Streit um Dublin-FlüchtlingeIst Italien auf Konfrontationskurs mit der EU?
Die Schweiz ging von einem kurzen Unterbruch über die Feiertage aus, doch Italien nimmt noch immer keine Flüchtlinge aus europäischen Staaten zurück. Was der Grund dafür sein könnte.
Flüchtlinge können in Europa in jenen Staat zurückgeschickt werden, in dem sie zuerst registriert wurden. So sieht es das Dublin-Abkommen vor. Doch zurzeit funktioniert das im Fall von Italien nicht: Italien hat die anderen Dublin-Staaten am 5. Dezember darüber informiert, dass es vorübergehend keine Flüchtlinge zurücknehme. Das Land machte technische Gründe geltend, im Zusammenhang mit fehlenden Aufnahmekapazitäten.
Die Schweizer Behörden rechneten im Dezember damit, dass Italien nach den Feiertagen wieder Flüchtlinge aufnehmen würde. Bis jetzt ist das jedoch nicht der Fall: Der Aufnahmestopp hält an. Davon betroffen ist der gesamte Dublin-Raum.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) geht weiterhin davon aus, dass der Aufnahmestopp bald aufgehoben wird. Die Europäische Kommission und die Schweiz seien in Kontakt mit den italienischen Behörden, schreibt es auf Anfrage. Das SEM betont zudem, dass die Schweiz weiterhin Dublin-Übernahmeersuchen an Italien stelle. Bloss der Vollzug sei ausgesetzt. Ein kurzzeitiger Aufnahmestopp sei verkraftbar, denn die Personen könnten nachträglich überstellt werden.
Asyldebatte anheizen
Doch die Situation hat auch eine politische Dimension. Fachleute gehen davon aus, dass die neue rechte Regierung Italiens mit dem Aufnahmestopp ein Zeichen senden will. Zwar fielen die Dublin-Fälle in Italien zahlenmässig im Vergleich zu den Ankünften über das zentrale Mittelmeer nicht stark ins Gewicht, sagt Adriana Romer, Dublin-Expertin bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. «Italien ist sich aber durchaus bewusst, dass der Aufnahmestopp in anderen Ländern innenpolitische Diskussionen auslöst.»
Dass Italien bei der Unterbringung ein Kapazitätsproblem habe, treffe zu, sagt Romer. Der Grund dafür seien aber nicht nur hohe Flüchtlingszahlen, sondern auch politische Entscheide. Unter dem früheren Lega-Innenminister Matteo Salvini hatte Italien die Gelder für die Unterbringung stark gekürzt. Viele Nichtregierungsorganisationen, die Unterkünfte betrieben, mussten sich daraufhin zurückziehen, da mit der staatlichen Entschädigung keine adäquate Unterbringung gewährleistet werden konnte. Flüchtlinge landeten auf der Strasse, was wiederum die öffentliche Diskussion anheizte – und jenen Parteien diente, die gegen Flüchtlinge und Migranten politisieren.
Versprechen nicht gehalten
Der Aufnahmestopp könnte Italien aber auch dazu dienen, Druck auszuüben mit Blick auf die Umverteilung von Flüchtlingen. «Bisher wurde Italien nur zögerlich unterstützt», sagt Romer. Die EU-Staaten hatten sich vergangenen Sommer auf einen Solidaritätsmechanismus geeinigt, um Italien, Griechenland, Zypern, Malta und Spanien zu unterstützen.
18 Staaten unterzeichneten eine entsprechende Erklärung. Sie willigten ein, den Mittelmeerländern Schutzsuchende abzunehmen oder die Länder finanziell zu unterstützen. Die Schweiz entschied sich für eine finanzielle Unterstützung. 13 Länder boten an, insgesamt mehr als 8000 Schutzsuchende aufzunehmen. Deutschland und Frankreich stellten die Übernahme von je über 3000 Flüchtlingen in Aussicht.
Doch bisher wurde das Versprechen nicht erfüllt: Italien konnte nur rund 200 Menschen an andere Staaten überstellen. Die Regierung in Rom hat dies wiederholt kritisiert. Frankreich wiederum liess verlauten, es werde Italien erst dann wieder Flüchtlinge abnehmen, wenn das Land es unterlasse, Rettungsschiffe von Hilfsorganisationen nach Frankreich zu schicken. Italien hatte einem Rettungsschiff die Einfahrt in einen Hafen verweigert, worauf das Schiff nach Frankreich fahren musste.
Der Aufnahmestopp könnte Italien dazu dienen, seinen Standpunkt zu verdeutlichen, sagen Fachleute. Dass Rom eine harte Konfrontation mit der EU riskiert und das Dublin-System grundsätzlich infrage stellt, halten sie aber für wenig wahrscheinlich. Dafür sei Italien zu abhängig von der EU. Am 26. Januar haben die Schengen-Innen- und -Justizminister Gelegenheit, das Thema zu erörtern – sofern Italien den Aufnahmestopp bis dahin nicht aufhebt.
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