Interview mit Blixa Bargeld«Ich bin sehr vorsichtig und muss das auch sein»
40 Jahre Einstürzende Neubauten: Mit dem neuen Album und einer Tour wollte die Band ihr Jubiläum begehen. Dann kam Corona. Frontmann Blixa Bargeld über sein Leben in Quarantäne und Taschen als Instrumente.
Wie geht es Ihnen in der aktuellen Situation?
Ich bin seit 36 Tagen in Quarantäne. Ich bin sehr vorsichtig und muss das auch sein: Mein Immunsystem ist nicht besonders gut, alt genug bin ich ausserdem. Also gehe ich gar nicht raus.
Die gewonnene Zeit nutzen Sie für einen Quarantäne-Blog auf Neubauten.org, in dem Sie kochen.
Das zieht erstaunlich weite Kreise. Ich koche freitags, das ist sozusagen ein Synchronkochen. Vom Schneiden bis zum Köcheln erfolgt alles in Echtzeit, sodass man zu Hause mitkochen kann, was auch ziemlich viele Leute tun. Anschliessend schneidet eine Agentur das auf ein Fünf-Minuten-Format runter und stellt das Video bei Instagram-TV ein.
Sie sind jetzt ein Food-Influencer!
Ganz genau, auf die alten Tage bin ich Influencer geworden. Influenza würde auch passen, ist auch ein Coronavirus.
Sie können das kaum geplant haben, aber durch den Berlin-Bezug, der das Album durchzieht, passt es gut in die Zeit. Berlin ist ja isolationserprobt.
Ach ja, der Berlin-Bezug. «Grazer Damm» kann ich als Referenz stehen lassen, aber das Album hätte nicht «Grazer Damm» heissen können. Die anderen Berlin-Referenzen auf dem Album kann man aber vernachlässigen. Es geht in «Tempelhof» nicht um Tempelhof und in «Wedding» nicht um Wedding.
«Polenkoffer hauen einen als Instrument erst mal nicht um, aber gerade darin liegt der Reiz.»
Gerade diese Nichtorte finde ich interessant, weil sie in der populären, auf die immer gleichen City-Bezirke beschränkten Berlin-Erzählung selten vorkommen. Wie erleben Sie als Berliner die Rezeption der Stadt in der Literatur, den Medien und im Pop?
Es ist ermüdend. Wäre Corona nicht gewesen, hätten wir uns im Jahr 2020 auf eine Dauerberieselung mit der ewigen Zwanzigerjahre-Nummer aus Kokain und Charleston einstellen können. Im Januar ging es bereits los, da wurde alles permanent mit den Zwanzigerjahren in Berlin verglichen.
Sie haben in Peking und San Francisco gelebt, wohnen seit einigen Jahren wieder in Berlin. Was bindet Sie?
Aktuell vor allem meine schulpflichtige Tochter. Das schränkt die Mobilität ja durchaus ein.
Dazu gibt es in dem neuen Song «Möbliertes Lied» die schöne Zeile: «Unsere Tochter wird hier wohnen, gut mit, gut ohne uns.»
Das ist das erste Stück, das wir für das Album angefangen haben. Eine Improvisation, bei der dann die Tochter ins Spiel kam, als ich gemerkt habe, dass ich das gar nicht mehr für meine Frau und mich renoviere, sondern für meine Tochter.
Berlin wurde stets durch Fluchtbewegungen geprägt, in die Stadt und aus ihr hinaus: Flucht aus der DDR, Flucht aus der Enge der westdeutschen Provinz ins Berlin der Achtzigerjahre ...
Historisch betrachtet, ist Berlin immer eine Stadt gewesen, in die Menschen von woanders her kamen. Das geht vom grossen Kurfürsten bis heute. Zu Westberliner Zeiten war es ein weit verbreiteter Witz zu sagen, dass man überhaupt keine Berliner kenne und noch nie einen getroffen habe. Alle kamen von woanders her, die meisten waren Schwaben.
Gegenwärtig erleben wir vor allem die Flucht nach Berlin vor Krieg und Vertreibung. Hier setzt indirekt der Song «Taschen» an, in dem die billigen, karierten Plastiktaschen eine Rolle spielen, in denen Geflüchtete ihr Hab und Gut transportieren.
Der sogenannte Polenkoffer, den kann man sogar unter diesem Begriff googeln.
Was hat Sie an diesen Taschen gereizt?
Polenkoffer hauen einen als Instrument erst mal nicht um, aber gerade darin liegt der Reiz. Wenn wir etwas dem normalen Kreislauf entziehen und einbinden in die künstlerische Produktion. Ich habe erst mal versucht, die Taschen mit Helium zu füllen, weil ich dachte, es wäre doch schön, auf ihnen zu spielen, und dann fliegen sie weg. Fliegende Polenkoffer, das wäre ein tolles Bild gewesen.
«Unter anderem fiel der Satz: ‹Ich kann auch als Vegetarier Meret Oppenheims Pelztasse gut finden.›»
Aber?
Sie flogen nicht! Dafür sind sie dann anscheinend doch zu schwer. Also wollte ich sie mit Verpackungsmaterialien füllen, Styroporflocken und so weiter. Und dann ging eine Diskussion los in der Band, ob wir denn überhaupt noch mit Verpackungsmaterialien arbeiten sollten. Stichwort Nachhaltigkeit.
Wie haben Sie sich in dieser Debatte positioniert?
Unter anderem fiel der Satz: «Ich kann auch als Vegetarier Meret Oppenheims Pelztasse gut finden.»
Wie haben Sie die Plastiktaschen denn letztlich zum Klingen gebracht?
Indem wir die Tasche mit Lumpen gefüllt haben. Und mit Containern, die wiederum andere Dinge enthielten: Münzen, Nägel, Nudeln, Erbsen. Alex Hacke spielte dann auf so einer Tasche, und in dem Moment hat es bei mir klick gemacht. Ich habe einfach an das Meer gedacht, und plötzlich war der Satz da.
«Zwischen uns und dir / Wälzt die Wogen ungeheuer / Ein gefrässiges Ungetüm.» Es geht natürlich um das Drama der Geflüchteten im Mittelmeer.
Ich habe den schwedisch-palästinensischen Dichter Ghayath Almadhoun gefragt, ob ich eine Zeile aus seinem Gedichtband «Ein Raubtier namens Mittelmeer» verwenden darf. Dann kam ich nachts auf eine weitere Idee: Ich wollte etwas fortsetzen, das ich bei unserem Stück «Grundstück» begonnen hatte: «Was ich in deinen Träumen suche, ich suche nichts, ich räume auf», heisst es da. Nun beginnt «Taschen» mit der Zeile: «Was wir in deinen Träumen suchen, wir suchen nichts, wir warten» – und dann kommt die Zeile mit dem gefrässigen Ungetüm.
«Alles in allem» erscheint zu einem Jubiläum: 40 Jahre Einstürzende Neubauten. Ihr seid immer noch da. Wie konnte das passieren?
Keine Ahnung. Ich hatte nie das Gefühl, dass das lange dauert. Das zementierte sich erst, als wir einen Plattenvertrag mit dem englischen Label «Some Bizarre» abschlossen, um drei Alben aufzunehmen.
Sind Sie zufrieden mit dem, was aus den Neubauten geworden ist?
Ich weiss nicht, welche Position wir haben. Ich kriege viel Zuspruch. Gestern hat mir jemand einen langen, wunderbaren Brief geschrieben, wie traurig er sei, dass wir die Amerika-Tour abgesagt haben. Der Absender muss um die 30 sein und wollte immer schon die Neubauten sehen. Hat nie geklappt.
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