Lia Thomas: Debatte um trans Menschen«Ich bin eine Frau, also gehöre ich ins Frauenteam»
Die trans Frau gewinnt in den USA eine nationale Meisterschaft. Unfair, sagen die Kritiker, obwohl die 22-jährige Schwimmerin alle Regeln eingehalten hat.
Wann akzeptiert der Sport eine trans Frau als Teilnehmerin? Und gelten im Sport andere Regeln als in der Gesellschaft? Nicht erst seit die Schwimmerin Lia Thomas vor einer Woche in Atlanta als erste trans Frau auf der höchsten Ebene des College-Sports Meisterin wurde, werden diese beiden Fragen in den USA emotional diskutiert. Arizona war am Donnerstag der nächste auf der immer länger werdenden Liste von US Bundesstaaten, die es trans Frauen verbieten, in der Highschool Teil eines Teams für Mädchen zu sein.
Die Debatte reicht aber weit über die Vereinigten Staaten hinaus. Sie ist relevant für den Sport weltweit.
Thomas gehört zu der Gruppe Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. «Die sehr einfache Antwort ist: Ich bin kein Mann. Ich bin eine Frau, also gehöre ich ins Frauenteam. Trans Menschen verdienen den gleichen Respekt, den jede andere Athletin bekommt», sagt die 22-Jährige gegenüber «Sports Illustrated».
Zum Ende ihrer Zeit an der Highschool beginnt sie, ihr Mannsein infrage zu stellen, am College kann sie durch Gespräche mit anderen trans Menschen ihre Gefühle besser einordnen und outet sich schliesslich innerhalb der Familie im Sommer nach dem ersten Studienjahr in Pennsylvania. Bis Thomas auch ihren Trainern und anderen Menschen davon erzählt, vergehen noch Monate, aber auch dazu kommt es schliesslich. So berichtete es «Sports Illustrated» Anfang März. Mit dem Magazin hat sich die ansonsten medienscheue Frau mehrfach unterhalten und ihre Geschichte erzählt.
Sie schwimmt nicht mehr so schnell wie als Mann
Sie beginnt eine Hormontherapie und unterdrückt das Testosteron in ihrem Körper. Nach zwölf Monaten, so sind die Regeln damals, darf eine trans Frau am US-College in Wettkämpfen für Frauen antreten. Corona verzögert alles, aber für die Saison 2021/22 ist die aus Texas stammende Thomas schliesslich Mitglied des Frauen-Schwimmteams.
So schnell wie als Mann schwimmt Thomas nicht mehr. Ihr Körper hat sich verändert, die Kraft ist früher weg, und das Regenerieren dauert länger. Sie schwimmt allerdings schneller als die meisten Frauen, gegen die sie antritt – teilweise um mehrere Sekunden. Was zunächst nur in der kleinen College-Schwimmwelt bemerkt wird, bekommt wegen ihrer Leistungen bei einem Wettkampf im Herbst zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Nach dem Sieg im 500-Yard-Freistilrennen am Donnerstag der vergangenen Woche steigt die Aufregung ins Unermessliche.
Unfair sei ihre Teilnahme, sagen die Kritiker. Weil sie in ihrer Pubertät ein Mann gewesen sei, habe sie biologisch einen Vorteil gegenüber den Konkurrentinnen – grösser, athletischer, mehr Kraft. Menschen, die Thomas im Speziellen und trans Menschen im Allgemeinen verteidigen, argumentieren: Physische Merkmale sind nie fair, die meisten Spitzensportler und Spitzensportlerinnen haben irgendeinen Vorteil und sind auch deswegen so gut in ihrer jeweiligen Disziplin. Geschlechtertrennung im Sport sei dazu da, Frauen zu schützen und sie in Abwesenheit männlicher Konkurrenz sportlich glänzen zu lassen, sagen die einen. Thomas sei eine Frau, sagen die anderen.
Relativ zur Bevölkerung sind trans Menschen trotz der steigenden Wahrnehmung eine sehr kleine Gruppe, insbesondere im Sport. Sie werden aber zunehmend sichtbar in der Gesellschaft. Darum geht es auch Thomas. «Ich möchte trans Kindern und jüngeren trans Athleten einfach zeigen, dass sie nicht allein sind», sagte sie gegenüber «Sports Illustrated». «Sie müssen sich nicht entscheiden zwischen, wer sie sind, und dem Sport, den sie lieben.»
Das IOK gibt die Verantwortung weiter
Wen akzeptiert der Sport als Teilnehmerin? Diese Frage wurde auch wegen Caster Semenya oft gestellt. Die Leichtathletin aus Südafrika ist keine trans Frau. Die Leistungen und Fähigkeiten der zweimaligen 800-Meter-Olympiasiegerin beschäftigen Verbände und Gerichte trotzdem seit langem. Der Weltverband setzte schliesslich eine Testosteronobergrenze fest für jede Frau, die an Wettkämpfen zwischen 400 Metern und einer Meile teilnehmen will. Semenya klagte dagegen, zuletzt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Inwiefern ein solcher Grenzwert überhaupt Sinn ergibt, ist nicht eindeutig belegt. 2014 kam eine Studie zur Erkenntnis, dass Spitzensportlerinnen mit einem relativ hohen Testosteronlevel sogar mehr Testosteron im Körper haben können als Spitzensportler mit einem relativ niedrigen Testosteronlevel. Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie schloss, dass die Hormontherapie von trans Frauen schon nach neun Monaten bestimmte Werte im Körper auf das Niveau bringt, das die meisten Frauen haben. Noch nach drei Jahren seien bestimmte Kraftwerte aber überdurchschnittlich. Die verwendeten Daten stammen von trans Menschen ohne Bezug zum Spitzensport.
Das Internationale Olympische Komitee (IOK) hat die Verantwortung in die Hände der Fachverbände gelegt. Seit dem Herbst – nachdem Gewichtheberin Laurel Hubbard in Tokio als erste offen lebende trans Frau an Olympia teilgenommen hatte – gibt es eine Richtlinie, die Diskriminierung verhindern soll und das Recht aller Sportlerinnen und Sportler auf die Teilnahme an Wettkämpfen betont. Einen pauschalen Testosterongrenzwert gibt es nicht mehr.
Die konkrete Umsetzung von möglichen Tests überlässt das IOK anderen. Der Welt-Schwimmverband (Fina) teilte mit, man arbeite an einer Richtlinie für trans Menschen, die einfach zu verstehen sei und die richtige Balance zwischen Inklusion und Fairness habe.
Was über die College-Ebene hinaus passiert, kann auch für Lia Thomas künftig bedeutsam sein. Nach ihrem Sieg über die 500 Yards (457,2 m) belegte sie den geteilten fünften Platz über 200 Yards Freistil und wurde über 100 Yards Freistil Achte – es war ihr letztes Rennen in einer Meisterschaft für Studierende. «Ich weiss nicht genau, wie meine Zukunft im Schwimmen aussehen wird nach diesem Jahr, aber ich würde liebend gern weitermachen», sagte sie zu «Sports Illustrated». Ein Qualifikationsversuch für Olympia 2024 in Paris scheint im Bereich des Möglichen. «Ich möchte schwimmen und an Wettkämpfen teilnehmen als die, die ich bin.»
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DPA
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