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Interview mit Sektenexperte
«Es galt die perverse Idee, dass, nur wer sein Kind schlägt, dieses liebt»

Rüti, Georg Otto Schmid, Relinfo, Religionsexperte, im Gespräch mit Christian Felix, 15.3.18, Bild: Manuela Matt
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Kommt es oft vor, dass in Kirchen oder Sekten Kinder geschlagen werden?

Es gibt in den fundamentalistischen Kreisen am Rand der Freikirchenszene die Überzeugung, dass Körperstrafen zwingend notwendig sind, um den Willen der Kinder zu brechen. Erst dann können sie auf den richtigen Weg kommen. War diese Vorstellung im ausgehenden 20. Jahrhundert in diesen Kreisen noch sehr verbreitet, sind es heute nur noch einzelne radikale Organisationen, die daran festhalten.

Mitte des letzten Jahrhunderts galt Gewalt zu erzieherischen Zwecken als normal, heute ist das inakzeptabel. Warum haben manche religiösen Gemeinschaften diesen Wandel nicht mitgemacht?

Auch bei den Freikirchen ist dieser Wandel im Gange. So raten unterdessen viele religiöse Erziehungsratgeber von Gewalt ab, während manche diese in der ersten Auflage noch empfohlen haben. Die ganz konservativen Milieus sind bei Veränderungen in aller Regel die Letzten.

Es ist nicht das erste Mal, dass christliche Kreise Schlagzeilen machen. Wie bringen die Kirchen die Gewalt mit der von Jesus gepredigten Nächstenliebe zusammen?

Es galt die aus heutiger Sicht perverse Idee, dass, nur wer sein Kind schlägt, dieses wirklich liebt. Wenn man das Kind nicht bricht, dann landet es auf der schiefen Bahn, wird drogensüchtig oder kriminell. Biblisch ist das jedoch schwer zu begründen. Das hat es für viele einfacher gemacht, von dieser Überzeugung wegzukommen.

«Die Eltern haben die Überzeugungen der Schule geteilt und in den Fällen, die ich kenne, auch selbst Gewalt angewendet.»

Hat Sie die SRF-Recherche zur Schule «Domino Servite» im sankt-gallischen Kaltbrunn überrascht?

Nein, man wusste schon seit den 90er-Jahren, dass an dieser Schule Körperstrafen eingesetzt worden sind. Aussteiger haben immer wieder davon erzählt, auch mir gegenüber. Man konnte jedoch nichts offiziell nachweisen. Zeuginnen und Zeugen hatten Angst, gegenüber den Behörden auszusagen.

Hat man rückblickend zu wenig gemacht?

Verantwortlich für die Schule war der Kanton St. Gallen. Und dieser hatte sie auch mehrfach untersucht. Aber ohne handfeste Beweise und Zeugenaussagen war nichts zu machen.

Die Eltern haben offenbar von der Gewalt in der Schule gewusst und diese auch gegenüber den Behörden verteidigt. Warum machen Eltern das?

Die Eltern haben die Überzeugungen der Schule geteilt und in den Fällen, die ich kenne, auch selbst Gewalt angewendet. Dazu kommt, dass sich solch fundamentalistische Gemeinschaften in riesiger Distanz zur Gesellschaft fühlen. In der Gesellschaft regiert ihrer Meinung nach das Satanische, das Böse. Und vor diesem muss man sich gegenseitig schützen.

Jürg Läderach sagt, niemals Kinder oder Jugendliche geschlagen zu haben. Missbrauch und Gewalt seien nicht mit seinem christlichen Glauben vereinbar. Für wie wahrscheinlich halten Sie es in Anbetracht seiner hohen Position in der Gemeinde, dass die Gewalt gegen seinen Willen geschah?

Das ist von aussen schwierig zu beurteilen. Man kann solche Dinge natürlich auch ausblenden. Ich persönlich habe nie von jemandem gehört, dass Jürg Läderach ihn oder sie geschlagen habe. Das muss aber nicht heissen, dass die Zeugen in der SRF-Doku sich falsch erinnern. Was ich aber weiss, ist, dass, seit Läderach die Leitung der Schule 2002 übernommen hat, die Gewalt stark zurückgegangen ist.

Die Schule unter neuem Namen gibt sich geläutert und hat mehrere Massnahmen gegen Missbrauch eingerichtet. Wie beurteilen Sie den Wandel?

Ich glaube der Schule, dass sie Körperstrafen ablehnt. Ich habe in jüngerer Zeit auch von keinen Vorfällen mehr gehört.

Die Zeuginnen und Zeugen sagen im Film, dass die körperliche einfach von psychischer Gewalt abgelöst worden und dass diese fast noch schlimmer gewesen sei.

Psychischer Druck ist sehr häufig bei fundamentalistischen Gruppen. Es herrscht die Überzeugung, dass draussen überall der Satan lauert. Wer sich nicht an die Regeln hält, ist verloren. Gerade Kinder kann dieser Glauben unter immensen Druck stellen.

Kann eine solche Gemeinschaft überhaupt ohne strenge Regeln und Druck funktionieren?

Grundsätzlich schon. Nachdem sich die Gemeinde in Kaltbrunn 2019 von der internationalen Kwasizabantu-Mission gelöst hat, ist sie nach und nach viel kleiner geworden. Die Mitgliederzahl sank von circa 200 auf 60. Das ist meines Erachtens ein Zeichen, dass der Druck nicht sehr stark war. Ob die Leute sich offeneren Freikirchen oder erneut fundamentalistischen Gruppen angeschlossen haben, kann ich aber nicht sagen.

Wie schätzen Sie die Lage ein, gibt es in der Schweiz Schulen, wo bis heute geschlagen wird?

Ich will es nicht hoffen und habe zurzeit auch keine Hinweise darauf.