Schluss mit InstagramWarum ich keine Influencerin mehr sein will
Kinderbilder, Wäscheberge, Rabattcodes: Auf Instagram inszenierte sich unsere Autorin als authentische Mutter und verdiente so ihr Geld. Dann übertrieb sie es – und verlor sich selbst. Eine Beichte.

Dieser Artikel erschien erstmals im November 2023. Anlässlich des Muttertags publizieren wir diesen und weitere Artikel für Sie erneut.
Vor zwei Jahren tippte ich eine Lüge in mein Smartphone: «Diese Pastasauce für Kinder ist fest im Vorratsschrank eingezogen für Tage, an denen es mal schnell gehen muss. Sie schmeckt so fruchtig lecker nach frischem Gemüse – durch die feinen Kräuter wie Ferien in Italien. Meine Kinder bekommen nicht genug davon!»
Niemand in meiner Familie hat diese Sauce gegessen, schon der erste Bissen wurde mit einem «Igitt» ausgespuckt. Ich schwärmte auf meinem Instagramkanal trotzdem von dem Produkt, denn, nun ja: Die Firma hatte einen hohen dreistelligen Betrag dafür bezahlt. Wer – wie ich – regelmässig Schuhe und Jacken für drei Kinder kaufen muss, weiss, wie viel Geld das ist. Für ein paar lahme Zeilen über püriertes Irgendwas, das nach undefinierbarem Irgendwas schmeckt, aber ganz bestimmt nicht nach Italien, ist es sehr viel Geld.
Als Vegetarierin für Fleisch geworben
Als ich die Fotos bearbeitete, die ich für die Pasta-Posts gemacht hatte, kam mir der Gedanke, dass es trotzdem nicht genug Geld ist. Auf einem Foto sitze ich grinsend vor einem Berg Pasta. Auf dem Bild danach sieht man einen vor Ekel verzogenen Mund. Ich habe diese Fotos heute noch auf meinem Handy. Als Warnung, als Erinnerung daran, was ich nicht mehr machen möchte, nicht mehr sein will.
Ich bin Journalistin und Autorin. Ich reiste um die Welt, schrieb über Frauen- und Kinderrechte und veröffentlichte einige Bücher. In den vergangenen Jahren verdiente ich einen grossen Teil meines Geldes aber anders. Werbetexte auf meinem Blog und meinem Instagramkanal finanzierten meinen Kindern ihre Kleidung und zahlten unseren Hauskredit ab.
Auf meinen Kanälen pries ich Fleischwurst als «super Snackidee für die Brotbox» an und verlor kein Wort darüber, dass ich seit 30 Jahren Vegetarierin bin. Ich behauptete, dass ein Körperöl gegen Schwangerschaftsstreifen wirkt, obwohl meine Haut nach drei Monaten ebenso aussah wie zuvor. Ein Tiefpunkt war erreicht, als ich mich mit öligem Kaffeepeeling einschmierte und halb nackt fotografierte. Nachdem ich den verstopften Abfluss gereinigt hatte, schwafelte ich auf Instagram über meine «superzarte Haut».
Aufhören wollte ich immer wieder. Dann landete ein neues Angebot in meiner Mailbox.
Zwei Jahre lang war ich Influencerin und ignorierte die innere Stimme, die von Anfang an dagegen war. Du bist Journalistin, sagte sie. Die gesponserten Posts finanzieren deine kostenlosen Inhalte, hielt eine andere Stimme dagegen, denn zwischen die Werbeblöcke packte ich gesellschaftskritische Texte übers Muttersein. Immer wieder beschloss ich aufzuhören, dann landete ein neues, attraktives Angebot in meiner Mailbox.
Ach, einmal noch, flüsterte die innere Stimme mit Blick auf den Kontostand. Ist doch leicht verdientes Geld! Die Kinder müssen essen, die Heizkosten sind gestiegen, die anderen machen es auch. Und wieder veröffentlichte ich unter meinem Namen Sätze wie «Ich bin begeistert, wie clever und unkompliziert dieser umweltfreundliche Staubsauger ist.»
Trotz Schmerzensgeld tat es weh
Das bin ich nicht, hämmerte es hinter meiner Stirn. Meine Arbeit war es immer gewesen, Sätze zu formulieren, und das war mir meistens leicht gefallen. Doch nun begann es wehzutun, selbst für das grösste Schmerzensgeld fiel mir nichts mehr ein. Ich bekam Schreibblockaden, mein Gehirn verweigerte sich komplett. Nicht einmal zu den Themen, die mir am Herzen lagen, fand ich noch Worte, als hätten mir die Werbetexte alle Inspiration und Kreativität weggebrannt.
Stattdessen knallte ich meinen Followerinnen noch einmal den Rabattcode in die Story, «30 Prozent und nur bis morgen Abend!» Denn Rabattcodes sind für Influencer eine Möglichkeit, noch mehr Geld zu verdienen, bei jedem Kauf mit ihrem Code fliessen mal zehn, mal 15 Prozent an sie ab. Damit man möglichst viel dran verdient, baut man diesen Code also immer wieder ein.

All die Zeit über hatte ich trotzig weiter in meinem Bio-Kasten auf Instagram «Journalistin» stehen – aber direkt danach den Zusatz «Mama von Dreien» (damit mich Werbekunden auch gut finden konnten). Mit Kooperationen verdiente ich wesentlich mehr als mit journalistischen Aufträgen, für ein simples Foto mit nicht mal 1000 Zeichen Text bekam ich dreimal so viel wie für einen sorgfältig recherchierten Einseiter für eine grosse Frauenzeitschrift.
70’000 Follower der begehrten Zielgruppe Eltern
Mein Wert als Influencerin berechnet sich eben weniger in Wörtern, Zeichen oder gar Qualität des Inhalts. Relevant ist die Zahl der Follower, 70’000 waren es zu Hochzeiten auf Instagram und Facebook. Damit war ich natürlich nicht eine der ganz Grossen im Geschäft, die haben eine Million und mehr.
Aber ganz klein war ich auch nicht, und als Elternbloggerin hatte ich eine spitze Zielgruppe zu bieten, die für Unternehmen interessant war. Diese zahlen ihr Geld aber nur, wenn man diese Follower wirklich erreicht – und um sichtbar zu bleiben, muss man in den sozialen Netzwerken ständig aktiv sein. Das ist der Deal. Postet man nicht jeden Tag, verschwindet die Reichweite, zack, weg. Doch je mehr Storys, je besser die Interaktionen, umso grösser die Sichtbarkeit.
Für uns sogenannte Creators ist der Algorithmus ein harter Chef. Ich legte mich also ins Zeug, um meine Reichweite zu steigern, und redete es mir schön: «Ich mache das alles nur, um journalistische Texte auf meinem Blog schreiben zu können. Auch bei Zeitschriften finanziert die Werbung den redaktionellen Teil mit, auch Verlage haben eine Anzeigenabteilung.» Das stimmt. Doch in den meisten Medienunternehmen sind die beiden Bereiche strikt getrennt, aus gutem Grund. Ich war bei meinem Instagramkanal beides in Personalunion.
Ich wollte das echte Mama-Leben zeigen, meine Leserinnen ermuntern, Mut zum Unperfekten zu haben.
Die Instagramwelt ist ein Business, in dem so getan wird, als sei es keines. In der das Unauthentische als authentisch verkauft wird, und die Werbetreibende sich als beste Freundin ausgibt, die einen mit in ihr Leben nimmt und nebenher noch die beste Wimperntusche empfiehlt. Der Begriff Influencer heisst nicht ohne Grund auf Deutsch «Beeinflusser». Auf Social Media dekorieren die perfekten Mütter ihre perfekten Häuser mit perfekten Vasen, lassen ihre perfekten Kinder perfekte Basteleien machen, ohne dass die perfekten Kleider Farbtupfer bekommen oder die Holzspielzeuge aus der Reihe tanzen.
Ich wollte kein Teil dieser Oberflächlichkeit sein, sondern nahm mir vor, einen Kontrapunkt zu setzen. Ich wollte das echte Mama-Leben mit all den Staubmäusen und dreckigen Klamotten zeigen, meine Leserinnen ermuntern, Mut zum Unperfekten zu haben. Daher postete ich ein Foto von einem dieser unsäglichen Stapel, die wie von alleine überall in meinem Haus in die Höhe wachsen. Darunter schrieb ich: «Jeder Stapel steht für die gestorbene Hoffnung, dass sich irgendjemand erbarmt und die Geodreiecke, leeren Klopapierrollen und partnerlosen Socken mitnimmt.»
«Danke, dass du so ehrlich bist»
Die Kommentare darunter: «Wie gut, dass es nicht nur mir so geht», «Ich bin nicht allein!», «Danke, dass du so ehrlich bist». Mir tat es gut, zu wissen, dass ich anderen Erleichterung verschaffte – und zu diesem Samaritergefühl gesellte sich noch ein anderes: die Befriedigung beim Blick auf die vielen Likes und die steigenden Followerzahlen. Jedes Mal, wenn ich die App öffnete, waren neue dazugekommen. Ich konnte meine Hände kaum vom Handy lassen, an der Supermarktkasse, auf dem Klo, während der Kaffee durchlief. Wow, 100’000 Views, eine kleine Grossstadt, die sich meinen Post angeschaut hat! Wenn dann noch Kommentare wie «Du bist die Beste» aufpoppten, war mein Selbstbewusstsein völlig aufpoliert.

Das wollte ich wiederholen. Genau dieses Gefühl. Vielleicht kommen ja noch ein paar Likes dazu. Vielleicht sehen es diesmal 200’000. Die vielen Interaktionen geben einem das Gefühl, eine gewisse Bedeutung zu haben, eine Rolle zu spielen im Leben von eigentlich wildfremden Menschen, ein bisschen Glamour im schnöden Alltag. Wie ein Junkie will man mehr und mehr, ich tat es nun nicht mehr nur für die Werbekunden, sondern für mich und mein Ego.
Einen Tag nach dem Stapel-Post folgte ein Foto von mir mit verzweifelter Miene vor einem dieser Wäscheberge, die man als Mutter überall im Haus findet. Riesenanklang fanden auch die Krümel unterm Esstisch. Ich sprach Müttern gut zu, dass es völlig normal sei, wenn sie nicht mehr wüssten, wo oben und unten ist.
Das Netz stahl mir meine Authentizität, meine Privatsphäre und einen grossen Teil meiner Zeit.
Wieder stritten sich die Stimmen in meinem Kopf. «Ich mache das, um anderen das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein», behauptete die eine. «Du willst nur Applaus», schimpfte die andere. Das Absurde: Während ich mehr und mehr Anerkennung für meine «Authentizität» erntete, gingen mir beim Versuch, diese verlässlich herzustellen, die echten Inhalte mehr und mehr verloren. Irgendwann ertappte ich mich dabei, dass ich den Wäscheberg etwas höher auftürmte, als er eigentlich war, dass ich die Spielzeugkiste fürs Foto extra umstiess und mit Plüschtieren verzierte, die ich wie zufällig hingeworfen auf dem Berg aus Legos und Puppenkleidung drapierte. Reichweite und Likes wuchsen, je schöner die Chaosberge aussahen, je mehr ich mich selbst in Szene setzte und Weichzeichner draufpackte, je mehr ich analysierte, was gut ankam und was nicht.
Weil auch Kinder- und Familienbilder die Interaktionen nach oben trieben, zeigte ich wesentlich mehr von meinem Privatleben, als mir lieb war. Ich liess mich bauchpinseln von den Kommentaren meiner Followerinnen und Einladungen zu Events mit vielen Give-aways und rotem Teppich. So stahl mir das Netz meine Authentizität, meine Privatsphäre und einen grossen Teil meiner Zeit. Das ist das Fiese: Man denkt, es sei schnelles Geld, nur mal eben schnell ein Foto, und am Ende zeigt das Smartphone jeden Tag unbarmherzig fünf Stunden Bildschirmzeit allein für Instagram an, fünf Stunden, in denen das echte Leben vorbeigezogen ist.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Nach dem Pastasaucen-Post verging noch fast ein Jahr, bis ich es endgültig schaffte, das Influencer-Dasein aufzugeben. Keine Werbung mehr, keine Storys aus dem Privatleben mehr, keine arrangierten Chaosbilder. Aus meinem Profilnamen «ganznormalemama» wurde Nathalie Klüver. Seitdem bin ich wieder ich selbst, nur noch Journalistin und keine Influencerin mehr.
Das postete ich auch, erklärte auf Instagram, was mich dazu bewogen hatte. Wieder kam meine Ehrlichkeit gut an – erst mal. Aber je politischer meine Inhalte wurden und je weniger ich aus meinem Privatleben teilte, umso geringer wurde die Reichweite. 20’000 Follower verliessen mich, #lifestylemom zieht besser als #kinderrechte.
Nun verdiene ich mein Geld wieder mit dem Recherchieren und Schreiben von Texten statt dem Bewerben von Quetschies. Dass das mühsamer und schlechter bezahlt ist, ist kein Geheimnis. Aber: Als ich mich vom Blognamen und vom Zusatz «Mama» im Profil befreite, merkte ich: Ich bin wieder da. Ich bin wieder ich. Denn ich bin mehr als «die Mama von».
Fehler gefunden?Jetzt melden.