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Balearen-Insel Menorca
Ist diese Insel das bessere Mallorca?

Einfach mal runterfahren? Klappt auf Menorca ganz vorzüglich. 
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Schwestern: eine ganz besondere Beziehung. Mal grosse Liebe, mal grosse Konkurrenz, mal Desinteresse, mal Vorbild. Und wenn bei der einen etwas besonders gut klappt, warum soll es sich die andere nicht einfach abschauen? Und so schiebt Maria Caimaris die kleine Schlaufe am Ende der geflochtenen Schnur nun auf den Zeigefinger, hält das andere Ende mit dem Daumen fest und fängt an, locker aus dem Handgelenk zu schwingen. Immer schneller kreist das Seil über ihrem Kopf, und würde sie die Übung jetzt nicht abbrechen, dann flöge gleich eine Tomate durch die Markthalle von Maó, der Hauptstadt der Baleareninsel Menorca.

Die kleine, drahtige Händlerin mit den grau melierten, kurzen Haaren demonstriert keine neue Verkaufsstrategie, sondern eine mehr als zweitausend Jahre alte Kriegskunst, der die Balearen ihren Namen verdanken. «Balearides» hiessen sie im Altertum, die Inseln der Steinschleuderer. Römer und Karthager setzten gern auf die treffsicheren Kämpfer.

Maria Caimaris ist Gemüsehändlerin – und mehrfache Meisterin im traditionellen Steinschleudern. 

Was das mit der resoluten Marktfrau zu tun hat? Geschleudert wird auf den Balearen noch immer, ganz friedlich im sportlichen Wettkampf. Maria Caimaris ist mehrfache Meisterin. Und erreicht hat sie das doch tatsächlich mit der Schleudertechnik der Konkurrenz aus Mallorca, besagtem Zeigefingereinsatz, wo doch auf Menorca normalerweise der Mittelfinger durch die Schlaufe gesteckt wird. Und auf Ibiza der kleine Finger – und man ahnt, dass dieses Steinschleudern immer noch eine ziemlich wichtige Sache auf den Balearen ist. Dass man bei aller gemeinsamen Tradition Wert legt auf die feinen Unterschiede. Und sich ganz genau überlegt, was man sich vom anderen abschaut.

Kurz sprang man Ende der 1960er auf den Massentourismus-Zug auf. Aber schon ein paar Jahre später stellte man die Weichen neu. Kein Wachstum um jeden Preis, sondern alles etwas kleiner, verträglicher für Mensch und Umwelt.

In Sachen Tourismus zum Beispiel, da hätten sie es auf Menorca natürlich der fünfmal so grossen Schwester nachtun können. Schliesslich gibt es das, was sich der Erholung suchende Mittelmeerreisende wünscht, auch hier im Überfluss. Rund 100 Strände und Badebuchten findet man entlang der 200 Kilometer langen Küste. Son Bou im Südwesten zum Beispiel, zweieinhalb Kilometer Sand und Dünen. Die geschützte, mit Pinien bewachsene Cala Mitjana im Südosten. Die von roten Sandsteinen gerahmte Platja de Cavalleria im Norden.

Was für ein Strand darfs denn sein? Weisssandig wie an der Cala Son Bou …
… oder von Pinien umwachsen wie an der Cala Mitjana? 

Dazu zwei sehenswerte Städtchen: das elegante, einst von britischen Besatzern angelegte Maó mit seinem beeindruckenden Naturhafen im Osten, im Westen das mittelalterlich-verwinkelte Ciutadella. Doch der ausufernde Massentourismus, wie man ihn auf Mallorca findet, ist dort trotzdem nicht angekommen. Kurz sprang man Ende der 60er-Jahre auf den Zug auf, einige Hotel-Bausünden zeugen davon. Aber schon ein paar Jahre später stellte man die Weichen neu. Kein Wachstum um jeden Preis, sondern alles etwas kleiner, verträglicher für Mensch und Umwelt.

1400 verschiedene Blütenpflanzen, über 200 Vogelarten

«Es gab auf Menorca schon Ende der 1970er eine starke grüne Bewegung», erzählt Francis Hoare. Der Brite arbeitet seit 20 Jahren als Guide auf Menorca, ein Weltenbummler, der in Cambridge Geschichte studiert, in Indien und Mexiko gelebt hat und nach vielen Reisen schliesslich auf dieser gerade mal 50 Kilometer langen Insel im Mittelmeer sesshaft geworden ist. Und jetzt zählt er auf, wer noch alles hier sesshaft ist: 1400 unterschiedliche Blütenpflanzen zum Beispiel. Oder mehr als 200 Vogelarten, die kleinen, bunten Bienenfresser ebenso wie Geier mit zwei Metern Spannweite.

Hat in Cambridge Geschichte studiert, in Indien und Mexiko gelebt – und ist vor 20 Jahren glücklich auf Menorca gestrandet: Fremdenführer Francis Hoare.

1993 wurde Menorca zum Unesco-Biosphärenreservat erklärt, damit ist die ganze Insel eine Art Modell für nachhaltige Entwicklung. Mehr als die Hälfte der Fläche steht unter Naturschutz, auch der Rest ist überraschend grün. Kaum ausufernde Bebauung, nur ab und zu passiert man bei der Fahrt über Land eine weisse Finca hinter einem Olivenholztor – das Material dafür muss im Winter bei abnehmendem Mond geschnitten werden, erzählt Guide Francis. Man ist auch in den Kleinigkeiten traditionsbewusst geblieben auf Menorca.

Zur Käserei von Toni Bosch und Catalina Salom kommt man ebenfalls durch ein solches Tor. «Queso de Mahón», benannt nach der Inselhauptstadt in der kastilischen Schreibweise, stellen sie aus der Milch ihrer 45 schwarzweissen Kühe her. Es duftet würzig in der Käsekammer. Bis zu ein Jahr reifen die Laibe auf luftigen hölzernen Regalbrettern, müssen regelmässig gewendet, mit Olivenöl und Paprikapulver eingerieben werden. Doch zunächst einmal muss die Rohmasse in einem Tuch in Form gebracht werden. Drehen, drücken, pressen – die beiden tun das mit einer entspannten Gelassenheit, die einem immer wieder begegnet auf dieser Insel, einer Genügsamkeit im besten Sinne: Es ist gut so, wie es ist.

Toni Bosch und Catalina Salom stellen seit ein paar Jahren traditionellen «Queso de Mahón» her. 
Bis zu ein Jahr reifen die Laibe auf luftigen Holzregalen und müssen regelmässig gewendet, mit Olivenöl und Paprikapulver eingerieben werden. 

Der traditionellen Produktionsweise wohnt nichts Museales inne, erst vor sieben Jahren hat das Paar seinen Hof auf die Käseherstellung umgestellt. Seine Finca gehört zu einer Kooperative von mehr als 500 Landwirten, deren Ziel es ist, die traditionellen Produkte der Insel zu bewahren. Sie bieten Führungen an, beliefern Restaurants, verkaufen ihre Erzeugnisse in Hofläden und auf den Märkten. Die Idee des Biosphärenreservats umfasst weit mehr als die Ausweisung von Naturschutzgebieten: Es geht darum, umweltverträgliche Lebens- und Wirtschaftskonzepte für eine gesamte Region zu entwickeln.

Das passiert manchmal auch unsichtbar hinter den Mauern eines so gar nicht nachhaltig aussehenden Hotels aus den 70ern. Im Haus der spanischen Palladium-Gruppe beispielsweise, das nicht gerade dezent die hübsche Bucht von Arenal d’en Castell überragt, verbraucht man seit der jüngsten Totalsanierung nur noch Energie aus erneuerbaren Quellen, nutzt Lichtsensoren, um Strom zu sparen, und schliesst Lieferverträge vorrangig mit regionalen Erzeugern ab.

Orange Wine aus Tonamphoren

Spass daran, sich weiterzuentwickeln, haben sie auch auf dem Weingut Binifadet, das merkt man gleich, wenn Geschäftsführer Pau Puig Besucher zu den Reben führt und erzählt, was man gerade wieder Neues ausprobiert: neue Traubensorten, neue Methoden der Weinherstellung. In den überdimensionalen Amphoren aus Ton reift das Trendgetränk Orange Wine, ein auf besondere Weise hergestellter Weisswein. Pau Puigs persönlicher Favorit ist ein Chardonnay aus dem Eichenfass mit kräftigem Barrique-Geschmack.

 «Qualität ist uns wichtiger als Masse», sagt Pau Puig, Geschäftsführer auf dem Weingut Binifadet. 

Der Weinbau hat eine lange Tradition auf der Insel, bis im 19. Jahrhundert die Reblaus sämtliche Pflanzen vernichtete. Erst seit ein paar Jahrzehnten wird Wein wieder im grösseren Stil angebaut – wobei auch das relativ ist. 13 Hektaren ist das Weingut Binifadet klein, ein wenig will man noch wachsen, «aber Qualität ist uns wichtiger als Masse», sagt Puig. Es ist ein ganz besonderer Boden, auf dem die Reben gedeihen, herausfordernd und wertvoll zugleich, selten passt das Attribut «steinreich» so gut. Mühevoll zu bearbeiten sei der harte Grund, aber in der Lage, das Wasser besser zu speichern, erzählt der Winzer.

Teils jahrhundertealte Trockensteinmauern dienen als Grundstücksgrenzen und Windschutz. Insgesamt 11’000 Kilometer sollen es sein, passgenau ganz ohne Mörtel oder Zement zusammengefügt.

Aus den felsigen Brocken, die bei der Bearbeitung der Felder aus dem Boden geholt werden, entstehen Trockensteinmauern, seit Jahrhunderten schon. Ein dichtes Netz überzieht die Insel, sie dienen als Grundstücksgrenzen und Windschutz, sind Lebensraum für Reptilien und Insekten. Insgesamt 11’000 Kilometer sollen es sein, passgenau ganz ohne Mörtel oder Zement zusammengefügt. Und obwohl es eine ganze Reihe dieser kunstfertigen Steinbaumeister auf der Insel gibt, musste man einen Experten aus Mallorca holen, als es darum ging, den Camí de Cavalls zu restaurieren, den «Weg der Pferde».

Auf 185 Kilometern führt er rund um die Insel. Einst nutzten ihn Patrouillen zu Pferd, um Ausschau zu halten nach Piraten und anderen Feinden. Jetzt dient er als Wander-, Reit- und Veloweg, immer der Küste entlang, finanziert aus den Einnahmen der Nachhaltigkeitssteuer, die Touristen seit 2016 auf allen Baleareninseln entrichten müssen. Unter Gestrüpp und Erde suchte man nach der ursprünglichen Trasse, Pflastersteine mussten im Boden versenkt werden, um Lücken aufzufüllen; nur besagter Experte aus Mallorca beherrschte die Technik.

Auf dem rund um die Insel führenden Camí de Cavalls findet jeden Frühling ein Trail-Run für Hartgesottene statt: Fast 4,5 Marathons legen die Teilnehmer am Stück zurück, die schnellsten gar in unter unglaublichen 20 Stunden. 
Die ohne Mörtel oder Zement zusammengefügten Trockensteinmauern dienen nicht nur den Menschen als Windschutz und Grundstücksgrenzen, sondern sind auch Lebensraum für Reptilien und Insekten.

Einmal ganz rundherum, von Unterkunft zu Unterkunft, dafür fehlt es an einigen Stellen noch an Übernachtungsinfrastruktur. Und am Strand zu schlafen, das ist nur ohne Zelt gestattet. Aber es muss ja gar nicht gleich die grosse Tour sein. Schon eine Tagesetappe ist ein lohnender Ausflug, geht es doch von Bucht zu Bucht, immer wieder mit der Gelegenheit, ins türkisblaue Wasser abzutauchen.

Menorca ist nicht die Insel der Extreme. Die Wege sind kurz, die Städtchen gemütlich. Der höchste Gipfel, El Toro, auf dem eine Christus-Figur ihre Arme ausbreitet, misst gerade mal 357 Meter. Aber die Aussicht ist trotzdem schön von dort – und Mallorca nur ein Schatten, weit weg am Horizont. Und das ist völlig in Ordnung so.

Fast wie in Rio, allerdings ein bisschen kleiner: Am höchsten Punkt Menorcas, dem El Toro, breitet eine Christus-Figur ihre Arme aus.