Präsidentschaftswahl im IranDie Mullahs laden zur Stichwahl
Wahl? Das Wort müsste man in der Islamischen Republik eigentlich in Anführungszeichen setzen. In der ersten Runde schaffte jedenfalls kein Kandidat die absolute Mehrheit – in einer Woche sollen sich die Menschen jetzt zwischen zweien entscheiden: einem Reformer und einem Ultrakonservativen.
Als Erstes legt sie das Tuch ab, die junge Frau, als sie am Freitag, dem Tag der Präsidentschaftswahl, aus dem iranischen Konsulat in Istanbul kam. Noch auf den Stufen des Konsulats nimmt sie es vom Kopf und lässt es in der Handtasche verschwinden. Als hätte sie sich nur verkleidet für die paar Minuten auf iranischem Hoheitsgebiet. Ihrem Staat. Fürs Abgeben ihrer Stimme.
Wen sie gewählt hat? «Pezeshkian», sagt sie. Den Reformer. «Er ist besser als die anderen.» Glaubt sie, dass er als Präsident in der Islamischen Republik etwas ändern werde? Sie zögert. «Wenn sie ihn lassen», sagt sie. Sie, das sind die Männer des Regimes. Die standen nicht zur Wahl.
Masoud Pezeshkian ist der Name, den sie in Istanbul fast alle sagen, fragt man sie beim Verlassen des Konsulats, für wen sie sich entschieden haben. Hier, in der Stadt, in der sie nicht die Sittenpolizei fürchten müssen, wenn sie ihr Haar zeigen. Und fast alle antworten wie die junge Frau, fragt man sie nach ihrem Grund: Pezeshkian sei besser oder weniger schlimm als die Alternativen.
Die Mehrheit geht gar nicht wählen
Scheint, als hätten auch im Land selbst viele so gedacht. Jedenfalls unter denen, die wählen gingen – das waren offenbar rund 40 Prozent, noch weniger als bei der Präsidentschaftswahl 2021. Die Mehrheit boykottierte diese Wahl also. Allein das Wort, Wahl, hätte in Iran ja Anführungszeichen verdient: Von den 80 Kandidaten, die Präsident werden wollten, liess der konservative Wächterrat der Mullahs nur sechs zu, wovon sich zwei am Ende zurückzogen. Und doch steht das Land jetzt vor einer Alternative.
Masoud Pezeshkian, der einzige Reformer unter den Kandidaten, hat es in die Stichwahl am kommenden Freitag geschafft. Er bekam laut Auszählungsstand am Samstagmittag etwa 42,5 Prozent der Stimmen, damit liegt er knapp in Führung. Sein Gegner in der Stichwahl heisst Saeed Jalili, ein ultrakonservativer Hardliner, er kam auf 38,6 Prozent. Der Dritte, dem viele gute Chancen zugerechnet hatten, Mohammad Bagher Ghalibaf, ist mit 13,8 Prozent aus dem Rennen.
Ein Präsident mit wenig Handlungsspielraum
Pezeshkian, der Reformer, hat nie Zweifel daran gelassen, dass auch er ans herrschende System glaubt, dass er als Präsident dem obersten Führer, Ayatollah Ali Khamenei, die Treue halten würde. Der hat in allen wichtigen Fragen das letzte Wort. Im Wahlkampf machte Pezeshkian keine übertrieben grossen Hoffnungen. Es läge zum Beispiel ausserhalb seiner Macht, sollte er Präsident werden, die politischen Gefangenen freizulassen.
Immerhin liess Pezeshkian es zu, dass junge Frauen und Männer ihm bei seinen Auftritten die Meinung sagten, teils so offen wie lange nicht mehr. Vor den Wahlen war Pezeshkian kein allzu bekannter Politiker, er sass im Parlament, war früher mal Gesundheitsminister. Viele schienen ihn, anders als seine Gegner, sympathisch zu finden: einen Herzchirurgen, der nach dem Unfalltod seiner Frau die Kinder allein grosszog. Einer, der versicherte, er wolle niemandem vorschreiben, wie er sich zu kleiden habe – oder eben sie.
Bloss, auch an der Verhüllungspflicht könnte ein Präsident Pezeshkian wohl nichts ändern, selbst, wenn er wollte. Die Iranerinnen und Iraner stimmten am Freitag allenfalls darüber ab, welche Atmosphäre in ihrem Land die nächsten Jahre herrschen soll. Und Pezeshkians Wähler dürften, wie die junge Frau in Istanbul, nicht nur für ihn gestimmt haben, sondern vor allem gegen seine Gegner.
Der «lebende Märtyrer» verachtet den Westen
Vor allem gegen den Mann, dem nun in der Stichwahl wohl die Stimmen aller Konservativen sicher sind: Saeed Jalili, ein radikaler Ideologe. Kurz vor den Wahlen noch soll der Kommandeur der mächtigen Revolutionsgarden versucht haben, ihn zum Aufgeben zu bewegen. Zu riskant fänden die Garden den Mann, hiess es, gerade in diesen Wochen, in denen im Nahen Osten wieder die Kriegsgefahr steigt.
Jalili ist ein Vertrauter von Ali Khamenei, des Obersten Führers, er hat einige Jahre lang dessen Büro geleitet. Seine Anhänger nennen ihn, weil er im Iran-Irak-Krieg ein Bein verlor und eine Prothese trägt, den «lebenden Märtyrer». Später führte Jalili die Verhandlungen mit dem Westen über das iranische Atomprogramm, bis 2013 – in den Jahren bewegte sich so gut wie nichts. Zu dem Deal, später von Donald Trump aufgekündigt, kam es erst nach Jalilis Ausscheiden. Der verachtet den Westen zutiefst.
So radikal ist Saeed Jalili, dass er bei früheren Wahlen, er wollte schon öfter Präsident werden, enttäuschend abschnitt – er war selbst konservativen Wählerinnen und Wählern zu ideologisch. Diesmal profilierte er sich neben Ghalibaf, den Korruptionsvorwürfe verfolgen. Jalili gab sich als Vertreter der wahren Werte der islamischen Revolution.
Als Präsident wäre Jalili, wie schon der verunglückte Ebrahim Raisi, nichts weiter als die ausführende Kraft des Obersten Führers. Allerdings eine Kraft, der persönlich viel an Konfrontation liegt. Der Iran baut aktuell wieder seine Kapazitäten zur Urananreicherung aus, Jalili würde es lieben, dem Westen und den Israelis mit der Atombombe zu drohen. Vor einigen Jahren forderte er das Volk auf, mehr Kinder zu bekommen – das sei wichtig für die «militärische Macht».
Mehr Kinder, mehr Soldaten, so denkt Jalili. Masoud Pezeshkian konterte im Wahlkampf mit seiner eigenen Militärerfahrung, auch er kämpfte im Iran-Irak-Krieg, jenem Krieg, der die Männer des Regimes bis heute prägt. Und auch Pezeshkian betonte, wie stolz er auf die Revolutionsgarden sei und auf das iranische Raketenprogramm. Die politischen Gefangenen im Teheraner Evin-Gefängnis allerdings boykottierten die Wahl am Freitag.
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