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Interview mit Baumfachmann
«Ein Ehepaar drohte, sich nackt an den Baum zu ketten»

Baumspezialist Matthias Brunner, fotografiert beim Elefantenbach in Zürich.
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Dieses Interview ist bereits einmal im März 2022 erschienen, wir publizieren es aus aktuellem Anlass in einer überarbeiteten und leicht gekürzten Fassung erneut.

Ein Rentner ist verurteilt worden, weil er illegal über 100 Bäume am Üetliberg beschädigt hat. Er glaubte, damit etwas Gutes zu tun. Wie ungewöhnlich ist das?

Das Ausmass ist sicher nicht üblich, ebenso das Motiv. Aber dass Bäume unrechtmässig beschädigt, abgetötet oder gefällt werden, kommt leider immer wieder vor. Und die Dunkelziffer ist hoch, oft ist nicht ohne Weiteres erkennbar, warum ein Baum abgestorben ist.

Warum tun Menschen sowas?

Oft sind Nachbarschaftsstreitigkeiten der Grund. Der eine will einen grossen Baum, der andere eine unverstellte Aussicht. Solche Konflikte werden in Zukunft wohl noch zunehmen: Wegen des Klimawandels sind mehr Bäume erwünscht, der Kanton will deshalb die Mindest-Grenzabstände bei Pflanzungen verringern.

Leute wehren sich auch immer wieder gegen legale Aktionen wie zum Beispiel am Uetliberg oder im Wolfbachtobel in Zürich. Woher kommt das?

Bäume sind riesige Sympathieträger, sie sind ein ruhiger Pol in einer stressigen, unsicheren Welt. Denken Sie an einen Waldspaziergang: Das hat nachweislich einen wohltuenden Effekt auf die menschliche Psyche. Nicht zu Unrecht ist Waldbaden ein Modephänomen geworden.

Und deshalb reagieren die Menschen so emotional?

Auch, aber nicht nur. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel hat der Baum gerade im städtischen Raum enorm an Bedeutung gewonnen als Schattenspender, lebendes Kühlelement, Sauerstoffproduzent, Staubfilter und als Lebensraum für Vögel, Käfer, Pilze und so weiter. Bis heute sind Bäume zudem ein obligatorischer Bestandteil des Biologieunterrichts in der Schule. Deshalb führen Bäume nicht nur zu einer sinnlichen Wahrnehmung, wir alle können sie auch mit eigenem Wissen verknüpfen. Das Fällen von Bäumen ist mit einem schmerzlichen Verlust all dieser Eigenschaften verbunden. Auf der anderen Seite hat der sicherheitsliebende Schweizer aber auch Respekt, wenn nicht gar Angst vor Bäumen – ich erinnere nur an die vergangenen Stürme. In dem Spannungsfeld die richtigen Entscheide zu treffen, ist nicht immer einfach. Da kommt es vor, dass die Emotionen bei Baumfällungen manchmal hochgehen.

Wenn Sie das Wissen ansprechen: Mitunter scheint eher eine Art esoterische Verklärung im Spiel zu sein. Das wissenschaftlich sehr umstrittene Werk «Das geheime Leben der Bäume» etwa ist ein Bestseller.

Gut, dazu gehen die Meinungen auseinander. Offenbar entspricht diese Art Literatur dem Bedürfnis vieler Leserinnen und Leser, sonst wäre Peter Wohlleben kein Bestsellerautor. Ich denke, dass solche Lektüren ein wohltuender Ausgleich zum hektischen Alltag sind, und gleichzeitig bieten Bücher wie diese einen Anknüpfungspunkt an eigenes Wissen – auch wenn nicht immer alles so ganz genau wissenschaftlich erforscht ist, was darin steht.

«Manchmal ist eine Baumfällung eben unumgänglich. Eine Ersatzpflanzung kann in solchen Fällen Trost spenden.»

Matthias Brunner

Wie sehen Sie als Experte amtliche Fällaktionen? Ist es in der Regel klar, ob und wann ein Baum wegmuss, oder gibt es oft Spielraum?

Das ist manchmal tricky. Unsere Baumexperten untersuchen jedes Jahr rund 6500 Bäume, meist geht es dabei um die Sicherheit. Die Erfahrung, die wir machen, ist die, dass Baumbesitzerinnen und -besitzer sehr genau wissen und verstehen wollen, ob ein Baum gefällt werden muss oder ob man zuwarten kann. Da braucht es eine methodisch sehr saubere Untersuchung. Dann sind wir in der Regel in der Lage, präzise zu sagen, ob eine sofortige Fällung aus Sicherheitsgründen erforderlich ist.

Was war das Ungewöhnlichste, was Sie in Ihrer Arbeit je erlebt haben?

Einmal fragte uns ein Ehepaar wegen eines Solitär-Baums im öffentlichen Raum an. Die beiden drohten, sich nackt an den Baum zu ketten, würden wir eine Fällung empfehlen – und das mitten im Winter. Zum Glück konnte der Baum dann stehen bleiben – auch für das Ehepaar…

Haben Sie auch Kundinnen und Kunden, die finden: Mir doch egal, dann wird der Baum halt gefällt? Oder sogar: Der muss weg?

Wir bieten auch Beratungen an, wenn Nachbarn streiten. Oft will der Besitzer am Baum nichts ändern, die Nachbarn aber finden, er störe massiv, etwa weil er die Sicht auf den See oder die Berge nimmt, Schatten macht oder Laub abwirft. Das kann zu recht gehässigen Streitigkeiten führen. Da ist nicht immer eine Lösung möglich, die beide Seiten gleichermassen zufriedenstellt.

Matthias Brunner posiert vor einem umgestürzten Baum beim Elefantenbach in Zürich.

Der Revierförster und die Stadt betonen, dass die Waldpflege unumgänglich sei. Auf Laien wirken grössere Holzschläge dagegen recht brutal. Wie ist das für die Waldbewohner, die Tierwelt?

Man nimmt natürlich Rücksicht auf Brutzeiten von Vögeln und auch das Wild. Dafür sorgt die enge Zusammenarbeit der Förster und Wildhüter bei Grün Stadt Zürich.

Man kann einem Reh allerdings schlecht erklären, schau mal, dieser Baum muss weg.

Stimmt. Aber man führt in den Wäldern seit Menschengedenken Holzschläge durch, und das bisher ohne dauerhafte negative Auswirkungen auf die Fauna, sofern diese Eingriffe fachmännisch durchgeführt werden. Aufgeschreckte Tiere kehren dann bald wieder zurück.