Hongkongs Regierung zieht Auslieferungsgesetz zurück
Der geplante Gesetzesentwurf sah die Möglichkeit vor, Menschen an China auszuliefern. Sie war der Auslöser für die heftigen Proteste der vergangenen Wochen.
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat den Entwurf zum umstrittenen Gesetz für Auslieferungen nach China komplett zurückgezogen. Das teilte Regierungschefin Carrie Lam am Mittwoch nach einem Treffen mit Abgeordneten mit. Zuvor war monatelang auf den Strassen protestiert worden.
Lam kündigte zudem einen Dialog mit Vertretern aus allen Teilen der Gesellschaft an, um einen Ausweg aus der politischen Krise in der chinesischen Sonderverwaltungszone zu finden. Man müsse sich mit der Unzufriedenheit der Menschen befassen. Oberste Priorität habe ein Ende der Gewalt, sagte sie am Mittwoch.
Mit dem formellen Rückzug erfüllt Lam eine Hauptforderung der Demonstranten und beweist Entgegenkommen. Der wegen des massiven Widerstandes bereits auf Eis liegende Gesetzesentwurf war Auslöser für die Demonstrationen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
Für «gestorben» erklärt
Das Gesetz hätte Auslieferungen von verdächtigten Personen nach China erlaubt, obwohl dessen Justizsystem nicht unabhängig ist und häufig als Werkzeug politischer Verfolgung benutzt wird.
Nach den ersten Protesten hatte die Regierungschefin den Entwurf zunächst ausgesetzt und später für «gestorben» erklärt, ohne ihn aber komplett zurückzunehmen.
Weitere vier Forderungen
In ersten Reaktionen äusserten Aktivisten ihre Erleichterung, machten aber deutlich, dass ihnen der Rückzug nicht ausreicht. Die weiteren vier Forderungen der Demonstranten sind der Rücktritt der Regierungschefin, eine unabhängige Untersuchung übermässiger Polizeigewalt, die Freilassung von Festgenommenen und eine Rücknahme des Vorwurfs des «Aufruhrs». Viele Demonstranten fordern darüber hinaus noch politische Reformen und wirklich freie Wahlen.
«Wenn sie die Sprechchöre der Leute in den Märschen hören, dann sind es die fünf Forderungen und nichts weniger», sagte Bonnie Leung von der Civil Human Rights Front, die grosse Demonstrationen organisiert hatte. Vielen dürfte der Rückzug des Gesetzes nicht weit genug gehen, wenn es nicht eine Untersuchung der Polizeigewalt gebe. «Ohne eine unabhängige Untersuchung kann unsere Gesellschaft einfach nicht voranschreiten, weil wir jetzt sehen, dass die Polizei jeden Tag wahllos Leute verprügelt», sagte Leung.
Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China in ihrem Territorium mit einer eigenen Verfassung nach dem Prinzip «ein Land, zwei Systeme» autonom regiert. Die Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, geniessen aber - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik - mehr Rechte wie zum Beispiel Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Appell an Merkel
Hongkongs Protestführer baten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kurz vor Beginn ihrer China-Reise um ein Treffen. In einem offenen Brief an Merkel, der der «Bild»-Zeitung vorliegt, warnt der bekannte Aktivist Joshua Wong vor einer Eskalation der Gewalt.
«Uns steht eine diktatorische Macht gegenüber, die keine freiheitlichen Grundrechte zulässt und immer mehr gewalttätige Massnahmen anwendet, mit Tendenz zu einem neuen Massaker wie am Tian'anmen-Platz», heisst es in dem Brief. 1989 schlugen Soldaten am Platz des Himmlischen Friedens in Peking Demokratie-Proteste gewaltsam nieder.
In dem offenen Brief sprechen die Protestführer Merkel auf ihre DDR-Vergangenheit an. Da sie aus erster Hand Erfahrungen mit diktatorischen Regimen habe, könne sie sich gut in die Situation der Protestler hineinversetzen. Merkel solle deshalb die Situation in Hongkong bei Gesprächen mit der chinesischen Regierung ansprechen. Die Bundeskanzlerin wird am Donnerstag nach China reisen und am Freitag Gespräche in Peking führen.
Neue Zwischenfälle
Nach den schweren Ausschreitungen am Wochenende in Hongkong kam es in der Nacht zum Mittwoch zu neuen Zwischenfällen. Die Polizei räumte gegen Mitternacht eine Gruppe von Demonstranten von einem Platz vor der Polizeistation im Stadtviertel Mong Kok, wie der Sender RTHK am Mittwoch berichtete. Auch machte die Polizei in der U-Bahn-Station Prince Edward eine Festnahme.
Bei beiden Polizeieinsätzen wurde Pfefferspray eingesetzt. Bei den Protesten und Ausschreitungen sind insgesamt bereits mehr als 1100 Menschen festgenommen worden.
SDA/step
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