Blockierte Wohnungen in ZürichWegen «rechtlicher Katastrophe» warnt der Stadtrat vor Baustillstand
Seit kurzem bekämpfen Bauanwälte Zürcher Bauprojekte mit Verweis auf Bundesrichtlinien. Die Gerichte geben ihnen recht. Die Stadt schlägt Alarm.
Das Problem ist hochjuristisch und schwer verständlich. Die Folgen jedoch sind hochpolitisch und leicht begreifbar.
Die sogenannten Isos-Richtinien verhindern in der Stadt Zürich dringend benötigte Wohnungen.
Zum Beispiel in Schwamendingen. Hier kann die Asig-Wohngenossenschaft ein Projekt mit rund 1000 Wohnungen vorerst nicht bauen – trotz 15 Jahren Planung und gültigem Gestaltungsplan. Grund dafür sind jene Isos-Richtlinien.
Das Problem drängt dermassen, dass der Zürcher Stadtrat von Bund und Kanton fordert, die Rechtspraxis zu ändern. «So funktioniert es nicht mehr», sagte Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) an einer Pressekonferenz vom Mittwoch. Schulvorsteher Filippo Leutenegger (FDP), welcher der stadträtlichen Bausektion angehört, sagte: «Wir stehen vor einer planungsrechtlichen Katastrophe. Es geht Richtung Stillstand.»
Gerichte stützen strenge Auslegung
Die Abkürzung Isos steht für das Bundesinventar der schützenswerten Schweizer Ortsbilder. Das Isos ergänzt den Denkmalschutz der Gemeinden und Kantone, es erfasst Gebäudegruppen, Strassen oder Plätze. Weil die Stadt Zürich aus vielen hochwertigen Siedlungen besteht, befinden sich seit 2016 rund 75 Prozent des Stadtgebiets unter Isos-Schutz.
Die Stadt habe seither Isos in der Bewilligungspraxis berücksichtigt, sagte André Odermatt. Bisher seien aber Abweichungen von den Isos-Vorgaben möglich, wenn das kommunale Interesse überwiege, zum Beispiel die innere Verdichtung.
Seit rund zwei Jahren sieht sich die Stadt aber vermehrt mit Rekursen gegen Bauprojekte konfrontiert, die sich auf die «Isos-Direktanwendung» berufen.
Die Isos-Vorgaben greifen strenger, wenn ein Bauprojekt zusätzlich einen Bereich betrifft, der als «Bundesaufgabe» gilt. Dazu gehören unter anderem Grundwasserschutz, Fotovoltaikanlagen oder Zivilschutzräume. Falls ein Bauprojekt also in einem Isos-Gebiet geplant ist und beispielsweise durch eine Pfählung ins Grundwasser reicht, kommt es zur Direktanwendung. Dann wird der Kanton eingeschaltet und die Isos-Einschränkungen können alle kommunalen Vorschriften übersteuern. So lassen sich auch Projekte blockieren, die alle Anforderungen der Stadt erfüllen. Geschehen ist dies jüngst bei der geplanten Siedlung Brunaupark.
Die Direktanwendung lässt sich fast in der ganzen Stadt begründen, zum Beispiel in Schwamendingen, wo Genossenschaften grosse Projekte planen. «Dort ist man sofort im Grundwasser», sagte Filippo Leutenegger. In grossen Teilen der Stadt drohe daher ein «Abbruch- und Neubauverbot».
Offenbar hat das niemand wirklich gewollt. Das betreffende Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz gilt schon länger. Neu ist, dass Bauanwältinnen die Isos-Direktanwendung entdeckt haben, um Bauprojekte zu bekämpfen. Und dass die Gerichte dieses Vorgehen stützen. «Die Rechtssprechung verschärft sich laufend», sagte André Odermatt.
Aus Sicht des Stadtrats ergibt diese Praxis keinen Sinn. Zwischen Grundwasser oder Zivilschutzkellern und den Isos-Richtlinien bestehe kein inhaltlicher Zusammenhang. Der Stadtrat will daher die Isos-Direktanwendung einschränken. Sie soll nur noch greifen, wenn geschützte Ortsbilder wirklich betroffen sind, zum Beispiel bei Mobilfunkantennen.
Baubewilligungen werden komplizierter
Mittlerweile hat die Stadt ihre Bewilligungspraxis der veränderten Rechtslage angepasst. Man schicke künftig fast alle rund 4000 Baugesuche pro Jahr an den Kanton, damit dieser sie auf Isos-Verträglichkeit prüfe. Dadurch verlängere sich die Dauer der Bewilligungsverfahren um Monate, sagte Anne-Kathleen von der Heyde, Direktorin des Amts für Baubewilligungen. Der Kanton habe mitgeteilt, dass dies zu einer Überlastung führen könnte.
Ausserdem könne die Stadt viel weniger Verbindlichkeit bieten, es mangle an Rechtssicherheit. «Die Unzufriedenheit ist riesig bei den Bauherren», sagte von der Heyde.
Im Städteverband und beim Kanton habe die Stadt Zürich bereits auf das Problem hingewiesen, sagte André Odermatt. Wahrscheinlich brauche es eine Anpassung des entsprechenden Bundesgesetzes. Eine solche müsste das nationale Parlament beschliessen. Bis dann sollen laut Stadtrat Übergangsregeln den «untragbaren Zustand» beheben.
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