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Hilfsgelder für die UNRWA
Cassis kämpft für Palästinenser-Hilfswerk – und hat die eigene Partei gegen sich

Bundesrat Ignazio Cassis, links, und Bundesraetin Karin Keller-Sutter, rechts, sprechen waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 8. Juni 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Streicht die Schweiz mitten im Krieg der wichtigsten humanitären Organisation im Gazastreifen das Budget? Der Streit um die Millionen ans Palästinenser-Hilfswerk UNRWA spitzt sich zu. Nachdem sich der Nationalrat in der laufenden Wintersession bereits zweimal für die Streichung der 20 Millionen Franken ausgesprochen hatte, hielt der Ständerat am Dienstagmorgen zum zweiten Mal dagegen. Der Streit ist in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich – und stellt vor allem für die FDP eine Zerreissprobe dar.

Hintergrund ist die umstrittene Arbeit der UNRWA. Das UNO-Hilfswerk betreibt im Gazastreifen Schulen, Spitäler – und zuletzt vor allem Notunterkünfte für 1,3 Millionen Menschen, die vor dem Krieg flüchten. Inmitten dieser humanitären Notlage will die Mehrheit des Nationalrats dem Hilfswerk den Geldhahn zudrehen. Begründet wird dies mit Vorwürfen, wonach an den UNRWA-Schulen antisemitische Lehrmittel benutzt und Leute eingestellt werden, die in den sozialen Medien zu Hass und Gewalt gegen Juden aufrufen. (Lesen Sie hier, wie der Schweizer Chef der UNRWA auf die Vorwürfe reagiert.)

Auf der einen Seite: die SVP, die das Streichen der Millionen angestossen und sowohl die klare Mehrheit der Mitte-Fraktion als auch das Gros der FDP überzeugt hat.

Auf der anderen: die Linken, die GLP, die EVP und der Bundesrat. Allen voran Aussenminister Ignazio Cassis. Zwar hat auch der FDP-Magistrat die Rolle der UNRWA schon kritisiert. 2018 etwa warf er dem Hilfswerk vor, den Frieden in der Region eher zu behindern als zu fördern. Doch zum jetzigen Zeitpunkt die Gelder zu streichen, versucht Cassis zu verhindern – mit dem Support des Gesamtbundesrats. Denn dieser hat dem UNRWA das Geld eigentlich bereits versprochen.

Die Schweiz gehört zu den zehn wichtigsten Geldgeberinnen des UNO-Hilfswerks überhaupt – und wäre die erste, die diesen Schritt vollziehen würde.

FDP fällt eigenen Bundesräten in den Rücken

Um die Streichung zu verhindern, ging Cassis persönlich in die Finanzkommissionen des National- und des Ständerats, obwohl für den Voranschlag grundsätzlich Finanzministerin Karin Keller-Sutter zuständig ist. Dass die zuständigen Bundesräte ihre Budgetposten verteidigen, ist an sich üblich. Nur findet das im Normalfall viel früher im Prozess statt – und nicht wenige Tage vor dem Entscheid im Plenum. Denn der Antrag auf die Kürzung wurde erst in der ersten Sessionswoche eingereicht.

Cassis warnte vor einem Reputationsschaden, den eine solche Kürzung für das Hilfswerk nach sich ziehen könnte. Zuerst überzeugte der Aussenminister die Finanzkommission des Nationalrats, von der Streichung der Gelder abzusehen. Nur konnte diese den Nationalrat nicht umstimmen. Alle Hoffnung lag auf der FDP – nicht zuletzt, da sich auch Finanzministerin Karin Keller-Sutter in der Debatte hinter ihren Kollegen stellte. Doch die grosse Mehrheit der Freisinnigen stimmte am Montag erneut dafür, das Geld zu streichen – und fiel damit ihren beiden Bundesräten in den Rücken.

epa11017987 Palestinians inspect a destroyed house of the Baraka family following Israeli airstrikes, in Deir Al Balah, central Gaza Strip, 08 December 2023. Israeli forces resumed military strikes on Gaza after a week-long truce expired on 01 December. More than 15,000 Palestinians and at least 1,200 Israelis have been killed, according to the Gaza Government media office and the Israel Defense Forces (IDF), since Hamas militants launched an attack against Israel from the Gaza Strip on 07 October, and the Israeli operations in Gaza and the West Bank which followed it. The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) stated that most civilians in the Gaza Strip are in 'desperate need of humanitarian assistance and protection'.  Approximately 1.8 million inhabitants, which amounts to nearly 80 percent of the population, are displaced within Gaza, and all of Gaza's 2.3 million residents 'lack sufficient food and clean water, and face malnutrition'.  EPA/MOHAMMED SABER

Darunter FDP-Nationalrat Peter Schilliger: «Es war für uns als Finanzkommission eine schwierige Entscheidung. Ich bin ja Finanzpolitiker und kein Aussenpolitiker.» Er findet aber, die Kritik der SVP habe «eine gewisse Glaubwürdigkeit», schliesslich hätten mehrere SVP-Parlamentarier UNRWA-Einrichtungen besucht. Im Januar waren sie eigens nach Bethlehem gereist, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Sie erhielten jedoch kaum Einblick, wie sie danach monierten. Die Deutschschweizer Freisinnigen stimmten fast geschlossen für die Budgetstreichung; dagegen votierte ein Teil der welschen Freisinnigen, unter ihnen auch der FDP-Fraktionschef Damien Cottier.

Nach der Nationalratsschlappe griff Cassis erneut ein. Am Montagabend wurde er in der ständerätlichen Finanzkommission vorstellig. Um die vollständige Streichung zu verhindern, schlug die Finanzkommission des Ständerats einen Kompromiss vor, der anschliessend auch im Ratsplenum eine Mehrheit fand. Zwar soll bei der humanitären Hilfe Geld gekürzt werden, aber nur die Hälfte, nämlich 10 Millionen. Zudem will der Ständerat offenlassen, wo das Geld eingespart wird. Damit könnte das EDA, wenn es will, die UNRWA letztlich ganz verschonen.

Nun geht das Geschäft zurück – und damit zum dritten Mal – in den Nationalrat. Er entscheidet am Mittwoch.

Trumpsche Verhältnisse?

Die SVP wird sich von ihrer Forderung nicht abbringen lassen. SVP-Nationalrat David Zuberbühler spricht von einem «faulen Kompromiss». Zuberbühler war es, der ursprünglich den Antrag zur Streichung der UNRWA-Gelder eingereicht hat. «Entweder man ist für Antisemitismus oder dagegen. Mit diesem Kompromiss ist das Problem nicht gelöst, weil die Kürzung nicht direkt die UNWRA betreffen würde.» Sowieso habe das Parlament kürzlich einem Nachtragskredit von 90 Millionen zugestimmt, um das Leid der Menschen im Nahen Osten zu lindern. «Darum finde ich die Streichung der UNRWA-Finanzmittel nicht problematisch.»

Nationalrat David Zuberbuehler, SVP-AR, spricht neben Nationalraetin Jacqueline Badran, SP-ZH, an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 18. Dezember 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

Froh um den Ständeratskompromiss ist hingegen SP-Nationalrätin Sarah Wyss, die neu die Finanzkommission präsidiert. Und sich klar gegen die Streichung der Gelder positioniert. «Es geht hier um eine aussenpolitische Entscheidung mit enormer Tragweite», mahnt Wyss. Und fragt: «Wollen wir uns auf Trumps Niveau herunterlassen?»

Donald Trump legte während seiner US-Präsidentschaft 2018 die Millionenbeiträge an die UNRWA eine Weile auf Eis. Er machte die palästinensische Führung für den Stillstand im Verhandlungsprozess mit Israel verantwortlich. Heute sind die USA mit 344 Millionen Dollar wieder der wichtigste Geldgeber.

Für GLP-Nationalrat Martin Bäumle handelt es sich längst nicht mehr um eine finanzpolitische Debatte. «Faktisch ist es eine um den Israel-Palästina-Konflikt, in dem es für viele Politiker nur noch Schwarz und Weiss gibt.» Bäumle sagt, die UNRWA sei eine der wenigen Organisationen, die im Gazastreifen überhaupt noch humanitär arbeiten könnten. «Wenn die Schweiz diese Gelder streicht, stellt sie ihre eigene humanitäre Rolle infrage.» Gleichzeitig erwarte er vom EDA, dass es noch viel strenger als bisher kontrolliere, ob die Schweizer Gelder von der UNRWA korrekt eingesetzt würden.

Das war auch Teil des Deals, den Cassis mit der ständerätlichen Finanzkommission ausarbeitete. Die kleine Kammer verlangt, dass der Bundesrat den Aussenpolitischen Kommissionen regelmässig Bericht über die UNRWA erstattet.

Am Mittwoch wird nun nochmals der Nationalrat darüber entscheiden. Entscheidend dürfte sein, ob die FDP-Fraktion ihrem Bundesrat diesmal folgt – oder ob sie ihn erneut desavouiert.

In einer ersten Version des Artikels war die Positionierung der Mitte-Fraktion nicht präzise wiedergegeben. Richtig ist, dass in der ersten Abstimmung die beiden EVP-Nationalräte, die der Mitte-Fraktion angehören, gegen die Streichung der UNRWA-Gelder stimmten. In der zweiten Abstimmung lehnten noch fünf weitere Mitte-Parlamentarier die Kürzung ab.