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Eskalation in Nahost
Israel hat viele Angriffs­ziele – aber hat es auch einen Plan?

TOPSHOT - Men ride a motocycle past destruction at the site of an overnight Israeli airstrike that targeted Beirut's southern al-Jamous suburb, on October 3, 2024. Israel carried out a deadly air raid on October 3 in central Beirut after eight ground troops were killed near the Lebanese border, as it traded threats with its arch foe Iran over possible future attacks. (Photo by Anwar AMRO / AFP)
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In Kürze:
  • Israelische Luftangriffe trafen ein Spital im Zentrum von Beirut.
  • Mindestens neun Mitarbeitende des Gesundheitszentrums starben bei dem Angriff.
  • Josep Borrell nannte den Angriff eine Verletzung des Völkerrechts.
  • Israels Ministerpräsident will die Hizbollah vollständig besiegen.

In der Nacht auf Donnerstag traf es ein Spital der Hizbollah im Zentrum von Beirut, der Knall war in der ganzen Stadt zu hören. Das Gebäude des islamischen Gesundheitsausschusses liegt nur wenige Hundert Meter vom libanesischen Parlament und vom Sitz des Ministerpräsidenten entfernt. Die Angriffe haben damit das Zentrum Beiruts erreicht, die israelische Armee sprach alsbald davon, mit der Aktion eine Kommandozentrale der Hizbollah ins Visier genommen zu haben. Die libanesischen Gesundheitsbehörden, die nicht von der Hizbollah kontrolliert werden, teilten mit, dass bei dem Angriff mindestens neun Mitarbeiter des Gesundheitszentrums ums Leben gekommen seien.

Josep Borrell, der Aussenbeauftragte der Europäischen Union, sprach danach von einer «Verletzung des Völkerrechts». Die Hilfsorganisation Rotes Kreuz meldete wenig später vier verletzte Sanitäter, die im Süden des Landes den Opfern eines israelischen Angriffs hätten helfen wollen. Auch ein Soldat der libanesischen Armee kam den Angaben zufolge ums Leben, obwohl sich die Streitkräfte gar nicht am Konflikt zwischen der Hizbollah und Israel beteiligen und sich aus weiten Teilen des Landes zurückgezogen haben.

Seit zwei Wochen geht Israel massiv gegen die Hizbollah vor, liess Tausende Pager ihrer Mitglieder explodieren, verstärkte seine Luftangriffe und tötete am vergangenen Freitag Hassan Nasrallah, den Führer der Terrorgruppe (lesen Sie hier über Nasrallahs Interimsnachfolger). Wenig später kamen die ersten israelischen Bodentruppen über die Grenze für eine «begrenzte, lokalisierte und gezielte» Aktion. So teilte es das israelische Militär anfangs mit. Daraus sind in wenigen Tagen nun die – sieht man von Gaza ab – intensivsten Luftangriffe aller Konflikte und Kriege der vergangenen zwanzig Jahre geworden, so hat es die britische Konfliktbeobachtungsorganisation Airwars errechnet.

Netanyahu will die Hizbollah ganz «besiegen»

Etwa 4000 Ziele hat die israelische Luftwaffe in den vergangenen Tagen getroffen, etwa eine Million Menschen sind auf der Flucht, ein Fünftel der Bevölkerung des Libanon. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu spricht mittlerweile nicht mehr von einer begrenzen Operation im Nachbarland, von dem aus die Hizbollah seit dem 8. Oktober 2023 etwa 1700 Raketen auf Israel abgefeuert, 30 Menschen getötet und 60’000 zum Verlassen ihrer Häuser gezwungen hatte. Deren Rückkehr gab Netanyahu noch vor wenigen Tagen als Ziel aus, mittlerweile spricht er aber davon, die Hizbollah ganz «besiegen» zu wollen. Bereits Ende des vergangenen Jahres hatte der Ministerpräsident damit gedroht, «Beirut und den südlichen Libanon in den Gazastreifen zu verwandeln».

In Gaza kämpft Israel nun seit fast einem Jahr, offenbar mehr als 40’000 Menschen sind getötet worden, darunter viele Frauen und Kinder. Ein Sieg gegen die Hamas ist trotzdem in weiter Ferne. Die Hizbollah ist nach Ansicht vieler Experten aus militärischer Sicht ein viel stärkerer Gegner. Sie gründete sich, nachdem Israel bereits 1978 und 1982 ins Nachbarland Libanon einmarschiert war, damals, um die PLO zu vertreiben. Die nächste Invasion kam 2006 und dauerte 34 Tage. Seitdem bereiten sich beide Seiten auf den nächsten Krieg vor.

Die Hizbollah scheint schwächer als gedacht

Fast ein Jahr lang beschossen sich Israel und die Hizbollah gegenseitig mit Raketen, eine Ausweitung des Konflikts schien aber lange unwahrscheinlich angesichts des riesigen Waffenarsenals der Hizbollah: bis zu 150’000 Raketen und Projektile, die selbst Tel Aviv erreichen können. Nachdem es Israel aber gelungen war, mit den Pagern erst einen engen Kreis von Hizbollah-Mitgliedern zu verletzen und schliesslich mit Drohnen- und Luftangriffen fast die gesamte militärische Führung zu töten, scheint die Hizbollah gerade viel schwächer als gedacht.

Ein vollständiger Sieg über die Hizbollah, wie es Netanyahu vorschwebt, wäre für Israel aber wohl nur schwer umzusetzen. Die Hizbollah hat ihre Waffen im ganzen Land verteilt, viele Raketen sind im Norden stationiert, in der Bekaa-Ebene, die für israelische Bodentruppen nicht so einfach zu erreichen ist. In den Bergen im Süden hat sich die Hizbollah mit Tunneln in die Felsen eingegraben, die durch Luftschläge nicht so einfach zu zerstören sind. In der Luft hat Israel zwar eine totale Überlegenheit, am Boden würde Netanyahus Armee von der Hizbollah bei einem Grosseinmarsch aber ein verlustreicher Guerillakrieg aufgezwungen werden. Das israelische Militär bestätigte bereits den Tod von acht Soldaten.

TOPSHOT - Relatives and friends mourn by the grave of Israeli soldier Eitan Itzhak Oster killed in fighting in the northern border area with Lebanon, during his funeral  at the Mount Herzl Military Cemetery in Jerusalem on October 2, 2024. Confirmation of the fighting in two areas of the border came hours after Iran launched its second-ever direct attack on Israel, with the Israeli army announcing that eight soldiers have been killed so far in combat in southern Lebanon. (Photo by Ahmad GHARABLI / AFP)

Die Hizbollah verfügt wahrscheinlich über 30’000 Kämpfer und 20’000 Reservisten, viele von ihnen sind anders als die Hamas kriegserfahren, haben in Syrien an der Seite von Bashar al-Assad gekämpft. Die Gruppe verfügt nach Ansicht vieler Analysten über präzisionsgelenkte Raketen, manche davon mit Sprengköpfen von 500 Kilogramm Gewicht und einer Zielgenauigkeit von zehn bis 50 Metern, die über mehr als 100 Kilometer weit fliegen könnten. Noch sind sie nicht benutzt worden, womöglich, weil die Paten der Hizbollah in Teheran noch hoffen, eine weitere Eskalation mit Israel zu vermeiden.

Zweimal schon musste Israel sich aus dem Libanon zurückziehen, ohne seine Ziele erreicht zu haben. Und wie auch in Gaza gibt es bisher zwar viele militärische Ziele, die durch den Krieg erreicht werden sollen – aber kein Szenario für danach.