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Europäischer Vergleich
In der Schweiz gibt es mehr Armut als in anderen Ländern

Viele Menschen in der Schweiz leben in einem Haushalt, der nur schwerlich über die Runden kommt: Ein Mann bezahlt im Caritasmarkt in Oerlikon seinen Einkauf.
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Neue Zahlen des Bundesamtes für Statistik lassen aufhorchen. Denn sie beleuchten ein Problem, das in der Schweiz fundamental unterschätzt wird: Armut. Davon sind hierzulande viel mehr Menschen betroffen, als die meisten denken. Weil ein Grossteil der Bevölkerung keine Geldsorgen hat, geht das aber oft vergessen.

Im europäischen Vergleich ist der allgemeine Lebensstandard in der Schweiz hoch. Er wird anhand des medianen Äquivalenzeinkommens gemessen, wobei die unterschiedlichen Preisniveaus zwischen den Ländern korrigiert werden. Nur in Luxemburg und Norwegen ist dieses Einkommen höher als in der Schweiz. Im Rest Europas ist es tiefer, in vielen Ländern deutlich.

Das kaufkraftbereinigte Einkommen ist in der Schweiz 1,2-mal so hoch wie in Deutschland, 1,4-mal so hoch wie in Frankreich und 2,6-mal so hoch wie in Griechenland. Obwohl die Schweiz als sehr teures Land gilt, ist der allgemeine Lebensstandard also höher als in den Nachbarstaaten und den meisten EU-Ländern. Davon profitiert eine Mehrheit, aber eben nicht die ganze Bevölkerung.

Viele Schweizerinnen und Schweizer sind mit ihrem Leben zufrieden. Anfang 2020 – noch vor dem Ausbruch der Pandemie – bezeichneten sich gut 40 Prozent der Bevölkerung als glücklich. Bei der letzten europäischen Erhebung 2018 wiesen nur Irland, Dänemark, Finnland, Österreich und Norwegen einen ähnlich hohen Wert auf.

Jeder zweite Schweizer, der von Armut betroffenen ist, hat einen Job.

Ergebnis der BFS-Studie

Dennoch gibt es auch hierzulande überraschend viele Menschen, die unter Geldmangel leiden und alles andere als zufrieden sind mit ihrem Leben. Im untersuchten Jahr waren 722’000 Menschen oder 8,5 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen – jede zwölfte Person in der Schweiz. Fast doppelt so viele, gut 1,3 Millionen respektive 15,5 Prozent der Bevölkerung, galten als armutsgefährdet.

Damit steht die Schweiz im internationalen Vergleich nicht wirklich gut da. Ihre Quote liegt zwar unter dem EU-Schnitt, ist aber höher als in vielen Ländern, darunter die Nachbarn Österreich und Frankreich.

Arm sind in der Schweiz längst nicht nur arbeitslose Personen. Die Hälfte der Betroffenen erzielte trotz Job kein Einkommen über der Armutsgrenze. Die Grenze wird von den Richtlinien der Konferenz für Sozialhilfe (Skos) abgeleitet und betrug 2020 durchschnittlich 2279 Franken im Monat für eine Einzelperson und 3963 Franken für zwei Erwachsene mit zwei Kindern. Personen, die mit weniger Geld auskommen müssen, haben oft ein tiefes Bildungsniveau oder einen ausländischen Pass. Häufig betroffen sind aber auch Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern.

«Das ist kein Zufall, sondern eine Folge von ungünstigen Rahmenbedingungen und strukturellen Benachteiligungen», schreibt das Hilfswerk Caritas zu den Ergebnissen der BFS-Studie. Probleme seien unter anderem die zu teure familienergänzende Kinderbetreuung, die fehlende Chancengleichheit im Bildungssystem und Sparmassnahmen bei der sozialen Sicherheit.

Als Folge davon lebt mehr als jede zehnte Person in der Schweiz in einem Haushalt, der es schwierig oder sehr schwierig hat, über die Runden zu kommen. Vielerorts in Europa ist dieser Anteil höher. Doch die Schweiz ist weit davon entfernt, ein Vorbild zu sein. Acht Länder schneiden im Vergleich besser ab, in Deutschland zum Beispiel ist die Quote nur etwa halb so hoch.

Die Zahlen, die das BFS veröffentlicht hat, beziehen sich auf die Zeit zwischen 2019 und Anfang 2020. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sind daher noch nicht ersichtlich. Erste experimentelle Auswertungen des BFS deuten darauf, dass die Lebenszufriedenheit seither abgenommen hat. Dasselbe gilt für das Haushaltseinkommen. 11 Prozent der Bevölkerung beklagten Lohneinbussen – insbesondere jene, die schon vor der Krise benachteiligt waren.

Die Schweiz habe es in der guten Wirtschaftslage vor der Krise verpasst, die Armut zu reduzieren, kritisiert die Caritas. Im Gegenteil habe diese seit 2014 kontinuierlich zugenommen. «Das verheisst nichts Gutes für die Zeit nach der Pandemie», schreibt das Hilfswerk. Es fordert Bund, Kantone und Gemeinden auf, sich gezielter und wirksamer für Armutsprävention und -bekämpfung einzusetzen. «Es braucht existenzsichernde Löhne und ein garantiertes Existenzminimum auf dem Niveau der Ergänzungsleistungen für alle Menschen in der Schweiz.»