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CO₂-neutrales Vorzeigeprojekt
Ist das die Zukunft des Wohnens?

Fassaden aus braunen und weissen Fotovoltaik-Modulen: Neue klimaneutrale Wohnüberbauung in Männedorf.
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Es ist nicht die Architektur, die beeindruckt. Darüber kann man bekanntlich streiten. Es sind die Gebäudehülle und das Innenleben der neuen Überbauung in Männedorf. Die beiden Mehrfamilienhäuser bieten nicht nur für 16 Familien komfortables Wohnen, sie sind gleichzeitig auch Solarkraftwerke.

Hier gibt es keine Eternitverschalung, die Fassaden bestehen aus weissen und braunen Fotovoltaikmodulen, ebenso das Dach. Ein cleveres Energiemanagement hat die Aufgabe, den anfallenden Solarstrom für den Haushalt sowie die Warmwasser- und Batteriespeicherung optimal einzusetzen.

Die Stiftung Umwelt Arena Schweiz fällt immer wieder durch Leuchtturmprojekte auf. Vor vier Jahren war es das weltweit erste energieautarke Mehrfamilienhaus in Brütten, das durch Solarfassade und -dach genügend Energie produziert, um zu jeder Zeit den gesamten Energiebedarf der Infrastruktur und der Bewohner zu decken. Die Überbauung in Männedorf ist nun eine Weiterentwicklung, sie ist aber nicht mehr ganz autark. Das Besondere an der Überbauung steckt im Grunde im Anschluss an das Erdgasnetz.

Methan als Stromspeicher

Die Bauherren überlegten sich, wie sie mit dem grossen Überschussstrom der Fotovoltaikanlagen im Sommer umgehen sollen. Rund ein Fünftel der Stromproduktion wird nicht verbraucht. Sie wussten aber auch, dass im Winter die «Solarkraftwerke» der Gebäude viel weniger Strom produzieren. Und Batterien eignen sich nicht als Langzeitspeicher.

Also entschieden sie sich für das Konzept, den überschüssigen Strom in Form von Methan längerfristig zwischenzuspeichern. Wie funktioniert das? Die elektrische Energie kann verwendet werden, um aus Wasser elektrolytisch Wasserstoff herzustellen. Das Gas wiederum wird chemisch mithilfe des Treibhausgases CO₂ in Methan verwandelt. CO₂ kann zum Beispiel aus der Umgebungsluft gefiltert werden. Die Fachleute sprechen dabei von «Power to Gas».

Kleine vertikale Windurbine kombiniert mit Fotovoltaik-Modul.  Das ermöglicht eine Stromproduktion bei Tag und Nacht.

Das synthetisch hergestellte Methan wird dann ins Schweizer Erdgasnetz gespeist. Das heisst: Der sommerliche Überschussstrom wird in Form von Methan im Erdgasnetz längerfristig gespeichert. In der Winterzeit wird dann die entsprechende Menge an Gas bei Bedarf aus dem Gasnetz entnommen, um es im hauseigenen Blockheizkraftwerk zu verbrennen. Dabei wird Strom und Wärme hergestellt. Bei der Verbrennung geht gleich viel CO₂ an die Luft verloren wie durch die Methansynthese verwendet wurde. Das Verfahren ist also CO₂-neutral. «So ist der Kreislauf geschlossen», sagt Stiftungspräsident Walter Schmid. Auf diese Weise sind die Häuser nicht auf Winterstrom aus dem Netz angewiesen.

Dieses Verfahren ist jedoch noch Zukunftsmusik. Die Methanherstellung ist heute in der Schweiz noch viel zu gering und um ein Vielfaches teurer als Erdgas. So wird vorläufig der überschüssige Solarstrom der Überbauung ins Stromnetz gespeist. Die entsprechende Energiemenge für den Winter wird dann aus dem Erdgasnetz in Form von Biogas entnommen, das aus der Vergärung von Abfallstoffen gewonnen wird und deutlich billiger ist.

Kein Energieverlust im Sommer

Für Walter Schmid ist die entscheidende Botschaft: «Der überschüssige Sommerstrom soll nicht einfach verloren gehen, sondern verwertet werden.» Und zwar in Form von Methan, das als saisonaler Speicher im Winter hilft, das Stromnetz zu entlasten. «Der Ausbau der Fotovoltaik, wie ihn die Revision des Energiegesetzes in Zukunft vorsieht, produziert so viel Solarstrom, dass selbst mit Zubau grosser Speicherkapazitäten ein nennenswerter Anteil im Sommer nicht nutzbar ist. Der Solarstrom fällt einfach zu konzentriert an», sagt Christian Bach vom Materialforschungsinstitut Empa in Dübendorf.

Stiftungspräsident Walter Schmid sieht in «Power to Gas» und im Biogas eine wichtige Energiequelle, um die vor allem in der Politik heraufbeschworene Energielücke im Winter zu verkleinern. Manche sehen ein grosses Energiemanko voraus wenn dereinst die Atomkraftwerke abgestellt und vor allem durch Solarkraft ersetzt sind. Schmid ist so überzeugt vom «Männedorf-Konzept», dass er am liebsten nur noch solche Häuser bauen möchte, wie er diese Woche an einer Medienkonferenz sagte.

Geht es ohne Gasspeicher?

Für Aeneas Wanner hingegen hat die Überbauung zwar Leuchtturmcharakter und zeigt, was technisch heute bereits möglich ist. «Wir müssen uns aber auch fragen, wie viel und wie effizient dezentrale «Power to Gas»-Anlagen zur Energielücke im Winter beitragen», sagt der Geschäftsführer von Energie Zukunft Schweiz, einer Beratungsorganisation für Energieeffizienz und erneuerbare Energie.

Das Schweizer Gasnetz könne Gas nur für mehrere Stunden speichern, nicht für die notwendigen Wochen im Winter mit mangelndem inländischem Stromangebot. «Es ist ein Stunden-, bestenfalls ein Tagesspeicher», sagt er.

«Wenn wir die inländische Speicherkapazität des Gasnetzes ausbauen wollen, dann wird es schnell einmal teuer.»

Aeneas Wanner, Geschäftsführer von Energie Zukunft Schweiz

Die Hochschule Rapperswil hat veranschaulicht, wie leistungsstark das Schweizer Gasnetz ist: Man müsste das Netz um ein Mehrfaches ausbauen, um den sommerlichen Überschussstrom, der durch den vorgesehenen Ausbau der Fotovoltaik in der Schweiz anfällt, langfristig in Form von Methan saisonal zu speichern. «Wenn wir die inländische Speicherkapazität des Gasnetzes ausbauen wollen, dann wird es schnell einmal teuer», sagt Aeneas Wanner.

Synthetische Energie in Form von Methan und anderen Kohlenwasserstoffen braucht es primär für den Luftverkehr, die Industrie und für Langstrecken-Lastwagen, und kaum für Heizungen oder Warmwasser. So sehen das auch Empa-Forscher in einem Positionspapier zu «Power to Gas»: Gegenwärtig und auch in naher Zukunft seien die Kosten für die Umwandlung von Strom in Methan oder andere synthetische Brennstoffe zu hoch, um sie wirtschaftlich für die Produktion von Wärme einzusetzen.

Als Treibstoffe seien sie jedoch eine Option. «In einem europäischen Energieverbund, in den die Schweiz eingebunden ist, sollte man zuerst Strom aus dem Netz direkt für Wärmepumpen verwenden, bevor man auf chemisch umgewandelte Energie zugreift», sagt Wanner.

Er ist überzeugt, dass sich auch ohne Strom aus den AKW bis 2050 der Winterstrom durch einen optimierten Verbund von Wind- und Solarkraft, Wasserkraft aus den Speicherseen und Stromimport decken lässt. Dazu komme noch die elektrische Speicherleistung der Batterien von Elektroautos, welche die grösste Zeit nicht unterwegs und am Netz angeschlossen seien.

Gasbranche wittert Chance

Liest man die Potenzialanalyse der Empa, so kann man wohl nicht gänzlich auf das Gasnetz verzichten. Der grosse Vorteil der synthetischen Treib- und Brennstoffe sei grundsätzlich, dass sie flexibel eingesetzt werden können – sei es für die Strom- und Wärmeproduktion oder als Treibstoff in der Mobilität.

Diese Flexibilität ist im künftigen Energiesystem, das von schwankenden Energiequellen abhängig ist, vorteilhaft. «Ziel muss es sein, möglichst wenig Strom für die Wärmepumpen im Winter zu verbrauchen», sagt Peter Richner von der Empa.

Das erreicht man durch eine entsprechend dämmende Gebäudehülle, thermische Wärmespeicher, ein optimales Energiemanagement – und auch durch den Einsatz von Biogas oder Methan in Blockheizkraftwerken im Haus oder im Quartier.

Bis 2050 soll die Gasversorgung gänzlich CO₂-neutral sein.

Ziel der Gasbranche

Die Schweizer Gasbranche setzt jedenfalls alles daran, das Gasnetz ins postfossile Zeitalter hinüberzuretten. Bereits 2016 beschloss sie, bis 2030 den Anteil von erneuerbaren Gasen wie Biogas oder Methan aus «Power to Gas»-Verfahren im gasversorgten Wärmemarkt für Haushalte auf 30 Prozent zu steigern. Bis 2050 soll die Gasversorgung gänzlich CO₂-neutral sein. Bei einer solchen Entwicklung machen Überbauungen wie in Männedorf Sinn.