Barbara Peter pflegt ihren Mann und bekommt dafür Lohn«Ich habe viel gelernt über Logopädie und Physiotherapie»
Wer seine nächsten Angehörigen pflegt, muss Beruf und Privatleben gut vereinbaren. Wie das gehen kann, zeigt ein Erwerbsmodell, das immer mehr Zuspruch findet.
Die 55-jährige Barbara Peter hat vor einem Jahr ihren geregelten Bürojob an den Nagel gehängt, um ihren pflegebedürftigen Ehemann (57) zu betreuen. Sie liess sich von der Spitex anstellen. Seitdem erhält sie einen Lohn für die Pflege ihres Mannes Markus Baumgartner, der nach einer Hirnblutung rechtsseitig gelähmt ist und an einer Sprachstörung leidet.
Zuerst im Heim – jetzt in einer Alterswohnung
Damals, vor sechs Jahren, musste Markus Baumgartner nach der Rehabilitation ins Pflegeheim – eng an seiner Seite stets seine Frau. Sie besuchte ihren Mann täglich: nicht nur, um ihm Gesellschaft zu leisten, sondern vor allem auch, um mit ihm zu trainieren, sprachlich und körperlich. «Ich habe viel gelernt über Logopädie und Physiotherapie», sagt sie.
Im August 2020 fanden die beiden eine rollstuhlgängige Alterswohnung in Affoltern am Albis. «Endlich konnten wir wieder zusammenziehen», freut sie sich noch heute. Zu Beginn musste noch die Spitex der Gemeinde kommen. «Mein Mann war jedoch sehr unglücklich über die ständige Hilfe von fremden Menschen», erinnert sich Barbara Peter.
So entschied sie sich, diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Sie liess sich auf ein ungewöhnliches Arbeitsverhältnis ein mit der «AsFam AG», einer von mehreren Schweizer Spitexorganisationen, die sich auf Angehörigenpflege spezialisiert haben: Die gelernte Buchhändlerin gab daraufhin ihre 60-Prozent-Stelle in einem Büro auf. Seither macht Barbara Peter täglich mit ihrem Mann Bewegungs-, Lese- und Schreibübungen. Dank ihrer Unterstützung erzielt er grosse Fortschritte.
Lohn für Leistung
Seit einigen Jahren können pflegende Angehörige mit der örtlichen Spitex oder grossen Spitexorganisationen wie Asfam einen Arbeitsvertrag abschliessen. Von dieser Möglichkeit machen immer mehr Angehörige Gebrauch, vor allem im weitläufigen Kanton Graubünden. Verstärkt aber auch in der übrigen Schweiz, seit Anfang 2021 ein neues Bundesgesetz zur Vereinbarkeit von Beruf und Angehörigenpflege in Kraft getreten ist.
«Pflegende Angehörige nehmen in der häuslichen Pflege eine Schlüsselfunktion ein.»
Ein Arbeitsvertrag mit den angestellten Angehörigen ist das übliche Modell, auch wenn es inzwischen einen Spitexbetrieb gibt, der dies anders handhabt und damit einen Rechtsstreit mit Krankenversicherungen ausgelöst hat (Tamedia berichtete). Die Spitexorganisation Asfam besteht seit 2020 und hat inzwischen 200 pflegende Angehörige unter Vertrag: «Wir unterstützen Angehörige, die zu Hause einen Menschen mit grossem Aufwand pflegen», sagt Ruedi Kunz, Gründer von Asfam im Kanton Zürich. Er betont: «Pflegende Angehörige nehmen in der häuslichen Pflege eine Schlüsselfunktion ein.»
Mit einem Vertrag werde ihre Arbeit in einen formalen Rahmen gestellt und die Pflegesicherheit verbessert. Barbara Peter sagt denn auch: «Ich schätze den monatlichen Austausch mit einer Fachperson von der Spitex sehr.»
Die Spitexorganisation bezahlt ihr als Arbeitgeberin einen Stundenlohn von brutto 33.50 Franken, inklusive Sozialversicherungsbeiträge und zusätzlichen Feriengelds, was dem aktuellen IV-Assistenzbeitrag entspricht. Neben der Entlöhnung gibt es fachliche Begleitung, ebenso Weiterbildungen.
Krankenkasse und Gemeinden bezahlen
Barbara Peter muss als Angestellte täglich eine Pflegedokumentation führen, anhand derer bezahlt die Krankenkasse der Spitex die erbrachten Leistungen. Die Spitex entlöhnt damit die pflegenden Angehörigen, dazu kommt noch ein Beitrag der öffentlichen Hand.
Die bezahlten Aufgaben beschränken sich auf die Grundpflege wie Waschen, An- und Auskleiden, Bewegungsübungen, Aufstehen und Hinlegen oder Toilettengang. Alles, was mit Behandlungen wie Spritzengeben oder Wundversorgung zu tun hat, dürfen die angestellten Angehörigen aber nicht übernehmen. Wie das Arrangement im Einzelfall aussieht, muss vorgängig immer genau geklärt werden.
Lohn – auch als Wertschätzung
Das neue Modell eignet sich nicht nur für Menschen im Erwerbsalter. So erhält die 67-jährige Sabine Bachmann aus Wädenswil seit einem Jahr ebenfalls einen Lohn für Angehörigenpflege, obschon sie bereits pensioniert ist. Ihr Ehemann Christian leidet seit über 30 Jahren an Parkinson und ist vollumfänglich auf Hilfe angewiesen. «Seit ich entlöhnt werde, fallen mir belastende Tätigkeiten im Betreuungsalltag oft leichter», gesteht die ehemalige Primarlehrerin offen ein.
Der Einsatz ist jedoch gross. Pflege und Betreuung nehmen sie fast rund um die Uhr in Beschlag. Neuerdings kommt zusätzlich noch die Nacht-Spitex, die ihrem Mann aufs WC hilft. Dank des guten Zusammenspiels von externen Hilfen und dem Einsatz von Sabine Bachmann kann so ein Heimeintritt verhindert werden – darüber ist das Ehepaar sehr erleichtert.
Angestellt ist Sabine Bachmann von Solicare, einer ebenfalls 2020 gegründeten Spitexorganisation, die mit ausgebildeten Pflegefachleuten die angestellten Angehörigen in der ganzen Deutschschweiz unterstützt und begleitet. «Wichtig ist uns der solidarische Gedanke», sagt Romano Ricciardi von Solicare. Die Pflegeleistungen der Angehörigen sollen gesellschaftlich anerkannt und entlöhnt werden.
Wichtig sei auch, darauf zu achten, dass die hohe Belastung nicht zu einer Überbelastung führe. Deshalb suchten sie mit den pflegenden Angehörigen immer auch geeignete Entlastungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel eine Tagesstätte oder punktuelle Einsätze durch die örtliche Spitex.
Weniger Lohn- und Renteneinbussen
Mehr und mehr Angehörige lassen sich von der Spitex anstellen. Dennoch, die grosse Mehrheit leistet die Betreuungs- und Pflegearbeit nach wie vor unentgeltlich. Das sind jährlich gegen 64 Millionen Stunden, was einem Wert von 3,5 Milliarden Franken entspricht.
Die Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger würde dies gerne ändern. «Das neue Erwerbsmodell ist eine Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Angehörigenpflege», sagt sie, die im Rahmen einer Studie der Zürcher Careum-Hochschule Gesundheit das neue Erwerbsmodell untersucht hat. Bisher hätten pflegende Angehörige häufig erhebliche Lohneinbussen in Kauf nehmen müssen, weil sie weniger gearbeitet oder ihre Stelle sogar ganz aufgegeben hätten. Wegen fehlender AHV- und Pensionskassen-Beiträge litt dabei aber auch die soziale Absicherung im Alter.
Das sollte bei Barbara Peter nicht passieren. Seit sie für die Pflege ihres Mannes bei der Spitex angestellt ist, zahlt sie in ihre Altersvorsorge ein und verhindert so später eine grosse Renteneinbusse.
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