Jagd auf Russengelder Die Schweiz erhält einen neuen «Mister Sanktionen»
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs steht Bern in der Kritik, zu passiv zu sein. Nun stärkt Seco-Chefin Helene Budliger Artieda die Teams, die sich um Sanktionen kümmern und russisches Vermögen einfrieren.

Simon Plüss wird in wenigen Tagen eine der heikelsten Stellen in Bundesbern antreten. Sollen Schweizer Panzer indirekt in der Ukraine zum Einsatz kommen oder eine russische Villa am Genfersee blockiert werden, muss Plüss darüber entscheiden. Der Jurist übernimmt per 1. September die Leitung eines neuen Bereichs namens «Exportkontrollen und Sanktionen» im Staatssekretariat für Wirtschaft Seco.
Der eine Teil des Jobs betrifft die Ausfuhr von Kriegsmaterial und anderen sensiblen Gütern. Wenn Exporteure aus der Schweiz Gewehre, Flugabwehrkanonen oder Munition ins Ausland verkaufen wollen, muss Plüss’ Team entscheiden: Was darf raus, und was nicht? Wenn irgendwo in einem Kriegsgebiet gepanzerte Fahrzeuge oder Handgranaten aus der Schweiz auftauchen, wird sofort die Frage gestellt: Hat das Seco – also Plüss – richtig gehandelt? In vielen Fällen liegt dabei der letzte Entscheid beim Bundesrat.
Ein neues «Rechercheteam»
Mindestens so brisant ist der zweite Teil des Jobs: Übernahme und Durchsetzung von Sanktionen. Seit Ausbruch des Kriegs steht die Schweiz bei diesem Thema stark im Fokus. Der Bund hat zwar die Sanktionen von EU gegen russische Oligarchen und Regierungsvertreter übernommen. Ausländische Regierungen werfen Bern aber vor, bei der Sperrung von russischen Geldern zu passiv und zu langsam zu handeln.
Seco-Chefin Helene Budliger Artieda bestätigt die Umbauten auf Anfrage. Die Staatssekretärin wehrt sich gegen die Kritik: Die Schweiz habe immer gut mit anderen Staaten zusammengearbeitet und über 7 Milliarden Franken an russischen Geldern gesperrt.
Gleichzeitig sagt sie aber auch: «Das Sanktionsthema hat seit Kriegsbeginn enorm an Bedeutung gewonnen, wir wollen diesen politisch heiklen Bereich stärken.» Früher habe das zuständige Team aus acht Personen bestanden, «nun sind wir bei rund dreimal so vielen». Ein Teil der Stellen müsse allerdings noch vom Parlament bewilligt werden.
Rund um dessen Wechsel gibt es Nebengeräusche. Mehrere informierte Quellen sagen, der Diplomat sei geradezu «verheizt» worden.
Neu soll es auch ein eigentliches «Rechercheteam» geben, offiziell «Ermittlungen und Durchsetzung», das Hinweisen auf Sanktionsverstösse nachgeht. Simon Plüss wird laut der Staatssekretärin künftig auch in der Geschäftsleitung des Seco sitzen, also mehr Einfluss bekommen. Ein Interview mit Plüss sei zurzeit nicht möglich, er müsse sich einarbeiten, sagt ein Sprecher.
Bisher waren Exportkontrolle und Sanktionen in den Bereich «Bilaterale Handelsbeziehungen» integriert, geleitet von Erwin Bollinger. Der Botschafter verlässt nun diesen Posten und wechselt nach Genf, wo er die Interessen der Schweiz bei der WTO vertreten wird. Die Leitung der «bilateralen Handelsbeziehungen» ist noch vakant, die Rekrutierung läuft.

Budliger sagt: «Für die Handelsbeziehungen müssen Sie reisen, rund um den Globus präsent sein. Es ist fast unmöglich, gleichzeitig das anspruchsvolle Sanktionsthema im Griff zu haben.» Auch aus diesem Grund sei ein Umbau im Seco angezeigt gewesen.
Mit anderen Worten: Bollingers Rolle war überladen.
Der Sanktionschef war krankgeschrieben
Rund um dessen Wechsel gibt es allerdings Nebengeräusche. Mehrere informierte Quellen sagen, der Diplomat sei geradezu «verheizt» worden.
In Erinnerung geblieben ist insbesondere eine berüchtigte Pressekonferenz des Bundesrats bei Kriegsbeginn am 24. Februar 2022, als die Schweiz noch nicht entschieden hatte, die Sanktionen der EU gegen Russland zu übernehmen. Der damalige Bundespräsident Ignazio Cassis verliess jenen Medientermin vorzeitig, Wirtschaftsminister Guy Parmelin, der oberste Verantwortliche für das Sanktionsdossier, war gar nicht anwesend. Stattdessen musste Erwin Bollinger erklären, welchen Weg die Schweiz einzuschlagen gedenke. Ohne Rückendeckung von oben und ohne die Beschlüsse selbst gefällt zu haben.
Kommt hinzu, dass zu jenem Zeitpunkt im Seco die Rolle des Teamleiters Sanktionen unter Bollinger nicht ordentlich besetzt war. Der entsprechende langjährige Kadermann war gemäss Recherchen aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen. Erst im April 2023 hat das Seco eine neue Teamleiterin Sanktionen rekrutiert.
Helene Budliger Artieda war damals noch nicht im Amt. Sie übernahm den Job als Seco-Chefin von ihrer Vorgängerin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch per 1. August 2022. Heute sagt sie zu dieser Personalie nichts. Sie verweist auf den Datenschutz.
Simon Plüss, der viele Jahre in der Exportkontrolle gearbeitet hatte, war darum zwischenzeitlich ad interim für die Sanktionen verantwortlich. Nun übernimmt er den Job auch offiziell.
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