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Ermittlungen gegen Israel
Droht Netanyahu ein Haftbefehl?

(FILES) Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu speaks during a joint press conference with the German Chancellor after their meeting in Jerusalem on March 17, 2024. (Photo by Leo Correa / POOL / AFP)
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Der Mann, der Benjamin Netanyahu schon bald gefährlich werden könnte, ist Mitglied der britischen Tory-Partei. Andrew Cayley, 59 Jahre alt, war bis vor kurzem ein ranghoher Staatsanwalt mit landesweiter Zuständigkeit in den Diensten Seiner Majestät, ernannt von der stramm konservativen Justizministerin Suella Braverman. Davor war er der höchste Militärstaatsanwalt des Königreichs. Jetzt hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag den Juristen abgeworben – für eine besondere Mission.

Cayley soll die Ermittlungen des IStGH in den Palästinensergebieten leiten. Es geht um Vorwürfe schwerer Kriegsverbrechen, begangen durch die radikalislamische Hamas, aber auch durch Israel. (Lesen Sie hier die aktuellen Entwicklungen zum Krieg in Nahost.) Die Ernennung Cayleys dürfte ein Zeichen dafür sein, wie ernst man es meint in Den Haag: Der dortige Chefankläger Karim Khan, ebenfalls Brite, eröffnet neben seinen aufwendigen Ermittlungen wegen russischer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine demonstrativ eine zweite grosse Baustelle.

Netanyahu rief eilig seine Berater zu sich

In Israels Regierung jedenfalls soll bereits die Sorge umgehen, dass ein Haftbefehl gegen Premier Netanyahu in Vorbereitung sei, ähnlich dem Haftbefehl, den der IStGH im vergangenen Jahr gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin ausgestellt hat. Einem Bericht des israelischen Nachrichtensenders N12 zufolge, den die «Jerusalem Post» aufgriff, rief Netanyahu deshalb in der vergangenen Woche seinen Strategieminister Ron Dermer, Justizminister Jariv Levin und Aussenminister Israel Katz zu einer eiligen Beratung zu sich.

Während Netanyahu auch die Aussenminister Grossbritanniens und Deutschlands in der vergangenen Woche auf den IStGH angesprochen und vorsorglich um Unterstützung gebeten haben soll, ist noch unklar, wie berechtigt die gesteigerte Nervosität in Jerusalem ist. Was immer in Den Haag geplant wird, geschieht hinter verschlossenen Türen. Gleichzeitig ist der Strafgerichtshof schon lange im Visier internationaler Spionage, selbst der deutsche BND hatte dort einmal Leitungen angezapft. Und dass Israel gut informiert ist, davon darf man ausgehen.

Rechtlich hätten die Den Haager Ermittler längst eine Handhabe, um gegen israelische Politiker oder Kommandeure vorzugehen. Israel ist dem Gerichtshof, der 1998 gegründet wurde, zwar nie beigetreten. Aber die palästinensische Autonomiebehörde ist 2015 dem IStGH beigetreten. Selbst wenn Palästina nicht universell als Staat anerkannt wird, hat der Strafgerichtshof dies nach jahrelanger Prüfung 2021 akzeptiert – und kann deshalb jeden ins Visier nehmen, der auf palästinensischem Territorium Völkerrechtsverbrechen verübt. Auch im Gazastreifen, selbst wenn dort die Autonomiebehörde über keine Macht verfügt.

Gewarnt hatte Chefankläger Karim Khan schon im November

Gründe, die Geduld zu verlieren, gäbe es für den Den Haager Chefankläger Karim Khan ohnehin. Nachdem er zu Beginn des Gazakriegs im vergangenen November in die Region gereist war und eine «Warnung» an die Konfliktparteien ausgesprochen hatte, dass Kriegsverbrechen «Konsequenzen» haben würden, ist von Mässigung wenig zu sehen, eher im Gegenteil.

Ein Haftbefehl aus Den Haag wäre für Israel wesentlich einschneidender als die jüngst von den USA angedrohten Sanktionen gegen eine Einheit der israelischen Armee, das Netzah-Yehuda-Bataillon, das im palästinensischen Westjordanland Verbrechen verübt haben soll. Es wäre auch einschneidender als der Beschluss der EU in der vergangenen Woche, erstmals israelische Siedler wegen Übergriffen auf Palästinenser im Westjordanland zu sanktionieren. Vier Einzelpersonen und zwei Organisationen sind dabei von Geschäften in der EU ausgeschlossen worden.

Israel's Prime Minister Benjamin Netanyahu (C) is advised as he chairs a cabinet meeting at the Kirya military base, which houses the Israeli Ministry of Defence, in Tel Aviv on December 24, 2023. (Photo by Ohad Zwigenberg / POOL / AFP)

Denn erstens zielen strafrechtliche Anklagen in Den Haag nicht nur darauf ab, Menschen logistisch oder wirtschaftlich zu isolieren – das Ziel besteht vielmehr darin, dass Menschen im Gefängnis landen. Und zweitens arbeiten sich die Ankläger in Den Haag üblicherweise nicht langsam von unten durch die Befehlskette hoch, sondern konzentrieren sich gleich auf Befehlshaber und Politiker, die an der Spitze stehen. Im Fall des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gibt es nur zwei Haftbefehle: gegen Wladimir Putin und gegen seine «Kommissarin für Kinderrechte», Maria Lwowa-Belowa.

Ergehen Haftbefehle, dann wohl auch gegen Hamas-Anführer

Wenn der IStGH einen Haftbefehl ausstellt, sind seine 125 Mitgliedstaaten vertraglich dazu verpflichtet, die betreffende Person auszuliefern. Dazu zählen sämtliche EU-Staaten, jedoch nicht die USA. Für israelische Spitzenpolitiker würde dies bedeuten, dass Auslandsreisen sehr erschwert würden. Umgekehrt wären Besuche europäischer Politiker bei derart gebrandmarkten Personen in Jerusalem nur noch schwer vorstellbar.

In der Vergangenheit hat sich der IStGH oft bemüht, alle Parteien eines Konflikts gleichermassen streng anzugehen. Würden Haftbefehle gegen Israelis ergehen, wäre deshalb zu erwarten, dass im selben Atemzug auch Haftbefehle gegen Kommandeure der Hamas verkündet werden würden. Rein praktisch wäre dies für die Hamas-Leute aber wenig bedeutsam. In weite Teile der Welt können sie ohnehin nicht mehr reisen. Und unter den muslimischen Nachbarstaaten ist bis auf Jordanien und Tunesien fast niemand dem IStGH beigetreten.

Das Emirat Katar, in dem der Politbüro-Chef der Hamas, Ismail Hanija, sich derzeit aufhält, gehört nicht dazu. Ebenso wenig die Türkei, in der er schon einmal im Exil lebte und wohin er wegen Streits mit Katar womöglich bald zurückkehren könnte.