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Meinung

Kolumne von Michael Hermann
Identitätspolitik und die Rückkehr des Respekts

Olaf Scholz hat in seinem Wahlkampf peinlich darauf geachtet, nur Dinge zu versprechen, die er auch tatsächlich liefern kann.
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Auf den ersten Blick steht der Wahlerfolg der deutschen Sozialdemokraten für eine Abkehr von der viel gescholtenen Identitätspolitik: Statt von Gendern sprach Olaf Scholz von der Rente, statt von Polizeirassismus von Mindestlohn.

Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, wie sehr sein Erfolg sehr wohl auf Identitätspolitik beruht. Rein materiell waren Scholz’ Wahlkampfversprechen ausgesprochen karg: «Stabile Renten!» – das wurde bereits von der aktuellen Regierung Merkel für die nächsten Jahre festgelegt. «12 Euro Mindestlohn!» – das ist gemessen an der aktuellen Inflation eher moderat und belastet noch nicht einmal die Staatskasse und ist somit auch für den wahrscheinlichen Partner FDP verdaubar.

In der Politik ist das Einhalten von Versprechungen wichtiger als deren schiere Grösse.

Scholz hatte seit Beginn seines langen Wahlkampfs peinlich darauf geachtet, nur Dinge zu versprechen, die er auch tatsächlich liefern kann, und zwar mit einer Ampelkoalition, die er immer schon als seine einzige realistische Machtoption betrachtete. In der Politik ist das Einhalten von Versprechungen wichtiger als deren schiere Grösse. Auch das hat mit Respekt zu tun, und genau dies war sein eigentliches Wahlversprechen. Nicht klassische Sozialpolitik, sondern der vage Begriff «Respekt» bildete die Grundlage seines Erfolgs.

Sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der auf niemanden heruntergeschaut wird, das ist auch der Wesenskern guter Identitätspolitik. Inspirieren liess sich Scholz dabei interessanterweise vom Buch «Die Rückkehr nach Reims», dem Klassiker von 2009 des linken französischen Soziologen Didier Eribon. Es handelt von der Rückkehr des Autors in die Provinz ins ärmliche Arbeitermilieu, aus dem er als junger homosexueller Intellektueller einst geflohen war und wo mittlerweile nicht mehr links, sondern Front National gewählt wird.

Eribon beschreibt darin in grosser Klarheit, wie sich die Menschen dort, die sich oftmals von den Eliten gedemütigt sahen, nicht mit materiellen Versprechungen von den Rechtspopulisten zurückholen lassen. Es geht ihnen vielmehr um Würde und Respekt und somit letztlich um ihre Identität. Das leicht Tragische ist, dass Eribon seine klarsichtigen Beobachtungen selbst nie wirklich an sich herangelassen hat. Er, und mit ihm eine ganze Generation junger Linker, suchte das Heil lieber in einem akzentuierten Antikapitalismus – und im Bashing gemässigter Sozialdemokraten.

Der ganze Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten baute auf dem Begriff des Respekts auf.

Ausgerechnet Olaf Scholz hat nun als erster Spitzenpolitiker Eribons Beobachtungen zum Nennwert genommen. Der ganze Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten baute auf dem Begriff des Respekts auf. Ein Begriff, der nur deshalb so gut wirkte, weil er ihn auch glaubwürdig verkörperte. Wesentlich zu dieser Glaubwürdigkeit beigetragen hat, dass er Respekt nicht auf einzelne Gruppen verengte. Er beteiligte sich nicht am Bashing urbaner Milieus, wie es allen voran die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht getan hat.

In ihrem neuen Buch «Die Selbstgerechten» arbeitet sich Wagenknecht an jenen ab, die sich bloss um Gender-Themen, Veganismus und kulturelle Vielfalt kümmern würden, statt um das Wohl der sogenannt kleinen Leute. Hierzulande sind es Persönlichkeiten wie Frank A. Meyer oder mein Kolumnenkollege Rudolf Strahm, die diesen Diskurs befeuern.

Wer jedoch gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielt, hilft am Ende den Rechten, die von solchen Gräben leben und gerade deshalb so gerne immer und immer wieder über Gendersternchen reden. Eine Kultur des Respekts bedeutet, Menschen unabhängig von Stand, Anschauung und Herkunft mit Respekt zu begegnen. Scholz tat gut daran, mit dem Mindestlohn und der Rente Themen ins Zentrum zu rücken, die den vergessenen Milieus besonders am Herzen liegen. Seine zentrale Botschaft des Respekts trägt jedoch in alle Richtungen gleichermassen. Mehr Respekt wünscht sich die junge Queer-Frau in Berlin ebenso wie der Rentner in der brandenburgischen Provinz.