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Neues Wohnprojekt in Zürich
In der Wohnhalle schiessen die Türme in die Höhe

In den Hallen des Zollhauses entstehen zweigeschossige Wohntürme.

Noch sieht es mehr nach Baustelle als nach Wohnen aus im Hallenwohn-Projekt «zurwollke». Im Innenhof wird geschweisst, in der Halle drinnen gehämmert und gebohrt. Die Aneignung, wie es im Wohnbaugenossenschaftsjargon heisst, ist in vollem Gang. In den kommenden Wochen wird es einen fliessenden Übergang in die normale Nutzung geben.

Ein bisschen Baustelle wird es aber wohl immer bleiben. Das Ganze ist auch eine Art Wohnlabor und Experiment.

Blick auf die «Hallenwohnen» in der Überbauung Zollhaus, einem Projekt der Genossenschaft Kalkbreite an der Langstrasse.

«Zurwollke» ist eines von drei Hallenwohn-Projekten in der Überbauung Zollhaus der Kalkbreite-Wohnbaugenossenschaft. Zwischen dem Gleisfeld vor dem Zürcher Hauptbahnhof, der Langstrasse und der Zollstrasse ragen dort drei neue Gebäude bis zu sechs Stockwerke in die Höhe.

Die Halle – und erst recht die Dachterrasse – bieten Aussicht über weite Teile der Stadt. Von den praktisch pausenlos auf dem Gleisfeld vor dem Zürcher Hauptbahnhof vorbeifahrenden Zügen ist praktisch nichts zu hören.

In der Halle entsteht eine Wohnlandschaft

Neun Erwachsene und mehrere Kinder sollen schon bald in einer der lichtdurchfluteten Hallen im grössten Gebäude wohnen. Hinzu kommen weitere Leute, die sich dort einen Atelierplatz einrichten werden. Die Halle ist 275 Quadratmeter gross und rund 4 Meter hoch. Die Höhe soll genutzt werden, um den Flächenbedarf zu reduzieren. 8800 Franken Miete kostet die Halle.

Derzeit läuft der Bau der Wohntürme auf Hochtouren. Es sind sozusagen die privaten Zimmer der Hallenbewohnerinnen und -bewohner. Küche und mehrere Badezimmer wurden vom Vermieter bereits eingebaut und werden, wie ein grosser Teil der gesamten Halle, gemeinsam genutzt. Wenig Platz nur für sich, möglichst viel für alle. Eine Wohngemeinschaft im XXL-Format.

Am Innenausbau wird derzeit noch gearbeitet.

Die Türme werden allesamt auf Rädern stehen, damit sie bei Bedarf verschoben werden können. Das garantiert maximale Flexibilität. Bei den Ausmassen der Türme gelten die Vorgaben, die sich die Gruppe selber gemacht hat. Die verwendeten Materialien sind ganz unterschiedlich.

Eine Architektin setzt für ihre Wohntürme hauptsächlich auf Glas, Lehm und Stroh. Ein junger Handwerker baut die Gerüste seiner Wohntürme aus Bambusrohren. In der an sich kahlen Betonhalle duftet es nach Holz, von dem bereits viel verbaut wurde.

Zu den künftigen Bewohnern gehören auch Mätti Wüthrich und Eva Maria Küpfer zusammen mit ihren zwei Kindern. «Für mich ist das hier die logische Fortsetzung unserer Geschichte», sagt Wüthrich. Er habe schon rund zwanzig Jahre Erfahrung mit dem Hallenwohnen.

Mätti Wüthrich und Eva Maria Küpfer arbeiten an ihren zweigeschossigen Wohntürmen.

Diese Projekte seien Zwischennutzungen gewesen, etwa in besetzten Liegenschaften wie auf dem Labitzke-Areal in Zürich. Nun werde erstmals in der Schweiz ein Hallenwohn-Projekt in einem Neubau realisiert. «Damit fällt der Druck einer irgendwann bevorstehenden Räumung weg.»

«Das ganze Projekt ist nicht nur architektonisch spannend, sondern auch sozial.»

Mätti Wüthrich, Bewohner

Sie sind gekommen, um zu bleiben. Legal statt illegal, planmässig und geordnet, aber trotzdem kreativ und unkonventionell. Sie haben Genossenschafts-Anteilscheine gezeichnet und bezahlen Miete wie in Wohnbaugenossenschaften üblich.

«Das ganze Projekt ist nicht nur architektonisch spannend, sondern auch sozial», sagt Wüthrich. Entscheidend sei, dass alle ihre Bedürfnisse formulieren könnten und man für Probleme Lösungen finde, hinter denen alle stehen könnten.

Keine Angst vor zu viel Trubel

Angst vor zu wenig Ruhe und Privatsphäre in der grossen Halle hat er keine. «Privatsphäre ist nicht nur eine Frage der Räumlichkeiten, sondern auch eine von Absprachen untereinander.»

«Man merkt ja, wenn sich jemand mal zurückziehen möchte.»

Eva Maria Küpfer, Bewohnerin

«Man merkt ja, wenn sich jemand mal zurückziehen möchte», sagt auch Eva Maria Küpfer. Und es werde sicher auch immer wieder mal vorkommen, dass man fast alleine in der riesigen Halle sein werde. Diese Art zu wohnen, müsse einem natürlich liegen, sagt sie.

Das Restaurant Gleis in den «Hallenwohnen» gibt den Blick auf die Züge frei. 

Das gemeinsame Wohnen in einer nach eigenen Wünschen gestalteten Halle soll laut Wüthrich das Spektrum an Wohnformen erweitern und so normal werden wie die einstmals als revolutionär betrachteten Wohngemeinschaften. Die Umsetzung dieses experimentellen Wohnkonzepts in Zürich sei ein Pionierwerk.

Andernorts sind ähnliche Projekte im Aufbau. In Bern etwa ist die Genossenschaft Warmbächli daran, ein altes Lagerhaus für das Hallenwohnen umzunutzen. Wie in Zürich soll den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern der Raum praktisch im Rohbau überlassen werden, sodass sie ihn nach ihren eigenen Wünschen gestalten können.

SDA