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Vortrag am Filmfestival
Hollywood-Streik: Fulminante Attacke eines Produzenten aus Locarno

Auch Locarno steht im Zeichen des Doppelstreiks in Hollywood: Publikum auf der Piazza Grande am 4. August.
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«50 Gründe, weshalb die Kino-Apokalypse bevorsteht» – so lautete der Titel des Vortrags, den der 60-jährige US-Produzent Ted Hope im Rahmen des Filmfestivals Locarno hielt. Er feuerte Folie um Folie ab, unter den Gründen waren zum Beispiel diese: Die Studiochefs verdienen achtstellige Gehälter, während die Kreativarbeiter nebenamtlich Uber fahren, um ihre Miete zu zahlen. Die Studios geben unverhältnismässig grosse Summen für Marketing und Oscarkampagnen aus. Netflix verdiente 900 Millionen Dollar mit «Squid Game», doch der Schöpfer der Serie bekam keinerlei Tantiemen. 

Ted Hope produzierte in den 90er-Jahren unabhängige Filme wie «The Ice Storm», bis vor kurzem war er Chef des Filmstudios des Streaminganbieters Amazon. Er ist also «indoktriniert» vom Profitsystem in Hollywood, wie er im Gespräch nach seiner fulminanten Attacke auf die Studios erzählt. Den grössten Missstand von Plattformen wie Netflix und anderen sieht er darin, dass die Serienmacher und -macherinnen keinen Zugriff auf die Daten haben. Sie wissen also nicht einmal genau, wie oft ihre Episoden gestreamt werden. 

Ted Hope ist Filmproduzent und Verfechter des Independent-Kinos.

Bezahlt werden trotzdem alle so, als hätten sie einen Hit abgeliefert; das ist die sogenannte Backend-Kompensation. Gut ist das für jene, deren Geschichten sich als Flops erweisen, sie werden trotzdem gut entlöhnt. Schlecht ist es für die Hit-Entwickler, weil sie trotz Erfolg nicht mehr erhalten als die anderen. 

«Es ist kriminell.»

US- Produzent Ted Hope

Da es angesichts der Überproduktion an Inhalten nicht mehr klar ist, welchen Wert eine Serie oder ein Film noch hat, ist es einfacher geworden, die Arbeit von Autorinnen und Schauspielern zu entwerten. Das ist die paradoxe Folge des goldenen Fernsehzeitalters, das vor gut zwanzig Jahren mit «The Sopranos» begann. Je mehr Content es brauchte, desto kleiner wurden die Schreibteams für die Serien und desto tiefer sank die Wertschätzung für Darsteller und Darstellerinnen. Seit Jahren stagnieren die Löhne, die Beschäftigung in Hollywood bietet kaum Sicherheit, und die Tantiemen sind ins Lächerliche gesunken. 

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Wie wenig US-Darsteller verdienen, verraten sie derzeit in den sozialen Medien. Dabei geht es vor allem um die Tantiemen, die sich daraus ergeben, wie oft etwas gestreamt wird. Das Gesamtgehalt von Mara Wilson etwa, die für die Netflix-Serie «Bojack Horseman» arbeitete, war zu tief, als dass sie über die Schauspielgewerkschaft eine Krankenversicherung hätte abschliessen können. Die Grenze liegt bei 26’000 Dollar jährlich.

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Emma Myles trat als Nebendarstellerin in 54 Folgen von «Orange Is the New Black» auf und erhielt dafür pro Jahr 20 Dollar Vergütung für die Streams. William Stanford Davis, der eine kleine Rolle in der Komödienserie «Abbott Elementary» auf Disney+ hat, zeigte auf Instagram seine Tantiemen-Abrechnung. Es waren einmal drei Cents, einmal fünf.

Die Gehaltsunterschiede zwischen der kreativen Klasse und der Managerklasse in Hollywood bezeichnet Ted Hope als «kriminell». Die Streamingwelt könnte sich zu einem neuen Oligopol aus wenigen mächtigen Anbietern entwickeln. Genau so wie früher die Fernsehsender.

Die Schauspieler und Schauspielerinnen sind seit Mitte Juli im Streik, die Drehbuchautoren seit Mai. Ein Treffen von Autoren und Studios hat am Freitag keine Ergebnisse gebracht. Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht; in den USA werden derzeit praktisch keine Filme und Serien gedreht. 

Der Streik hat längst die Festivals erfasst: Cate Blanchett wäre in Locarno zum Schlussabend erwartet worden; als Mitglied des Actor’s Council der Schauspielgewerkschaft SAG-Aftra, das für die Bewerbung von Stiftungstätigkeiten zuständig ist, hat sie ihren Besuch abgesagt. Der schwedische Darsteller Stellan Skarsgård ist nach Locarno gereist, verzichtet aber auf seinen Preis. Auch Venedig muss dieses Jahr ohne Hollywoodstars wie Bradley Cooper auskommen.

Laut dem künstlerischen Leiter Giona A. Nazzaro hat Skarsgård eine Ausnahmegenehmigung mit der Gewerkschaft ausgehandelt, um in Locarno Filmgespräche führen und Interviews geben zu können. Über den Streik will Skarsgård allerdings nicht reden.

Aus Nazzaros Sicht werfen die Streiks Fragen auf, die «alles andere als einfache oder kompromissfähige Lösungen bieten». Nazzaro glaubt, dass die Diskussionen bis zur nächsten Oscarverleihung geführt werden könnten. Es stehe viel auf dem Spiel: Je nachdem, wie die Branche auf die Forderungen reagiere, werde sich die Arbeit und die Entlöhnung der Streikenden möglicherweise «für immer verändern», sagt Nazzaro. «Insbesondere angesichts des Vormarsches von Algorithmen und künstlicher Intelligenz.»

Die Piazza Grande in Locarno. 

Der Umgang mit KI ist tatsächlich ein zentraler Streitpunkt in den Streiks. Für die Schauspielgewerkschaft stellt sich die Frage der digitalen Abbilder ihrer Mitglieder, die «likeness». Diese kann für eine Produktion abgetreten werden oder sogar für eine unbeschränkte Nutzungszeit. 

Als Produzent kriege er immer wieder von KI erstellte Entwürfe oder Drehbuch-Treatments, so Ted Hope. Manche seien ernsthaft, andere eher ein Witz. «Wir benutzen seit Jahren Computereffekte, um etwa Massenszenen mit digital entworfenen Personen zu komplettieren. Aber es ist doch etwas ganz anderes, ein Gesicht einzuscannen und dieses bis in alle Ewigkeit zu verwenden.»

Unterschied zur Schweiz

Die Streiks in Hollywood waren auch Thema an der Medienkonferenz des Bundesamts für Kultur. Dessen Direktorin Carine Bachmann machte auf die Unterschiede zwischen den USA und der Schweiz aufmerksam, wo die öffentliche Hand viel stärker in der Kulturförderung präsent sei und einen Rahmen gebe, der es ermögliche, «gerechte Arbeitsbedingungen» ins Auge zu fassen. Inwiefern das Schweizer Schauspielerinnen und Schauspieler etwas nützt, die am Existenzminimum leben oder den Beruf gewechselt haben, ist eine andere Frage.

Ted Hope wird irgendwann grundsätzlich. Für ihn gefährdet die Entwicklung in Hollywood ein «Menschenrecht», nämlich das Recht, sich künstlerisch auszudrücken, und das soll für alle auf die gleiche Art gelten. Dafür brauche es wohl mehr als zwei Streiks. Es brauche die Initiative von Zivilgesellschaft und Politik.