Kolumne «Heute vor»Hoher Besuch in Kilchberg und ein heuchlerisches «bitte»
1982 düpierte der deutsche Bundespräsident Journalisten in Kilchberg. Ein Redaktor sinnierte derweil über das Wörtchen bitte.

Im Jahr 1982 besuchten der deutsche Bundespräsident Karl Carstens und der schweizerische Bundespräsident Fritz Honegger den Friedhof in Kilchberg, um dem Schriftsteller Thomas Mann ihren Respekt zu zollen. Der Literaturnobelpreisträger hatte an seinem Lebensende in Kilchberg gewohnt und liegt nun dort begraben.
Mit gut 50 anderen Journalisten, Pressefotografen und Radioreporter wartete der Redaktor des «Anzeigers des Bezirks Horgen» aufgeregt auf den hohen Besuch in Kilchberg. Die Bundespräsidenten seien schliesslich von einer anderen Seite als erwartet gekommen und hätten so alle vorausgegangenen Positionskämpfe der eifrigen Journalisten zunichtegemacht.
So stellten sich Carstens und Honegger vor dem Grab des Literaturnobelpreisträgers auf. Was Carstens nicht wusste: In der Nacht zuvor war das Grab von Aktivisten mit Farbe beschmiert worden. Der CDU-Politiker war nämlich unter anderem wegen seiner Vergangenheit in der NS-Zeit umstritten. Das Grab konnte aber noch vor seiner Ankunft gereinigt werden.
Der deutsche Beamte legte also ohne Debakel einen Blumenstrauss auf dem Grab nieder. Nun galt es für den Redaktor des «Anzeigers» gegen die Konkurrenz anzukommen. «Also Kamera sichern, spurten, Platz halten, Ellenbogen benützen!», schrieb er. «He, Sie da, gehen Sie gefälligst aus dem Blickwinkel meiner Kamera!», habe eine «befehls- und respektgewohnte DRS-Stimme» ertönt.
Manch einer könnte meinen, man hätte auch mit einem «bitte» anständig fragen können. Ein Redaktor der rechtsufrigen «Zürichsee-Zeitung» schrieb just zu dieser Zeit über die Kehrseite des «bitte» und würde bei dieser Annahme wohl zu Vorsicht raten. «Während Tiere mit ihren Lock- und Drohrufen ganz ehrlich umgehen, können wir Menschen Heucheltöne und Heuchelformen zu Hilfe nehmen», begann er seinen Text.
Wir täten dies zur Schonung der Gefühle – «Höflichkeit nennt man das», hielt der Redaktor fest. Das Wörtchen bitte spiele dabei eine eigenartige Rolle. Bei Befehlen mildere es die Forderung: «Schliessen Sie – bitte (ich wäre Ihnen dafür dankbar) – die Tür!» Bei Fragen verstärkt es die Erwartung: «Würden Sie – bitte (machen Sie keine Umstände) – die Tür schliessen?»
In Bitten könne das Wörtchen gar einen Nachdruck erzeugen, der bis zur Drohung reiche. Das milde «Gib mir den Schlüssel!» kann zu einem herrischen «Gib mir bitte den Schlüssel!» gesteigert werden. Man sollte also – bitte – nicht zu sehr auf den netten Charakter des Wörtchens bitte vertrauen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.