Covid-Impfungen in EU-StaatenIm Westen gut, im Osten mässig
Die EU hat bei der Corona-Impfquote die USA überholt. Doch das Tempo zwischen Vorreitern wie Spanien und Nachzüglern wie Bulgarien unterscheidet sich enorm. Das sind die Gründe.
Es ist eine Erfolgsgeschichte, die sich zwischenzeitlich zu einem Drama entwickelte – und sie begann vor fast genau einem Jahr. Am 27. August 2020 unterzeichnete die EU-Kommission den ersten Kaufvertrag für Corona-Impfstoff: mit AstraZeneca über 400 Millionen Dosen. Dieser Vertrag bereitete der EU später viel Ärger, und die Querelen sind noch nicht vorbei. Denn der britisch-schwedische Hersteller hatte Lieferprobleme, und das war ein wichtiger Grund dafür, dass die Impfkampagnen der EU-Staaten zu Jahresanfang nur schleppend anliefen.
Doch inzwischen erhalten die Mitgliedsstaaten mehr als genug Vakzin aus den EU-Verträgen mit verschiedenen Pharmakonzernen. Die Herausforderung besteht nun für manche Regierungen darin, ein effizientes Impfsystem zu etablieren und Impfskeptiker zu überzeugen.
Von der Leyen: «EU hat Wort gehalten»
Ursprünglich gab die EU als Ziel aus, bis September so viel Impfstoff verteilt zu haben, dass es für 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung reicht. Diese Marke wurde aber schon Mitte Juli geknackt. «Die EU hat Wort gehalten», sagte eine zufriedene EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und sie mahnte zugleich, die Regierungen müssten «alles dafür tun, dass die Impfungen vorankommen».
Diese Aufforderung richtet sich vor allem an jene Staaten, die hinterherhinken. Schliesslich sind die Unterschiede gewaltig. Im Durchschnitt haben 74,4 Prozent der Erwachsenen in der Europäischen Union mindestens eine Corona-Impfung erhalten, rechnet die EU-Seuchenschutzbehörde ECDC vor.
Das ist mehr als in den USA. Doch die Spanne in Europa liegt zwischen 21 Prozent in Bulgarien und 97 Prozent in Malta. Platz zwei in der EU geht an Irland, vorne sind auch Spanien und Dänemark, Deutschland rangiert nur knapp über dem EU-Schnitt. In sieben Ländern sind weniger als 60 Prozent der Erwachsenen gegen Corona geimpft – neben Bulgarien sind das Rumänien, Lettland, Kroatien, die Slowakei, Slowenien und Polen. Schwer tun sich also in erster Linie ost- und südosteuropäische Regierungen.
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Die Gründe dafür sind unterschiedlich: In Bulgarien und Rumänien rührt der Rückstand teilweise daher, dass die Impfquoten unter der Roma-Bevölkerung so niedrig sind. In Polen oder auch in Griechenland sind es manchmal Kirchenvertreter, die Impfskepsis schüren. Zudem haben manche EU-Staaten beim Vakzin-Kauf stärker auf AstraZeneca gesetzt und weniger auf das Präparat von Biontech und Pfizer.
Deswegen haben diese meist ärmeren Länder, etwa Bulgarien, in den vergangenen Monaten mehr unter den Lieferausfällen von AstraZeneca gelitten. Im Frühjahr provozierte das sogar einen erbitterten Streit zwischen EU-Regierungen.
Die EU-Kommission wollte solche Querelen vermeiden und hatte daher von Anfang an vorgeschlagen, die Vakzine jedes einzelnen Produzenten genau nach Bevölkerungsanteil auf die Staaten zu verteilen. Allerdings wollte im vorigen Herbst manche Regierung weniger vom Biontech-Impfstoff kaufen, als ihr zusteht: zum Beispiel Bulgarien. Das Mittel ist viel teurer als das Präparat von AstraZeneca und muss tiefgekühlt werden.
Die EU-Kommission hat Verträge mit sieben Herstellern abgeschlossen – über bis zu 4,6 Milliarden Dosen bis 2023.
Ähnliche Bedenken gab es beim Impfstoff des US-Konzerns Moderna. Die überzähligen Dosen des Biontech- oder des Moderna-Vakzins orderten dann reichere Staaten, etwa Deutschland, Frankreich, Dänemark oder die Niederlande. Deswegen erhielten sie davon mehr, als der Bevölkerungsschlüssel nahelegt, und waren weniger von AstraZeneca abhängig. Gut für diese Länder, schlecht für Bulgarien.
Insgesamt hat die EU-Kommission Verträge mit sieben Herstellern abgeschlossen – über bis zu 4,6 Milliarden Dosen bis zum Jahr 2023. 585 Millionen Dosen wurden seit Dezember ausgeliefert, 506 Millionen Dosen gespritzt. Der jüngste Vertrag stammt von Anfang August. Demnach soll der US-Biotechkonzern Novavax bis zu 200 Millionen Dosen zur Verfügung stellen.
Allerdings hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA in Amsterdam das Präparat noch nicht zugelassen. Gleiches gilt für das Mittel der Firma Curevac und den Impfstoff von Sanofi und GlaxoSmithKline. Genau wie bei Novavax hat die Kommission hier Vorbestellungen abgegeben, die nur dann zu Lieferungen führen, wenn die Vakzine genehmigt werden.
Hängige Klage der EU gegen AstraZeneca
Mehr als zwei Drittel der bisher gelieferten Dosen stammen vom deutschen Konzern Biontech und seinem US-Partner Pfizer. AstraZeneca steht nur für 15 Prozent, auf einen ähnlichen Wert kommen Moderna und Johnson & Johnson zusammen. AstraZeneca hat bislang nur 90 Millionen Dosen geschickt. Laut Vertrag hätte der börsennotierte Konzern zwischen Dezember und Ende Juni 300 Millionen Dosen liefern sollen.
Die Ausfälle liegen an Anlaufschwierigkeiten im belgischen Werk eines Auftragsfertigers – und daran, dass AstraZeneca behauptete, kein Vakzin aus britischen Fabriken exportieren zu dürfen, da diese vorrangig das Vereinigte Königreich bedienen müssten. Die Probleme des Konzerns lähmten zunächst die Impfkampagne der EU-Staaten und provozierten wütende Kritik an der EU-Kommission und deren Präsidentin Ursula von der Leyen. (Lesen Sie zum Thema den Artikel «Wir haben die Komplikationen unterschätzt».)
Schwung gewann die Kampagne erst Anfang April, als Biontech/Pfizer und Johnson & Johnson ihre Liefermengen rasant steigerten. Ende September befasst sich wieder ein Gericht in Brüssel mit einer Klage der Kommission gegen AstraZeneca wegen der Ausfälle. Der Ärger geht also weiter.
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