Nationalrat will IndividualbesteuerungWarum spricht man nie über den «Heiratsbonus»?
Ein Wechsel zur Individualbesteuerung hätte Folgen, die selten thematisiert werden. Eine Mehrheit der Haushalte würde schlechter fahren als heute.
Der Nationalrat hat dem Systemwechsel von der Haushalts- zur Individualbesteuerung zugestimmt. Dies würde erstens die Heiratsstrafe beseitigen und zweitens die Arbeitsanreize für Zweitverdiener erhöhen durch eine Reduktion ihrer Grenzsteuern. Da Zweitverdiener überproportional Frauen sind, wäre das im Sinne der Gleichstellung.
Die Gegner argumentieren, dass die Aufteilung der Arbeitstätigkeit innerhalb des Haushalts eine Sache der Familie ist, nicht des Staats. So weit, so klar. Es gibt aber auch Konsequenzen eines Systemwechsels, die weniger bekannt sind, die aber Teil dieser Diskussion sein sollten.
«Haushalte mit ungleichen Einkommen und Haushalte mit tiefen Einkommen profitieren vom heutigen System.»
Der Hintergrund: In der Bundessteuer sowie in etwa der Hälfte der Kantone werden für Verheiratete und Alleinstehende unterschiedliche Tarife angewendet. Der Verheiratetentarif ist tiefer für ein gegebenes Einkommen, aber die Addition der beiden Einkommen kann dazu führen, dass ein Ehepaar aufgrund der Progression höhere Steuern bezahlt, als wenn die Partner im Konkubinat leben würden.
Generell gilt: Je gleicher die Verteilung der Einkommen im Haushalt und je höher das Gesamteinkommen, desto wahrscheinlicher ist eine Heiratsstrafe. Umgekehrt profitieren Haushalte mit ungleichen Einkommen und Haushalte mit tiefen Einkommen vom heutigen System.
Umverteilung von Arm zu Reich
Informationen zur Aufteilung der Haushaltseinkommen sind nicht öffentlich verfügbar. Um den Nebel etwas zu lüften, haben wir in einer Bachelorarbeit mit Daten der Schweizerischen Haushaltsbefragung und den Steuertarifen des Kantons Zürich berechnet, was die Folgen eines Systemwechsels für die befragten Haushalte wären. Drei Resultate stechen heraus.
Erstens würde eine Mehrheit der Haushalte durch die Einführung einer Individualbesteuerung auf allen Staatsebenen schlechtergestellt. Heute bezahlen die meisten Ehepaare tiefere Steuern aufgrund der Heirat. Der Normalfall ist also ein Heiratsbonus, der mit dem Systemwechsel mit abgeschafft würde.
Zweitens käme es zu einer Umverteilung von Arm zu Reich. Es ist insbesondere das reichste Einkommenszehntel, das von einem Systemwechsel profitieren würde, während die anderen neun Dezile im Durchschnitt verlieren. Dies liegt einerseits daran, dass ärmere Haushalte eher das Einverdienermodell leben, und andererseits daran, dass bei tiefen Einkommen die Progression unwichtig ist (und somit der Verheiratetentarif attraktiver).
Drittens käme es zu einer spürbaren Verbesserung der Arbeitsanreize vor allem in den Haushalten, die aufgrund des Systemwechsels deutlich höhere Steuern zahlen müssten. Das sind Haushalte mit einem ungleich verteilten, aber hohen Gesamteinkommen. Ob die betroffenen Haushalte diese Art von «Hilfe» wollen, ist zu bezweifeln.
Eine Abschaffung der Heiratsstrafe ergibt Sinn. Aber die Einführung einer reinen Individualbesteuerung löst dieses Problem auf Kosten einer Mehrheit von Haushalten und insbesondere auf Kosten von Personen mit tieferen Einkommen.
Alternativen wie beispielsweise ein Splitting – also die Anwendung des Durchschnittseinkommens auf einen einheitlichen Steuertarif – oder die freie Wahl zwischen der Besteuerungsart wären diesbezüglich besser und daher vermutlich eher in der Lage, an der Urne zu bestehen.
Beat Hintermann ist Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität Basel.
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