Jobcoach: Serie «Motiviert, fähig, sucht»«Ich finde es normal, für eine Arbeit den Wohnsitz zu wechseln»
In einer neuen Serie sprechen wir mit Menschen auf Jobsuche über Sorgen, Ängste und Ärgernisse. Den Auftakt macht ein 55-Jähriger mit drei Ausbildungen – und einigen Ansprüchen.
Uwe Baumgart ist 55, hat drei Berufe gelernt, ist derzeit angestellt, sucht aber dennoch einen neuen Job. Für unsere neue Serie «Motiviert, fähig, sucht» haben wir mit ihm über unlineare Lebensläufe, Ärgernisse im Bewerbungsprozess und Ansprüche an die Arbeitgebenden von heute gesprochen.
Herr Baumgart, wie lange sind Sie schon auf Stellensuche?
Während der Pandemie habe ich viel über Arbeit nachgedacht. Und gemerkt: Ich wünsche mir einen Job, bei dem ich Wertschätzung erfahre, Abwechslung habe, mein Know-how anwenden kann und mit meinen Ideen auf offene Ohren stosse.
Trotzdem sind Sie noch angestellt. Sind Sie ein Quiet Quitter – haben Sie also innerlich gekündigt?
Nein, ich möchte lediglich in meinem Arbeitsleben Anpassungen vornehmen. Bis dahin arbeite ich weiter intensiv und produktiv, mache Verbesserungsvorschläge und bin auf eine gute Bewertung aus.
Lassen Sie uns kurz in Ihren Lebenslauf blicken …
Mein Lebenslauf ist nicht geradlinig. Ich habe Verschiedenes gemacht und in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet. Das half mir, geistig beweglich und lernfähig zu bleiben.
Optisch ist Ihr CV eher unauffällig.
Ich habe eine Vorlage, den Europass, verwendet, welche die Europäische Kommission empfiehlt. Dieses strukturierte Werk wird aber häufig kritisiert, was ich nicht verstehe. Mir wird gesagt, der Lebenslauf sei anders als üblich und nicht individuell genug, die persönliche Handschrift fehle. Dabei wollte ich es den Lesenden mit einem Standard-CV möglichst einfach machen.
«Zu wenig Erfahrung hier, zu viel Erfahrung da – die Firmen sind mit Absagegründen oft sehr kreativ.»
Welche Ausbildung haben Sie absolviert?
Ich habe drei Abschlüsse: als Uhrmacher, Versicherungsfachmann und Feinmechaniker. Zuerst habe ich in der Uhrenindustrie in der Produktion gearbeitet, dann als Versicherungsverkäufer, später als Handelsvertreter für Textilien. Anschliessend habe ich selbstständig einen Online-Versandhandel für Wohlfühlprodukte aufgezogen. Danach wollte ich wieder etwas Handwerkliches mit einem geregelten Arbeitstag und bin seither Monteur für Präzisionsgeräte.
Kommt Ihnen diese Vielseitigkeit zugute oder wird Ihnen das als Nachteil ausgelegt?
Es wird mir als Nachteil ausgelegt, dass ich nicht dauerhaft das Gleiche gemacht habe. Zu wenig Erfahrung hier, zu viel Erfahrung da – die Firmen sind mit Absagegründen ja oft sehr kreativ.
Und was suchen Sie jetzt? Wo wollen Sie hin?
Da ich vielseitig interessiert bin, steht für mich das Unternehmen im Vordergrund. Ich kann ja beides, kaufmännisch und handwerklich. Darum suche ich ein Unternehmen, das unterschiedliche Potenziale nutzen möchte und flexibel ist. Es wäre also möglich, dass ich etwas montiere, Prozesse optimiere und dazu noch kaufmännische Aufgaben erledige oder sogar ab und an etwas verkaufe. Schön wäre es, wieder etwas mit Uhren zu machen. Vielleicht erst in der Qualitätskontrolle und ab und an in der Montage.
Kommen wir zu den Klassikern unter den Fragen an Stellensuchende: Was sind Ihre Stärken?
Ich bin mutig. Für mich ist es zum Beispiel normal, für eine Arbeit den Wohnsitz zu wechseln. Andere loben meine Offenheit und Ehrlichkeit. Ich reflektiere mein Handeln und bin bereit, Neues auszuprobieren und Arbeitsweisen anzupassen, um ein Ziel leichter zu erreichen. Ich denke oft über alternative Lösungen nach. Ein Beispiel: In Bern, wo eine neue Tramlinie geplant wird, fände ich eine Seilbahn viel besser: Sie wäre ökologisch, wartungsarm, kostengünstig, flexibel und tourismusfördernd. Die Strasse wäre für den Individual- und Lieferverkehr frei und ich kann minütlich einsteigen.
«Wie soll ich wissen, was mich motiviert, in einem mir bisher unbekannten Unternehmen zu arbeiten, wenn ich kaum Informationen dazu habe?»
Und was sehen Sie als Ihre Schwächen?
Ich verkaufe mich als Mensch nicht gern, weil ich mich nicht als eine Ware betrachte. Deshalb feilsche ich zum Beispiel nicht um den Lohn. Und ich spreche Missstände an. Ich bin gegenüber dem Unternehmen loyal – und nicht gegenüber unempathischen Vorgesetzten.
Jetzt haben Sie, wie es viele machen, Stärken als Schwächen verkauft. Wollen Sie noch etwas ergänzen?
Ich wusste gar nicht, dass ich auch ungewollt clever und schlagfertig bin! Im Ernst: Als wirkliche Schwäche sehe ich, dass ich keine Fremdsprachen gelernt habe.
Warum hat es in Ihren Augen bisher nicht geklappt mit dem passenden Job?
Ich möchte und muss ein Unternehmen gut kennen, um sagen zu können: Ich bin motiviert. Meist springt der Funke im Vorfeld nicht rüber. Wie soll ich wissen, was mich motiviert, in einem mir bisher unbekannten Unternehmen zu arbeiten, wenn ich kaum Informationen dazu habe?
«Ich verstehe nicht, warum ein Manager ab 50 Jahren im besten Alter ist, dies aber für die übrige Belegschaft nicht gilt.»
Was finden Sie am schwierigsten daran, auf Stellensuche zu sein?
Ich finde es zum Beispiel schade, dass es nicht möglich ist, irgendwo seine Fähigkeiten einzugeben und dann passende Stellen vorgeschlagen zu bekommen. Nur mit Glück findet man eine Stellenausschreibung mit seiner momentanen Berufs- oder Tätigkeitsbeschreibung. Zudem schreckt es ab, wenn die eierlegende Wollmilchsau gesucht wird und dabei noch nicht einmal ein Lohn zu erahnen ist. Des Weiteren ist es aufwendig, herauszufinden, wie Mitarbeitende im Unternehmen behandelt werden. Ich möchte gern in einem modernen, zukunftsorientierten Unternehmen arbeiten.
Wie zum Beispiel?
Zu Swatch habe ich mal aufgeschaut. Dort hätte ich gern gearbeitet, weil ich das Unternehmen innovativ und zukunftsgerichtet einschätzte. Wenn ich dann aber erfahre, dass dort, wie in Genf geschehen, zwei Frauen kurz nach dem Mutterschaftsurlaub entlassen werden, dann platzt die Illusion so schnell wie eine Seifenblase.
Sind vielleicht Ihre Ansprüche zu hoch?
Im Arbeitsleben muss man bereit sein, Kompromisse einzugehen. Aber in der heutigen Zeit sollte ein Betrieb moralisch handeln.
Was nervt Sie am Bewerbungsprozess?
Er ist zu kompliziert. Viele Unternehmen wollen alles vom Bewerber wissen, während die Bewerbenden die Katze im Sack kaufen müssen. Oft wird zudem nach Alter, Geschlecht, Herkunft, Aussehen oder angenommenen Gehaltsvorstellungen entschieden, obwohl dies in 99,9 Prozent der Fälle kaum Relevanz für die Stelle hat. Und Bewerbungsgespräche werden oft in einer Art geführt, dass einem Angst und Bange werden kann. Dabei erinnere ich mich heute noch an Gespräche, die offen und freundlich gehalten wurden. Ausserdem verstehe ich nicht, warum ein Manager ab 50 Jahren im besten Alter ist, dies aber für die übrige Belegschaft nicht gilt.
Was muss für Sie eine Arbeitgeberin erfüllen, damit sie für Sie infrage kommt?
Sie könnte sich zum Beispiel einfach mal initiativ bei mir melden, das wäre ein guter Anfang.
Bei welcher Firma würden Sie, ohne zu zögern anheuern?
Bei Rolex. Auf der Rolex-Website stehen Werte, wie ich sie auch ausdrücken würde: Es ist die Rede vom «Bestreben, über die Welt und unseren Platz in ihr nachzudenken und zum Allgemeinwohl beizutragen.»
Sagt das heute nicht jedes Unternehmen?
Nicht so.
Was muss sonst noch stimmen?
Die Arbeit sollte spannend sein und die Mitarbeitenden wertschätzend behandelt werden. Und das Produkt sollte einen positiven Nutzen für die Kundinnen und Kunden haben. Es können aber auch Benefits und Alleinstellungsmerkmale eines Unternehmens ausschlaggebend sein.
Kennen Sie die perfekte Arbeitgeberin für Uwe Baumgart – oder möchten Sie uns selbst von Ihrer Jobsuche berichten? Schreiben Sie uns mit Betreff «Motiviert, fähig, sucht» an blogs@tamedia.ch.
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