Analyse zu Strafen für RaserJa, denn sie sind eine Gefahr auf vier Rädern
Aus Angst vor einem Referendum und den kommenden Wahlen bleibt der Nationalrat bei härteren Strafen für Autoraser. Sein Korrekturentscheid bestätigt die Macht der Demokratie.
Vorübergehend schien das Parlament, um metaphorisch an das Thema heranzufahren, von der schmalen Strasse der Vernunft abgekommen zu sein. Denn beide Räte entschieden im Frühling bei der Behandlung des Strassenverkehrsgesetzes, eine besonders verhasste Sorte von Autofahrern für ihr Verhalten weniger streng zu bestrafen. Nämlich die Raser. Und da diese fast durchgängig Männer sind, können wir uns die weibliche Form für einmal sparen. Raser hätten laut dem damaligen Ratsentscheid keine Mindeststrafe von einem Jahr mehr befürchten müssen. Ausserdem hätten sie ihren Fahrausweis weniger lange abzugeben. Eine eindeutige Strafmilderung also.
Der Erstentscheid von National- und Ständerat löste tobende Kritik aus. Nicht nur bei Lobbygruppen wie Road Cross, die sich für die Schwächsten im Verkehr einsetzt und sofort das Referendum androhte. Sondern auch in der Bevölkerung, wie die Reaktionen in den Kommentarspalten deutlich machten.
Die Leute im Land haben kein Verständnis dafür, dass jene Männer mit Milde rechnen können, die mit hohen Geschwindigkeiten über die Autobahn, eine Landstrasse entlang oder sogar durch ein Dorf oder eine Stadt rasen. Und dabei in Kauf nehmen, einen korrekt entgegenkommenden Fahrer, ein Mädchen auf seinem Velo, eine an der Bushaltestelle wartende Familie totzufahren oder schwer zu verletzen.
«Autoraserei lässt sich als Symptom begreifen: ein Benzin gewordener Ausfluss von Testosteron.»
Mit seinem Auto durch die Gegend zu rasen, ist ungefähr so, als werfe man Steine auf die Autobahn: Man muss wissen, welche Gefahr man mit seinem Verhalten erzeugt. So gesehen, nehmen Raser eine Tötung in Kauf, denn ihr Auto funktioniert wie ein Geschoss. Auch wenn solche Männer abstreiten, andere Menschen zu gefährden, tun sie mit ihrer Fahrweise gerade das. Dass es sich bei ihnen meist um junge Männer handelt, belegt den Einfluss toxischer Männlichkeit auf das Fahrverhalten. Autoraserei lässt sich, so gesehen, als Symptom begreifen: ein Benzin gewordener Ausfluss von Testosteron.
Es ist aufschlussreich, dass der Nationalrat die zweite Lesung des Gesetzes mit einer so kurzen Behandlung quittierte. Der Rat liess nicht einmal über den richtigen, die Gesetzesmilderung weitgehend korrigierenden Rückkommensentscheid seiner Kommission abstimmen; es war gar kein Gegenantrag eingebracht worden.
Dieses stille Verhalten bei einem so kontroversen Thema lässt sich mit zwei eng aufeinander bezogenen Vorgängen erklären: einerseits mit der Demokratie in Aktion. Und andererseits mit den kommenden Wahlen.
Die Demokratie hat bei dieser Entscheidungskorrektur insofern funktioniert, als das Parlament ein garantiertes Referendum befürchten musste. Und weil die Empörung nach seinem Erstentscheid dermassen heftig ausgefallen war, hätte das Stimmvolk das Referendum wohl angenommen. Womit sich das Parlament landesweit blamiert hätte als Vasall der rasenden Politikerinnen und Politiker in seiner Mitte.
Dass sich am Dienstag nur einer von ihnen zu einem kurzen Protestkommentar hinreissen liess, zeigt den anderen Einfluss auf den Entscheid: Es sind die kommenden Wahlen. Also die vierjährliche Erinnerung an die Parlamentsmitglieder, dass nicht sie über das Volk bestimmen wie damals die DDR, sondern umgekehrt.
Wir sind das Volk.
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