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Vorwahlen in Georgia
In diesem Land will Trump Rache nehmen

David Perdue macht Wahlkampf in einem reichen Vorort von Atlanta. Er soll für Donald Trump Rache nehmen an Gouverneur Brian Kemp.
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Die Welt steht kopf in Cumming. Dabei wirkt alles so beschaulich, der weitläufige Acker, die weissen Holzzäune, der Teich mit Springbrunnen, die alte Holzscheune, jetzt ein Partylokal mit Bühne. Seit der Pandemie ist das der letzte Schrei hier am Rand von Atlanta, der Hauptstadt Georgias.

Die Südstaaten-Idylle trügt. Auf der Bühne steht Donald Trump, zwar nicht der Vater, aber doch immerhin sein Junior, und ruft ein paar Hundert Fans zu: «David Perdue ist eine Jobmaschine.» Dabei wetterte keine fünf Minuten vorher dieser David Perdue auf derselben Bühne gegen den Bau einer neuen Fabrik. 7500 Arbeitsplätze sollen entstehen, Zukunftsjobs: Die Firma Rivian will Batterien für elektrische Lastwagen bauen. Jobmaschine Perdue will das nicht. Und das sagt eine ganze Menge aus, nicht nur über David Perdue, sondern über den Zustand der amerikanischen Politik, die Republikaner – und vor allem Donald Trump.

Jubel für Donald Trump Jr.

Als Perdue noch erfolgreicher Chef von Reebok war, schienen ihn solche Geschenke in keiner Weise zu stören – er nahm sie ja selbst in Anspruch, daher sein Ruf als Jobmaschine. Nur verkauft der 72-Jährige jetzt nicht mehr Turnschuhe und Tennisschläger, sondern will Gouverneur werden in Georgia. Damit ihm das gelingt, muss Perdue den Amtsinhaber besiegen, Brian Kemp, 58, auch er ein Republikaner. Und weil Kemp die treibende Kraft hinter der Ansiedlung der Rivian-Fabrik ist, muss Perdue diese nun eben schlechtreden.

Die Fans in der alten Holzscheune lassen sich die Laune nicht verderben. Sie sind hergekommen, um Trump Jr. und Perdue zuzujubeln, in dieser Reihenfolge. Die Rivian-Fabrik lässt sie kalt, die soll eine Autostunde entfernt gebaut werden, weit weg von diesem Vorort, in dem in atemberaubendem Tempo riesige Villenquartiere für eine reiche, mehrheitlich weisse Klientel hochgezogen werden.

Wichtig ist den Trump-Fans in Cummings nur, dass Brian Kemp das Gouverneursamt abgeben muss – weil ihr Idol das so will. Trump war in Georgia 2020 knapp unterlegen und verlangte darauf von der republikanischen Führung in Georgia, das Resultat nicht anzuerkennen. Kemp bot ihm die Stirn.

Der wichtigste Test für Trump

Seither sei Trump geradezu besessen von Georgia, sagt Greg Bluestein. «Er hat so viel Zeit hier verbracht, um seinen Kandidaten zu helfen», sagt der Politjournalist der Zeitung «Atlanta Journal Constitution» und Autor eines Buches über die Zerrissenheit des Staats. «Georgia ist der wichtigste Test von Donald Trumps Einfluss auf die Republikanische Partei.» Das sehen auch Trumps Gegner in der Partei so: Sein ehemaliger Vizepräsident Mike Pence zum Beispiel, inzwischen ein vehementer Kritiker, unterstützt Kemp. Noch nie ist so viel Geld in den Wahlkampf hier geflossen, aus dem ganzen Land strömen die Spenden zusammen.

Kurz vor den Vorwahlen vom Dienstag ist so gut wie sicher, dass Donald Trump bei diesem Test seine Gelegenheit zur Rache verpassen wird. Obwohl er intensiv für seinen Kandidaten geworben hat, konnte Gouverneur Brian Kemp den Vorsprung in den Umfragen auf 25 Prozentpunkte ausbauen. Allerdings bahnt sich damit nur eine persönliche Niederlage von Trump an, keineswegs ein Scheitern seiner politischen Agenda. Denn Erzfeind Kemp hat eine Kampagne geführt, die sich inhaltlich nur im Punkt der Wahllüge von der eines offiziellen Trump-Kandidaten unterscheidet.

Mitten im Endspurt des Wahlkampfs konnte Kemp einen weiteren Erfolg feiern, der ihm auch von Unabhängigen weitere Stimmen einbringen dürfte. Der Autohersteller Hyundai werde eine neue Batteriefabrik in Georgia bauen, grösser noch als jene von Rivian, mit über 8000 Arbeitsplätzen. Das kommt selbst bei Demokraten gut an in einem Jahr, in dem sie von wirtschaftlichen Sorgen geplagt werden: Die Rekordteuerung macht zu schaffen, in naher Zukunft droht eine Rezession.

Die Ikone der Bürgerrechtsbewegung

Die designierte Gouverneurskandidatin der Demokraten, Stacey Abrams, bejubelte auf Twitter die Nachricht von der Hyundai-Fabrik. Dabei betreibt sie Kampagne mit dem Versprechen, weniger auf die Wirtschaftsinteressen zu schielen. Georgia sei der wirtschaftsfreundlichste Staat, aber unter den Schlusslichtern bei psychischer Gesundheit, Krankenversicherungen, Müttersterblichkeit, HIV-Infektionen und Schusswaffengewalt, kritisiert Abrams.

Stacey Abrams, Ikone der Bürgerrechtsbewegung, erklärt im Capitol in Atlanta ihr Wahlprogramm.

Abrams ist zu einer nationalen Ikone der Bürgerrechtsbewegung gewachsen, viele sehen ihn ihr bereits eine künftige US-Präsidentin. Zu verdanken hat sie das ihren Anstrengungen, die Wahlbeteiligung der Minderheiten zu verbessern. Beinahe hätte sie vor vier Jahren die Sensation geschafft, als erste Afroamerikanerin Gouverneurin eines Südstaats zu werden. In der aktuellen Kampagne stellt die 48-Jährige das jedoch nicht mehr in den Vordergrund. Sie weiss das dunkelhäutige Drittel der Bevölkerung von Georgia schon weitgehend hinter sich – doch fast zwei Drittel der knapp 11 Millionen Einwohner sind Weisse. Letztere muss Abrams überzeugen, wenn sie im zweiten Anlauf das Gouverneursamt erobern will.

Nonbinär im farbigen Atlanta

Wie Abrams verhalten sich viele Demokraten. Bentley Hudgins etwa zieht als erste nonbinäre Person im konservativen Süden in den Wahlkampf. Die Auflösung der Geschlechterrollen ist jedoch nur ein Randthema, wenn Hudgins mitten in Atlanta von Tür zu Tür geht, um Wähler anzusprechen. Hier sind keine herausgeputzten Villen zu finden wie im reichen Cumming; die kleinen Ein- und Mehrfamilienhäuser sind heruntergekommen und geschwärzt von den Abgasen der Autos, die über die nahe Stadtautobahn donnern. Hier seien vor allem klassische gewerkschaftliche Anliegen wichtig, sagt Hudgins. «Die Republikaner halten die weisse Arbeiterklasse im Würgegriff.» Nun müsse sich eine Koalition der «neuen amerikanischen Mehrheit» wehren.

Mitten in Atlanta ist der reiche Vorort weit entfernt. Bentley Hudgins ist die erste offen nonbinäre Person, die in einem Südstaat für ein Amt kandidiert.

Unter diesem Schlagwort hat Stacey Abrams versucht, Farbige, Junge und Frauen zu einen und an die Urne zu bewegen. Vor vier Jahren gelang ihr das sehr gut. Lange von den Republikanern dominiert, wurde Georgia zu einem Swing-State und wählte mehrheitlich Joe Biden. Oft fällt auch der Begriff Battleground-State, ein Schlachtfeld, auf dem das konservative, südliche, ländliche, weisse Amerika und das linke, urbane, farbige Amerika einen erbitterten Kampf um die Macht austragen.

Doch die republikanische Mehrheit im Parlament von Atlanta hat seither die Anforderungen für die Teilnahme an Wahlen erhöht. Das könnte die Minderheiten von den Urnen fernhalten, befürchtet Hudgins. Die Demokraten in Georgia leiden zudem darunter, dass Biden als Präsident nur wenige seiner Wahlversprechen eingehalten hat, insbesondere jene an die afroamerikanische Bevölkerung. «Er ist der gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der amerikanischen Geschichte. Aber wo sind die Gesetze, die er uns versprochen hat?», fragt auch Hudgins.

Die Enttäuschung über Biden erschwert es, die Afroamerikaner nun erneut zur Stimmabgabe zu bewegen. Oder etwa nicht? Im Capitol in Atlanta sagt Erick Allen, Anwärter der Demokraten auf das Vizegouverneursamt, die Demokraten müssten einfach ihre Botschaft anpassen: «Wir können in diesem Staat etwas in Bewegung bringen und die Dienstleistungen für die Menschen verbessern. Das ist umso wichtiger, je mehr die Republikaner auf der Bundesebene jeden Fortschritt blockieren.» Die Botschaft scheint bei der Wählerschaft angekommen zu sein. Die Teilnahme an den brieflichen Vorwahlen war deutlich höher als befürchtet.

Beide Seiten erhöhen den Einsatz

Entscheidend für die Demokraten wird aber sein, ihre Wählerschaft am 8. November zu mobilisieren, wenn Stacey Abrams voraussichtlich gegen den Republikaner Brian Kemp antreten muss: Bis anhin liegt sie in den Umfragen leicht im Hintertreffen, aber das Rennen wird knapp. Spannend wird zudem die Senatswahl, in der zwei Afroamerikaner aufeinandertreffen. Der ehemalige Footballstar Herschel Walker kandidiert mit Trump im Rücken für die Republikaner. Er will dem Demokraten Raphael Warnock den Sitz entreissen. Gelingt es ihm, verlieren die Demokraten die Mehrheit im Senat in Washington. In den Umfragen liegen Walker und Warnock gleichauf. Auch bei den Demokraten treffen darum Rekordspenden aus den ganzen Vereinigten Staaten ein – im Battleground-State erhöhen beide Seiten den Einsatz.

Alba Henson (links) und Diego Bayona (rechts) wählen den Trump-Kandidaten. Er solle ihr Paradies vor den Demokraten schützen, sagt Bayona. 

Die Meinung nicht mehr ändern wird Diego Bayona, der vor der Holzscheune in Cumming Donald Trump Jr. applaudiert. Als Kolumbianer gehört er zu den Latinos, die traditionell eher Demokraten wählen und in Georgia das Zünglein an der Waage spielen könnten. Er aber sei Christ und konservativ, sagt der Unternehmer, da kämen für ihn nur Republikaner infrage. Wo die Demokraten die Macht übernähmen, gehe es bergab, sagt er. «Hier sind wir im Paradies», sagt Bayona. «Wir gehen nie nach Atlanta. Die Stadt ist ein Chaos.» Er muss die Botschaft nicht aussprechen, damit sie rüberkommt: Hier wohnen die reichen, weissen Konservativen, dort wohnen die armen, farbigen Demokraten. Und das soll auch so bleiben.

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