Internet, Smartphone, CybersexDrei verrückte Techvisionen aus der Schweiz
Zufall oder seherische Gabe? Das Internet wurde zum ersten Mal 1863 im Engadin erwähnt, das Smartphone gab es schon 1986 in Pully VD, und 1972 hatte in Neuenburg einer eine Eingebung zum Cybersex.
- Schweizer Zeitungen berichteten über Erfindungen, Jahre oder Jahrzehnte bevor diese überhaupt das Licht der Welt erblickten.
- Im Jahr 1863 nutzten die Rätoromanen das Wort «s’internet» in einem Fortsetzungsroman.
- Das Unternehmen Smartphone aus Pully existierte bereits vor dem iPhone.
- Ein Artikel von 1972 beschreibt «Cybersex» als Nebenprodukt der Weltraumforschung.
Grosse Erfindungen werfen ihre Schatten voraus. Bevor sie tatsächlich erfunden und für uns im Alltag fassbar werden, existieren sie als Hirn- oder Schreckgespenst, als Vision eines Science-Fiction-Autors oder als technisch-wissenschaftliche Herausforderung. Und oft wird für eine Erfindung ein Begriff verwendet, der vorher schon existierte und vielleicht zuvor für etwas ganz anderes verwendet wurde.
Wie das passiert, lässt sich wunderbar in alten Zeitungen nachlesen. Seit einiger Zeit sind solche Nachforschungen eine kleine Obsession von mir, der ich mithilfe von www.e-newspaperarchives.ch nachgehe: Das ist ein digitales Archiv, das von der Schweizerischen Nationalbibliothek und von Partnern betrieben wird und viele, aber leider längst nicht alle digitalisierten Schweizer Zeitungen enthält. Aber auch wenn es nicht vollständig ist, ist es immer für spannende, seltsame und verblüffende Entdeckungen gut.
Als die Rätormanen 1863 «s’internet» erfanden
Wann wurde das Internet erfunden? Als Väter des Netzes gelten Vint Cerf und Robert E. Kahn. Die beiden amerikanischen Forscher haben 1974 an der Princeton University ein Paper geschrieben, das die technische Funktionsweise beschreibt – wobei in der Abhandlung nur von «internetworking» die Rede ist. Die Kurzform kommt zumindest in diesem Text nicht vor. Sie war aber durchaus schon gebräuchlich, denn das US-Kriegsministerium hat sie 1945 in einem Handbuch für Funker benutzt und als Kommunikation zwischen Stationen definiert, die nicht zum selben Netz gehören.
Der erste Treffer im Schweizer Zeitungsarchiv findet sich allerdings schon gut 80 Jahre früher. Nämlich am 22. August 1863 im «Fögl d’Engiadina», damals das amtliche Publikationsorgan u. a. für Silvaplana und Zernez. Dort heisst es: «Fermeda allò la gondola saglit Vannin our da quella ed ascendieu ch’el avet ils pochs s-che-lins s’internet el in ün corridor, chi correspondaiva con la s-chêla interna della chesa.»
Eine frühe Zukunftsvision unseres heutigen Lebens? X bringt Licht ins Dunkel. Uolf Candrian, ein sprachgewandter Social-Media-Freund, liefert eine (saloppe) Übersetzung: «So die Gondel dort anhielt, da sprang John Wayne raus aus dieser und bestieg die wenigen Stufen, befand sich nun (hielt sich auf) in einem Korridor, welcher der inneren Treppe des Hauses entsprach.» Wir erfahren: Beim Text handelt es sich um eine Fortsetzungsgeschichte und bei «internet» um ein Verb.
Wie das Smartphone (fast) in der Schweiz seine Weltpremiere hatte
Es war also leider bloss eine zufällige Übereinstimmung. Ganz anders sieht das beim zweiten Beispiel aus, dem Smartphone. Der Begriff wurde, in ein oder zwei Worten, ab 1995 im Zusammenhang mit Geräten des US-Telefonkonzerns AT&T und von Ericsson benutzt.
Im Zeitungsarchiv finden sich erste Treffer schon früher. Sie beziehen sich auf das Unternehmen Smartphone aus der Waadtländer Gemeinde Pully. Das gibt es laut Firmenwebsite seit 1986 – also seit einer Zeit, als bei Apple noch im Traum niemand ans iPhone dachte, sondern man noch von Computern wie dem Macintosh Plus vereinnahmt war. In Pully ging es jedoch auch nicht um Mobiltelefone, sondern um herkömmliche Telefonie.
Frivol, frivol: Cybersex in den 1970er-Jahren
Der verblüffendste Fund liefert ausgerechnet der Cybersex. Der Begriff bezeichnet die diversen Formen virtueller Erotik und wurde laut Wikipedia in den 1990er-Jahren geprägt. Doch im Archiv findet sich ein Artikel aus der Neuenburger Zeitung «L’Impartial» vom 29. April 1972. Dort ist der Artikel «Dank der Weltraumforschung: Liebe auf Distanz» erschienen, der das Konzept detailreich schildert. Mit einer grosszügigen Auslegung lässt sich der Text als Voraussage von Stimulationsmethoden interpretieren, die es heute exakt so gibt: nämlich in Form von Bluetooth-Vibratoren, die sich per App fernsteuern lassen.
Der Cybersex sei ein Nebenprodukt der Weltraumforschung. Das behauptet der US-Korrespondent von «L’Impartial», Louis Wiznitzer: Die Astronauten würden sich in der Umlaufbahn schliesslich etwas einsam fühlen und müssten darum mit ihren auf der Erde zurückgebliebenen Frauen verbunden werden.
Woher stammt diese frivole Zukunftsvision? Die Hinweise im Text zum angeblichen Cybersex-Forschungsprogramm waren für mich nicht nachvollziehbar. Vielleicht ist Louis Wiznitzer einer Fehlinformation aufgesessen – oder er hat in einem lichten Moment erkannt, was da auf uns zukommen wird.
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