Lesende fragen Peter SchneiderIst es richtig, dass Precht und Flasspöhler solche Beachtung bekommen?
Die Thesen der Populärphilosophen sind umstritten – und geniessen dennoch grosse Beachtung. Warum?
Wieso haben Philosophinnen und Philosophen ein so grosses Echo, selbst wenn sie seltsame Thesen verbreiten wie jüngst Precht und Flasspöhler? C.R.
Lieber Herr R.
Sie meinen z.B. das Gespräch zwischen den beiden im ZDF: «Sensibilisieren wir uns zu Tode?» Darüber haben bereits Daniela Janser (WOZ), Margarete Stokowski («Spiegel») und Julia Encke (FAS) kluge Kritiken geschrieben. Hier mein Senf dazu. Zu Beginn fragt Precht: «... welche ... Sensibilitäten sind berechtigte gesellschaftliche Ansprüche ...?» Flasspöhler findet es wichtig, «dass wir nicht nur die Betroffenenperspektiven zulassen, die ist unbedingt notwendig, das kann man übrigens auch daran sehen, ... wenn wir uns noch mal erinnern an den Holocaust, da hat man ja am Anfang immer gesagt: ‹Ja, ihr Juden, ihr könnt ja eh nichts dazu sagen zu dem ganzen Problem, ihr wart ja viel zu nah dran›, also daran sieht man, wie wichtig das ist, dass man die Betroffenenperspektive auch erst einmal hört, aber unbedingt notwendig ist es, diese Betroffenenperspektive zu vermitteln mit einer Nichtbetroffenenperspektive, zum einen weil wir alle in dieser Gesellschaft ... miteinander klarkommen müssen, aber natürlich auch, weil beide Positionen etwas sehen, was die jeweils andere nicht sieht. Also dieses Spiel ‹Ich sehe was, was du nicht siehst›, das müssten wir eigentlich miteinander spielen, um so zu einer höheren gemeinsamen Erkenntnis zu kommen.»
Sollten Sie sich, wie ich, über diesen perfiden Schwachsinn empört haben, liegen Sie also schon einmal falsch.
Diese Ungeheuerlichkeit wird in einem Plauderton vorgetragen, der auch bei der Wannsee-Konferenz geherrscht haben mag, als die Nichtbetroffenen («Wir sehen was, was ihr nicht seht») über das Schicksal der Betroffenen entschieden, die allerdings nicht zu Tode sensibilisiert, sondern vergast wurden. Precht findet, es sei leider nicht so, dass wir das «philosophisch begutachten, sondern wir erleben es eigentlich immer als Empörungen». Sollten Sie sich, wie ich, über diesen perfiden Schwachsinn empört haben, liegen Sie also schon einmal falsch. Bequemer liegen Sie, wenn Sie sich einlullen lassen von dergleichen Philosophie-Simulation, diesem Gemisch aus Halbwahrheiten, Zitaten, Plattitüden, Anekdoten und Fiktionen. Zum Beispiel der des woken Jan von Prenzlauer Berg, «der mit seiner Frau unglaublich liebevoll umgeht» und Vegetarier ist: «Der hat natürlich mit dem soldatischen Mann der 30er- und 40er-Jahre gar nichts mehr zu tun ... Und man könnte ja fragen: Was ist denn das Problem mit diesem Typen?» (F.) – «Kommt aber in Ihrer Beschreibung so erotisch vor wie Löschpapier. Man hat das Gefühl, er hat seinen männlichen Kern verloren.» (P.) Ich glaube, es ist der Jan in uns allen, der verhindert, dass wir den beiden das Mikrofon abdrehen, wie es ein richtiger Mann tun würde.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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