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Parteivorsitz der Sozialdemokraten
Italiens Linke hofft auf die «Anti-Meloni» aus Lugano

Als sie ihre Kandidatur bekannt gibt, singt sie «Bella ciao»: Elly Schlein, die neue Hoffnung der italienischen Linken.
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Elly Schlein tritt meistens ungeschminkt auf, und das sollte man unbedingt doppeldeutig verstehen: ohne Make-up und ohne Verbalkosmetik. Für die italienische Politik ist das unüblich, die lebt vom Doppelspiel mit Sein und Schein. Schon deshalb ist Elena Ethel Schlein, wie die 37-jährige Aufsteigerin der Linken mit vollem Namen heisst, eine Erscheinung. Die Medien heften ihr gerade tausend Labels an, um sie irgendwie zu fassen. Am besten passt: «Anti-Meloni». Elly Schlein ist der Gegenentwurf zur postfaschistischen Premierministerin Giorgia Meloni, in fast jeder Hinsicht. Vielleicht ist das Duell der zwei Frauen Italiens Zukunft.

Als Elly Schlein nun in einem bekannten Lokal in Rom ihre Bewerbung für den Chefposten beim oppositionellen sozialdemokratischen Partito Democratico bekannt machte, sangen die Leute «Bella ciao», die Hymne der Antifaschisten. Als wäre das der Soundtrack ihrer Mission. Und sie sang laut mit. Eine Bühne gab es nicht, Elly Schlein stand mitten im Publikum, Jeans und weisse Turnschuhe, ein Notenständer mit den Notizen vor ihr. Die Partei müsse wieder erkennbar werden für ihre enttäuschte Basis, sagte sie: sozial, ökologisch, inklusiv. Linker, weltoffen, progressiv.

Sie sagt gerne direkt, was sie denkt und wer sie ist

Dafür steht sie mit ihrem Leben. Schlein ist die Tochter einer italienischen Rechtsprofessorin und eines amerikanischen Politologen, geboren wurde sie in Lugano, sie ist Dreifachbürgerin. Noch muss sie ihren Namen erklären, doch bald wird diese Geschichte wohl jeder Italiener kennen. Als ihr Grossvater Hermann Schleyen, ein Jude aus Lwiw in der heutigen Ukraine, in die USA floh, schrieb ein Einwanderungsbeamter in Ellis Island «Harry Schlein» ins Dokument, das höre sich amerikanischer an. Eine Einstiegshilfe.

Die rechte Presse nennt sie «Kommunistin» und «privilegierte Jüdin», es schwingt immer etwas Antisemitismus mit.

Für ihr Rechtsstudium zog Elly Schlein von Lugano nach Bologna. An der Fakultät begann sie, Politik für die Studenten zu machen, da schulte sie ihre Rhetorik. Sie sagt gerne direkt, was sie denkt und wer sie ist: «Ich liebte viele Männer, ich liebte viele Frauen, im Moment bin ich liiert mit einer Frau», sagte sie neulich. Im konventionellen Italien sind solche Sätze noch immer Aufreger.

Die rechte Presse nennt sie wahlweise eine «Kommunistin», eine «Antikapitalistin» und eine «privilegierte Jüdin». Vor allem die Zeitungen «La Verità», «Il Giornale» und «Libero» haben sich in sie verbissen, unterschwellig schwingt immer auch etwas Antisemitismus und Homophobie mit. In einer Fernsehsendung sagte sie dazu: «Wenn man diese Schlagzeilen liest, könnte man meinen, ich sei ein Komplott gegen das Land.»

Viele Stimmen von jungen Wählern und Klimabewegten

2008 und 2012 verbrachte sie viel Zeit in Chicago im Wahlkampfteam von Barack Obama. Aus dieser Zeit kommt ihre Überzeugung, dass man zu den Wählern hingehen müsse, mit Rucksack und Notizbüchlein, und ihnen zuhören, um sie zu verstehen. Die «Democratici» daheim waren gerade dabei, ihr Volk zu verlieren mit ihrem neoliberalen Kurs. Elly Schlein gründete die Bewegung «Occupy PD» und besetzte Parteisitze, um die Oberen aufzuwecken. So wurde sie bekannt. 2014 wählten sie die Italiener mit einem Glanzresultat ins Europaparlament. Doch die Partei rückte immer mehr ins politische Zentrum. Und so trat Schlein aus.

Ihr Gegenspieler ist Stefano Bonaccini, ein grosser Name der Partei – ausgerechnet. Aber das Rennen ist offen.

2020 nahm sie mit ihren «Coraggiosi», den Mutigen, bei den Regionalwahlen in der Emilia-Romagna teil. Sie gewann da so viele Stimmen von jungen Wählern, von Klimabewegten und desillusionierten Linken, dass der sozialdemokratische Präsident Stefano Bonaccini sie zu seiner Vize machte. Machen musste. Seit einigen Wochen ist Schlein nun Abgeordnete im italienischen Parlament.

Entschieden wird der Kampf um den Vorsitz der Partei in einer Wahl der Sympathisanten im kommenden März – und ausgerechnet Stefano Bonaccini ist dann ihr Rivale, ein grosser Name, Favorit auf dem Papier. Doch das Rennen ist offen. Sie steht ja erst am Anfang ihrer Reise durchs Land, mit Rucksack und Notizbuch.