Armut in der CoronakriseHilfe für Arme hat es im Parlament schwer
SP-Nationalräte fordern in der Corona-Krise schnelle Unterstützung für Armutsbetroffene. Noch werden ihre Anträge im Parlament abgeblockt.
In der Schweiz leben 660’000 Armutsbetroffene, 144’000 davon sind Kinder. 500’000 Menschen wiederum befinden sich an der Grenze zur existenziellen Not. Das gab das Bundesamt für Statistik im Januar bekannt, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise also.
Die Anzahl Armutsbetroffener schnellt seither nach oben. Diese Entwicklung kann die Hilfsorganisation Caritas in Echtzeit mitverfolgen. Caritas ist seit dem Ausbruch der Corona-Krise schweizweit mit einer stark steigenden Nachfrage nach kostenlosen oder stark vergünstigten Lebensmitteln konfrontiert. In jeder Woche werden mehrere Hundert zusätzliche Einkaufskarten für Caritas-Märkte ausgestellt, die nur Personen bekommen, die gegenüber den Behörden eine Notsituation nachweisen können. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Von den Menschen, die noch vor kurzem knapp über der Armutsgrenze lebten, dürften viele unter die Armutsgrenze gefallen sein. «Wenn das Geld schon vor der Krise knapp war, genügt eine Reduktion des Lohnes wegen Kurzarbeit, und es bleibt nicht mehr genug zum Leben», betont Caritas-Sprecher Stefan Gribi. Die Armutsgrenze liegt für Einzelpersonen bei 2300 Franken Monatseinkommen, bei 4000 Franken für Familien mit zwei Kindern unter 14 Jahren.
Motion fordert Verzicht auf Retorsionsmassnahmen
Caritas fordert vom Bundesrat Soforthilfe für Menschen mit tiefsten Einkommen und Armutsbetroffene. Konkret sollen Einzelpersonen, deren Einkommen unter jenem Niveau liegt, das zu Ergänzungsleistungen berechtigt, aus der Bundeskasse eine einmalige Direktzahlung von 1000 Franken bekommen. Das Geld sollen sie nicht zurückzahlen müssen. Eine Milliarde Franken koste die Soforthilfe, so Caritas-Sprecher Gribi.
SP-Nationalrat Cédric Wermuth reichte die Forderung der Caritas in der laufenden Sondersession als Motion ein. Doch Vorstösse zugunsten Armutsbetroffener haben im Parlament derzeit einen schweren Stand.
Armutsbetroffene werden im Stich gelassen.
Die Kommission für Soziales und Gesundheit des Nationalrats weigerte sich, den Bundesrat in einem Schreiben aufzufordern, für Personen in prekären Arbeitsverhältnissen raschmöglichst Lösungen zu suchen. SP-Nationalrätin und Kommissionsmitglied Mattea Meyer scheiterte darüber hinaus mit ihrem Antrag, dass der Bundesrat den Lohnersatz für Arbeitnehmende auf 4000 Franken anheben soll, wenn diese bei einem 100-Prozent-Pensum kurzarbeitsbedingt weniger als 4000 Franken verdienen und der Zustand länger als zwei Monate andauert.
Die Winterthurerin argumentiert: «Armutsbetroffene mussten bereits vor der Krise jeden Franken zweimal umdrehen. Nun werden sie weiterhin im Stich gelassen.» Kürze man ihre Einkommen nicht, habe das eine doppelte positive Wirkung, so Meyer. Erstens helfe dies den Armutsbetroffenen, ihre akute Existenznot zu lindern. Zweitens stärke es ihre Kaufkraft, was gerade in Krisenzeiten für die gesamte Wirtschaft wichtig sei.
SP-Nationalrätin Ada Marra stellte wiederum fest, dass Arbeitnehmer mit einer Aufenthaltsbewilligung sich weigern, den Staat um Hilfe anzugehen, obschon sie wegen zu geringer Einkünfte infolge der Corona-Krise auf Sozialhilfe angewiesen wären und das Recht hätten, Hilfe zu bekommen. Doch Betroffene befürchten, dass der Staat sie danach mit dem Entzug des Aufenthaltstitels bestraft und in anderen Fällen ihre Einbürgerung blockiert. Ada Marra forderte deshalb in einer Motion zuhanden der Staatspolitischen Kommission, der Staat müsse wegen wirtschaftlicher Notsituationen infolge der Corona-Krise während einer gewissen Zeit auf jegliche Retorsionsmassnahmen verzichten. Die Motion wurde am Ende in ein Schreiben zuhanden des Bundesrats umgewandelt. Noch ist offen, wie der Bundesrat reagiert.
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