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Armut in den USA
Hilfspakete werden die Amerikaner nicht retten

Frewillige verteilen in Oklahoma Lebensmittelboxen an Familien.
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Es war seit jeher etwas Besonderes, arm zu sein in den Vereinigten Staaten. In einer Kultur des Überflusses und angeblicher Chancengleichheit und inmitten eines Kontinents, den es auszubeuten galt, war Armut ein Stigma. Wer arm war, trug selbst daran Schuld und wurde entsprechend behandelt.

Amerikaner ohne Eigentum durften erst ab 1828 an Wahlen teilnehmen, Afroamerikaner und Frauen erst im 20. Jahrhundert. In den ländlichen Gebieten des US-Südens, in den Tobeln der Appalachen sowie den Ghettos der Metropolen blieb Armut weit verbreitet. 1962 beschrieb der linke Soziologe Michael Harrington diese Armut eindringlich in seinem Bestseller «Das andere Amerika».

Harringtons Buch leitete Reformen ein, darunter die staatliche medizinische Versorgung von Armen und Senioren sowie Präsident Lyndon Johnsons «Krieg gegen die Armut». Aber Armut, ja sogar Hunger, blieb ein steter Begleiter in einer Gesellschaft, die seit 1980 zusehends ungleicher wurde und viele Amerikaner zurückliess.

Lange Schlangen vor den «Food Banks»

Nun drohen die Corona-Krise und die mit ihr einhergehenden wirtschaftlichen Schäden mehr Menschen in Armut zu stürzen. Die Arbeitslosigkeit könnte in den kommenden Monaten auf ein Niveau steigen, wie es die USA seit der Grossen Depression der dreissiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr erlebt haben. Trotz Hilfspaketen in Höhe von Billionen Dollar, die der Kongress verabschiedet hat, werden mehr Amerikaner in die Armut abrutschen.

Immerhin leben nahezu vier Fünftel der Erwerbstätigen von einer Lohnzahlung zur nächsten, viele Haushalte bildeten auch in guten Zeiten kaum Rücklagen. Stattdessen sind sie überschuldet, neben Hypotheken und Ratenzahlungen für Autos belasten hohe Kreditkarten-Verpflichtungen viele Familien. Schon Anfang April konnten fast 40 Prozent der Amerikaner ihre Miete nicht mehr bezahlen.

Zwar bietet der Staat Lebensmittelmarken für sozial Schwache an, nicht alle aber profitieren davon. Neue Auflagen haben den Zugang zu staatlicher Lebensmittelhilfe in den vergangenen Jahren erschwert. Vor den gemeinnützigen «Food Banks», den Tafeln von Kirchen und karitativen Institutionen, bilden sich bereits lange Autoschlangen. Amazon-Boss Jeff Bezos hat kürzlich zwar 100 Millionen Dollar für die Tafeln gespendet, nötig aber sind nach Angaben der Betreiber mindestens 1,4 Milliarden Dollar zur Linderung akuter Lebensmittelnot.

Arbeitslose als «Virus-Detektive»

Steigt die Arbeitslosenrate weiter an und zieht sich der wirtschaftliche Notstand länger als erwartet hin, wird der Kongress neue Hilfspakete verabschieden müssen. Dabei könnte Franklin Roosevelts New Deal mit seinen umfangreichen Beschäftigungsinitiativen als Vorbild dienen.

Rund zehn Prozent der Amerikaner erhielten zwischen 1932 und 1940 ein staatliches Gehalt, noch heute profitieren Besucher der Nationalparks von den damaligen Arbeitsbeschaffungsmassnahmen: Wanderwege wurden angelegt, Strassen befestigt und Zeltplätze geschaffen. In Massachusetts will der republikanische Gouverneur Charlie Baker nun rund 1000 Arbeitslose als «Virus-Detektive» einsetzen, die den Kontakten von Infizierten nachspüren sollen.

Sollte sich die Corona-Krise hinziehen, bräuchte es freilich mehr als nur sofortige Hilfsmassnahmen: Die brüchigen sozialen Einrichtungen des Landes müssten geflickt, weitreichende Reformen die horrenden Unterschiede zwischen Arm und Reich überwinden helfen.

Die ehemaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Elizabeth Warren und Bernie Sanders sowie Vordenker an amerikanischen Universitäten und Think Tanks hätten die dazu notwendigen Ideen. Manche Republikaner wie die Gouverneure Mike DeWine in Ohio, Larry Hogan in Maryland und Charlie Baker in Massachusetts würden sie dabei unterstützen.

Versagen die Institutionen und Instanzen in den kommenden Monaten, wird das Virus Millionen Amerikaner in eine neue Armut treiben. Wachsende Not und weiter gravierende Ungleichheit könnten die amerikanische Demokratie bis ins Mark erschüttern.