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Tirade gegen westlichen Lebensstil
In Indien tobt ein Kulturkampf um zerrissene Jeans

Sie mag den Fetzenlook: Bollywood-Star Priyanka Chopra Jonas.
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Als der Punk in die Welt kam und Bands wie die Sex Pistols oder The Ramones über die Bühne fegten, da war eine zerfetzte Jeans noch ein Statement. Zerschlissene Klamotten standen in den 70ern für Anarchie und Rebellion. Inzwischen trägt auch Kim Kardashian gerne mal löchrige Hosen, was nahelegt, dass es die «Ripped Jeans» als modische Variante in den Mainstream geschafft hat, bar jeder provokanten Note.

Das allerdings gilt wohl nur für den Westen. Ein Blick nach Indien zeigt, dass sich dort am Lumpen-Design ein Streit entzündet, der schon den Charakter eines Kulturkampfes annimmt. Ausgelöst hat ihn der Ministerpräsident des Bundesstaates Uttarakhand, der sich darüber empörte, dass indische Frauen in löchrigen Hosen herumliefen und Knie zeigten. Welche Werte sollten die Kinder von so einer Mutter nur lernen, lamentierte Tirath Singh Rawat.

Frauenfeindlichkeit

Die unverhüllte Frauenfeindlichkeit, die aus seinen Worten sprach, ist symptomatisch für jene Kreise der indischen Politik, die sich zu Tugendwächtern aufschwingen und es als ihre Pflicht darstellen, das indische Patriarchat und damit die umfassende Kontrolle der Frau als untergeordnetes Objekt durchzusetzen. Frauen haben sich demnach in Saris und nicht in Hosen zu kleiden, schon gar nicht in löchrige Jeans.

Zerrissene Jeans finden ihre indischen Kunden überwiegend in den jungen Mittel- und Oberschichten. Es ist dabei nicht so, als wollten sie damit die Ärmsten verhöhnen, die sich in echte Lumpen hüllen müssen. Vielmehr ist die Jeans, auch in ihrer gewollt zerschlissenen Gestalt, ein Bekenntnis zu einem westlich geprägten Lebensstil. (Lesen Sie auch den Artikel «Auf diese 22-Jährige hat es Indien abgesehen».)

«Zerrissene Jeans zu tragen, ist nicht richtig»: Tirath Singh Rawat, Ministerpräsident des Bundesstaates Uttarakhand.

Im Lager der regierenden Hindu-Nationalisten, in dem eine Minderheit von Modernisierern mit einer breiten Bewegung von Traditionalisten ringt, ist westlicher kultureller Einfluss eine Provokation. Sie spornt Politiker mit konservativer Agenda immer wieder an, sich in Kleidungsfragen hervorzutun. Besonders perfide wird es, wenn dies dazu dient, Frauen die Schuld an sexueller Gewalt zuzuschieben, weil sie sich zu freizügig gekleidet hätten.

Mit seiner Jeans-Tirade wollte der Ministerpräsident offenbar in konservativ-ländlichen Kreisen punkten, wo westlicher Lebensstil häufig gleichgesetzt wird mit dem Verfall von Sitte und Moral. Ob er so den Siegeszug der Jeans in Indien stoppen kann, ist zu bezweifeln, denn nicht nur Bollywood-Star Priyanka Chopra Jonas liebt den Fetzenlook. Mehr als vier Milliarden Dollar setzt der indische Markt allein mit Jeans um, bis 2028 dürfte sich die Summe verdreifachen, schätzen Analysten.

In den sozialen Medien lief schliesslich so viel Kritik am Politiker Rawat auf, dass er sich entschuldigte. Dann aber schob er wieder nach, als «Mann vom Lande» bleibe er dabei: Zerrissene Jeans zu tragen, das sei «nicht richtig». Viji Venkatesh, eine 69-Jährige aus Mumbai, wurde so wütend auf den Politiker, dass sie daranging, selbst Löcher in ihre Hose zu schneiden. Auf Twitter schrieb sie dazu: «Die sind super für alte Mädchen wie mich mit kaputten Knien. Warum habe ich nicht früher daran gedacht?»