Zustrom anhält auf absehbare Zeit.
Dass nun einige dieser Ankömmlinge weiter nach Irland ziehen, statt in England auf ihre Internierung und Deportation zu warten, wertet Premier Sunak bereits als ersten Erfolg seiner Politik. Auf die Frage britischer Reporter am Sonntag, ob Grossbritannien sein Migrationsproblem «exportiere», meinte Sunak, seine Abschreckungspolitik zeige offenbar «eine erste Wirkung» in diesem Fall. Einige Leute hätten bereits begriffen, «dass sie hier bei uns nicht werden bleiben können». Immer mehr würden daraus Konsequenzen ziehen und gar nicht erst nach Grossbritannien kommen, sagte Sunak.
Auf jeden Fall, erklärte Irlands Aussenminister Micheál Martin, habe Londons Ruanda-Politik bereits Auswirkungen für Irland: «Und vielleicht ist das ja die Wirkung, die sie haben sollte von Anfang an.» Unter den gegenwärtigen Umständen, fand auch der Irische Flüchtlingsrat, müsse die britische Politik zwangsläufig «vom einen zum anderen führen, das liegt auf der Hand».
Minister spricht von «Kurzschlussreaktion
Peadar Tóibin, der Vorsitzende der kleinen Aontú-Partei in Dublin, zeigte sich «wirklich schockiert darüber, dass Sunak es als Sieg für sich in Anspruch nimmt, dass man nun Immigranten nach Irland umleitet», vom Nachbarstaat aus. Nötig sei statt einseitiger Massnahmen Londons eine vernünftige Zusammenarbeit beider Staaten in dieser Frage, zumal es um die alte «gemeinsame Reisezone» zwischen Irland und Grossbritannien gehe.
Die gesamte britische Ruanda-Politik sei lediglich eine britische «Kurzschlussreaktion» gewesen, «nachdem es dem Vereinigten Königreich post Brexit nicht gelungen war, die Migration in den Griff zu bekommen», fügte Minister Martin hinzu. Justizministerin McEntee hat für Montag «eilige Gespräche» in London mit Innenminister James Cleverly geplant.
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