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Pandemie-Desaster in Nordkorea
In Corona-Krise schimpft der Diktator erst mal über die Arbeitsmoral

Nordkorea ist schlecht vorbereitet auf die Pandemie: Kim Jong-un bei einem Apothekenrundgang in Pyongyang.
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Da steht er jetzt also, mitten in der Nacht, der Diktator in der Apotheke. Vor ihm Regale mit bunten Pappschachteln und zwei angemessen verunsicherte Verkäuferinnen, hinter ihm Parteifunktionäre, die die Botschaft dieses Besuchs jetzt vermutlich ganz genau reinschreiben in ihre Blöcke: Kim Jong-un, der grosse Retter, ist da und passt auf.

Das sollen die Menschen in seinem isolierten Reich wohl glauben, die diese Bilder vom Wochenende im nordkoreanischen Staatsfernsehen zu sehen bekommen. Kim Jong-un, der kleine Impfdosen hochhebt und inspiziert. Kim Jong-un, der gleich mal klarmacht, woran es fehle, nicht an Impfstoff, sondern an der «Arbeitseinstellung» der zuständigen Leute im Kabinett und in den Gesundheitsbehörden. Und an Apotheken, die 24 Stunden geöffnet haben.

Millionen ungeimpfte und teils unterernährte Menschen

Was die Bilder nicht zeigen: dass sein Land wohl gerade auf eine humanitäre Katastrophe zusteuert. Das Coronavirus ist in Nordkorea angekommen, dem am meisten abgeschotteten Land der Welt, und trifft jetzt auf Millionen ungeimpfte und zum Teil unterernährte Menschen. Auf ein Land, dessen Gesundheitssystem viel zu schwach ist, um Zigtausende Menschen mit akuten Corona-Symptomen behandeln zu können.

Am Dienstag, zwei Tage nach Kims Apothekenrundgang, schrieb die Parteizeitung «Rodong Sinmun», dass jetzt Tausendschaften von militärischem Medizinpersonal auf die Versorgung der Hauptstadt Pyongyang eingeschworen wurden. «Sie brachten ihren Willen zum Ausdruck, die wertvolle Medizin, Elixier des Lebens, den Menschen zu überbringen im Verbund mit der grossen Liebe des Kim Jong-un zu den Menschen.» So stand es in der Parteizeitung. Alles im Griff also? Von wegen.

Kim Jong-un und seine Parteibonzen wussten immer, dass sie einen Corona-Ausbruch unbedingt verhindern mussten, vor allem in der Millionenstadt Pyongyang. Deshalb schotteten sie die Nation von Anfang 2020 an radikal ab. Sie liessen kaum noch Handel zu und keine Hilfslieferungen, ausser diese kamen aus China.

«Weil Nordkorea keine Corona-Impfung eingeleitet hat, besteht das Risiko, dass das Virus sich schnell massenhaft verbreitet.»

Poonam Khetrapal Singh, WHO-Direktorin für Südostasien

Lebensmittel wurden knapp. Ausländische Diplomaten und Hilfsorganisationen zogen ab. Und Impfstoff? Nahm das Regime nicht an. Offiziell gab es ja keinen Corona-Fall. Bis vergangene Woche. Am Donnerstag meldeten Nordkoreas Staatsmedien den ersten positiven Test. Die Omikron-Variante war in Pyongyang angekommen. Am Freitag dann wurde der erste Covid-19-Todesfall gemeldet. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Südkorea bietet Nordkorea Lieferung von Corona-Impfstoffen an».)

Jetzt ist sie also da, die Gesundheitskrise, die es nie hätte geben sollen. Nach Kim Jong-uns Weisung befindet sich offiziell das ganze Land im Lockdown. Am Dienstag meldete die Parteizeitung, dass innerhalb von 24 Stunden «über 269’510 Personen mit Fieber, ungefähr 170’460 Genesungen und 6 Tote» erfasst worden seien. Insgesamt würden sich «mindestens 663’910 in medizinischer Behandlung befinden», bei 56 Todesfällen. In Nordkorea leben rund 25,5 Millionen Menschen.

Wie präzise die Zahlen sind, kann niemand sagen. Diplomaten und Hilfsorganisationen sind kaum noch im Land, es gibt so gut wie keine unabhängigen Informationen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist besorgt, auch weil Nordkoreas Regime meistens eher untertreibt, wenn es über seine Probleme berichtet. Die Lage dürfte also ziemlich ernst sein.

Corona hat nun auch Nordkorea erreicht: Desinfektion von Rolltreppen in einem Einkaufszentrum in Pyongyang.

Ein Lockdown nach chinesischem Vorbild? Das wäre in Nordkorea wohl gar nicht möglich. «Das Problem ist, dass Nordkorea viel ärmer ist und nicht die Logistik hat, um den Menschen im Lockdown Essen und andere Notwendigkeiten zu bringen», meint der Nordkorea-Experte Andrei Lankov von der Kookmin-Universität in Seoul. Laut unbestätigten Gerüchten sollen in einem früheren Lockdown schon Nordkoreaner verhungert sein.

«Weil das Land noch keine Corona-Impfung eingeleitet hat, besteht das Risiko, dass das Virus sich schnell massenhaft verbreitet», sagt Poonam Khetrapal Singh, WHO-Direktorin für Südostasien. Und die Nordkoreaner werden wegen Kim Jong-uns Abschottungspolitik über zwei Jahre Mangelernährung hinter sich haben – schon deshalb dürfte die Immunabwehr bei vielen geschwächt sein.

Nordkorea ist auf Hilfe aus China angewiesen

Und ob die Medikamente, die das Militär jetzt angeblich Tag und Nacht in Pyongyang verteilen soll, den Ausbruch wirklich bremsen? Eher nicht, befürchtet Peter Ward, Nordkorea-Experte von der Universität Wien. Denn Nordkorea hat keine grosse Auswahl. Die meisten Medikamente kommen aus dem Ausland, dieser Tage also wohl aus China, einige, wie etwa das fiebersenkende Paracetamol, werden in Nordkorea hergestellt.

«Soweit ich weiss, werden Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner Zugang zu schmerzstillenden Mitteln haben, zu Anti-Fieber-Medizin, Antibiotika und Steroiden», sagt Peter Ward. «Der Zugang wird allerdings durch die Grenzschliessungen stark behindert.» Bei medizinischen Instrumenten wie Beatmungsgeräten sieht es wahrscheinlich noch schlechter aus. Und wer nicht in der nordkoreanischen Hauptstadt lebt, hat es erst recht schwer, irgendeine Art von Gesundheitsversorgung zu bekommen.

Immerhin, südkoreanische Medien berichten mit Verweis auf informierte Kreise, dass zum ersten Mal seit Anfang 2020 wieder nordkoreanische Flugzeuge zwischen Pyongyang und Städten in China hin- und herfliegen. Sie sollen nicht näher beschriebenes Gerät zur Covid-19-Bekämpfung geholt haben. Kim Jong-un scheint also zu verstehen, dass er gerade nicht viel mehr tun kann, als sich helfen zu lassen.