Interview zur Zürcher Spitallandschaft«Zwischen Rapperswil und Zürich wird es keine Spitäler mehr brauchen»
Regionalspitäler wie in Wetzikon hätten kaum Zukunft, sagt Gesundheitsökonom Heinz Locher. Er denkt die Gesundheitsversorgung radikal neu.

Gesundheitsökonom Heinz Locher kennt die Spitallandschaft im Zürcher Oberland sehr gut, obwohl er selber Berner ist, in Bern lebt und dort gearbeitet hat – beispielsweise als Generalsekretär der Berner Gesundheitsdirektion. Als Projektleiter bei der Fusion der Spitäler Rüti, Wald und Bauma mit dem Spital Wetzikon hat er sich bereits vor über 20 Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, wie viele Spitäler es im Zürcher Oberland braucht. Heute ist er noch mehr als damals überzeugt: Das bisherige Gesundheitssystem kann längerfristig nicht aufrechterhalten werden.
Herr Locher, das Gesundheitszentrum Zürcher Oberland (GZO) will das Spital Wetzikon retten und präsentiert am Freitag seine Sanierungspläne. Was würden Sie den Spitalverantwortlichen raten?
Das Wichtigste ist, dass keine Hektik ausbricht und es in Wetzikon beispielsweise zu einer überstürzten Schliessung kommt. Denn jede Hektik führt zu Schäden wirtschaftlicher Art, für Patientinnen und Patienten und für das Personal. Jetzt muss sich das Spital Wetzikon auf seine Stärken konzentrieren. Ausserdem wäre wichtig, dass sich die Spitäler Wetzikon und Uster zusammenraufen. Am besten schon ab Januar 2025.
So schnell? Keine Chance!
Damit das klappt, müsste die Gesundheitsdirektion jetzt durchgreifen. Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli könnte die Spitäler Uster und Wetzikon zur Zusammenarbeit zwingen. Sie könnte alle aktuellen Aufträge sistieren, bis die beiden Spitäler sich auf ein gemeinsames Angebot einigen. Es braucht nicht zwei oder mit Männedorf sogar drei Spitäler im Zürcher Oberland, die praktisch genau dasselbe tun. In Zukunft wird es zwischen Zürich und Rapperswil sowieso keine Regionalspitäler mehr brauchen – so meine These.
Sie würden also das ganze Gesundheitssystem auf den Kopf stellen?
Ich würde es vom Kopf auf die Füsse stellen. Die Gesundheitspolitik darf nicht mehr nur Spitalbaupolitik sein. Wir müssen nicht schauen, wie wir unsere Spitalgebäude füllen können, sondern uns fragen, welche Leistungen wo erbracht werden sollen.

Was täte man dann ohne Regionalspitäler beispielsweise bei einem Notfall, sagen wir in Gossau?
Im Notfall ist nicht so wichtig, wo das nächste Spital liegt. Viel wichtiger ist, wie schnell der Rettungsdienst vor Ort ist – auch wenn man abgelegen wohnt. Die hochprofessionellen Sanitäterinnen und Sanitäter stabilisieren die Patientinnen und Patienten und machen die ersten Abklärungen. Ob das nächste Spital dann zehn Minuten weiter weg ist, spielt nicht mehr so eine grosse Rolle. Es würde reichen, wenn in Zürich und Rapperswil je ein grosses Ambulatorium stehen würde.
Was würde gemäss Ihrem Modell aus den Spitälern Uster, Wetzikon und Männedorf?
Sie würden zu Gesundheitszentren. Das heisst: Hier würden einerseits Walk-in-Notfälle, Arztpraxen und so weiter bestehen, andererseits könnte man einzelne Fachabteilungen belassen. Aber es bräuchte beispielsweise keine riesigen Bettenstationen mehr und auch nicht die ganze Palette an Operationen. Für den Neubau in Wetzikon würde man auch einen anderen Zweck finden.
Wenn ich also eine neue Hüfte bräuchte, eine planbare Operation, müsste ich dafür nach Rapperswil oder Zürich fahren?
Ja, das wäre auch kein Problem. Es ist keine Zumutung, 20 Minuten länger in ein Spital zu fahren für eine Hüftoperation. Viele fahren, ohne zu zögern, zwei Stunden, um in den Europapark zu gehen. Ausserdem würde Ihre Hüfte dann von Ärztinnen und Ärzten operiert, die 300 Hüften pro Jahr operieren und nicht nur 25. Eine Konzentration des Angebots würde auch zu einer Qualitätssteigerung führen. Im Moment kämpfen alle Spitäler mit denselben Problemen und sind dabei mehr oder weniger schlecht ausgelastet. Mit einer Umverteilung wäre das ganze System viel effizienter und die Arbeitsbedingungen besser.
Aber bereits in der Grundversorgung gibt es Probleme, es fehlen zum Beispiel Hausärztinnen und Hausärzte.
Das stimmt, für die Umsetzung meines Modells braucht es auf allen Ebenen neue Formen der Zusammenarbeit. Einige sind bereits erfolgreich. Zum Beispiel gibt es Apotheken, wo Pflegefachleute einen niederschwelligen Zugang zu einer vordefinierten Palette von Behandlungen selber ausführen und falls erforderlich über Video eine Ärztin beiziehen können. Oder es gibt «Shop in Shop»-Lösungen, wo zum Beispiel die Orthopädie in einem grossen Spital von einer anderen Klinik betrieben wird – als hätte man einen Lidl in einem grossen Warenhaus. Solche Formen wird es immer mehr geben. Was auch zu einer Verbesserung führen kann: Indem allgemein mehr ambulant statt stationär behandelt wird, fallen viele der ungeliebten Nacht- und Wochenenddienste weg, womit die Attraktivität der Pflegeberufe steigt. Wenn wir jetzt die Planung für dieses neue System aufnehmen, sind wir in zehn Jahren neu aufgestellt.
Sie sind wieder sehr optimistisch, die Gesundheitsbranche ist nicht bekannt für schnelle Reformen.
Hier würde ich wieder die Zürcher Gesundheitsdirektion in die Verantwortung nehmen. Wenn Natalie Rickli alle ihre Mittel, von Planungsaufträgen über Subventionen zu Innovationszuschlägen, dafür einsetzt, die Vision zu realisieren, könnte sie es schaffen. So wie es Verena Diener in den 90er-Jahren getan hat. Sie hatte damals eine Vision, sie hat mehrere Spitäler geschlossen und sich damit nicht bei allen beliebt gemacht. Aber sie ist eine Visionärin geblieben.
Aber auch Natalie Rickli bräuchte die Unterstützung der Bevölkerung, und wenn Spitäler geschlossen werden, fürchten viele eine Versorgungslücke.
Wichtig wäre, der Bevölkerung klarzumachen, dass die Notfallversorgung besser und nicht schlechter würde. Und in eine Versorgungsnot würden wir nicht kommen. Denn die kommende vermehrte Ambulantisierung gibt uns mehr Freiraum, sogar wenn die Zürcher Bevölkerung immer mehr wächst. Die Frage wird dann mehr sein, was wir mit den vielen frei werdenden Betten machen sollen.
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