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Pink Floyd am See
Heimweh nach dem Weltall

Gegenwärtig, gespielt also ohne jede Nostalgie: Guy Pratt, Nick Mason und  Gary Kemp von Saucerful of Secrets live in Oslo, 17. Mai 2022.
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Es ist eine weitere Woche der alten weissen Männer gewesen: Am letzten Samstag feierte Paul McCartney, einer der überlebenden Beatles, seinen 80. Geburtstag. Am Dienstag gaben die Stones im Mailänder San Siro ein hellwaches Konzert. Im Kino läuft zur Zeit «Elvis», die halluzinatorische Hommage von Baz Luhrmann an den toten König des Rock’n’Roll. Und gestern im Luzerner KKL spielte Nick Mason mit seinem exzellenten Quartett auf, der 78-jährige ehemalige Schlagzeuger von Pink Floyd.

Er nahm Schlagzeugstunden

Mason, einstiger Architekturstudent aus London, Liebhaber von Sportautos, geistreicher Biograf seiner Band und das einzige Mitglied von Pink Floyd, das an allen Aufnahmen und Konzerten beteiligt war, führte mit trockenem Humor durch den Abend. Er hatte sogar Schlagzeugstunden beim Zappa-Drummer Terry Bozzio genommen, um eine Idee zu verwirklichen, auf die einer seiner Mitmusiker gekommen war. Die fünf wollten Stücke von Pink Floyd aufführen, welche die Band in ihren frühen Jahren aufgenommen hatte, das heisst von 1967 bis 1972. Oder anders formuliert: In der Zeit, bevor die Engländer mit «Dark Side of the Moon» Avantgarde mit Mainstream versöhnten. Und in der Folge 45 Millionen Exemplare der Platte verkauften.

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Das von seinem Publikum dankbar gefeierte Luzerner Konzert kam deshalb so gut heraus, weil die Musik nicht nostalgisch klang, also als klingende Kapitulation, sondern auf beiläufige Weise gegenwärtig. Der deutsche Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit («Männerfantasien», «Das Lächeln der Täter») hat in einem Essay von der Intensität geschrieben, mit der sich die Musik einem als Kind lebenslang einbrennt. Aber die Musik im KKL löste nicht Erinnerung an die Kindheit oder Jugend aus, sondern sie machte die Gefühle von damals gegenwärtig. Es kam einem vor, als hörte man der Musik nicht nur an, wer man war, sondern wie man geworden ist; und was man noch alles mit sich machen kann. 

Und dann dieser Ton auf dem Klavier

Nick Masons Band mit Guy Pratt am Bass, Gary Kemp an der Gitarre und Vocals sowie zwei anderen befreundeten Musikern, spielte das Material kraftvoll und engagiert, zitierte dabei Stücke aus Alben wie «Meddle», «Atom Heart Mother» und die frühe Platte «A Saucerful of Secrets», nach der Mason die Band benannt hat. Dazu kamen ausgewählte Songs aus den Soundtrack-Alben «Obscured By Clouds» und «More», die beide unterschätzt blieben. Wohl weil sie das Pech hatten, verunglückte Hippie-Filme von Barbet Schroeder vertont zu haben.

Dafür brach Jubel aus im Saal, als die Menge diese eine, charakteristische Klaviernote klingen hörte, mit der Pink Floyd ihr Stück «Echoes» auf der zweiten Seite des «Meddle»-Albums eröffnen. Das ist jenes Stück, in dem Songschreiber Roger Waters mit der Zeile «And I am you and what I see is me» seine Themen der späteren Jahre anspricht, nämlich Egozentrik und Empathie. Nick Mason und seine Band führten «Echoes» als letztes Stück vor den Zugaben auf, es geriet zum Höhepunkt des Abends, zur hypnotischen Aufführung einer majestätisch schönen Musik, bei der man jeden Ton kannte und jede Zeile mitsang.

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Aber diese leuchtenden Melodien verdunkelten sich immer wieder, denn zwischendurch flackerte Angst auf. Und man bekam das Gefühl, das sich beim Lesen der Romane von Philip K. Dick (1928-1982) einstellt, dem psychotisch gewordenen Science-Fiction-Autor mit seinen verfilmten Büchern wie «Blade Runner», «Total Recall» oder «The Man in the High Castle»: Das Gefühl, als klappe der Boden unter einem auf, und man sähe ins All hinunter, verloren in der Kälte der Einsamkeit.

Er schluckte LSD wie Sugus

Genau das ist dem wichtigsten Autor der frühen Floyds passiert, ihrem Songschreiber, Gitarrist und Sänger Syd Barrett. Der hochbegabte Musiker aus Cambridge, der auch malen konnte, sehr gut aussah, offensichtlich intelligent war und bei allen beliebt, hatte die Band auf ihrem ersten Album «The Piper at the Gates of Dawn» dominiert; es gibt manche, die dieses Album bis heute für das beste dieser Gruppe halten. Sogar die Punks waren beeindruckt.

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Aber Barrett kiffte mehr, als ihm guttat, ausserdem schluckte er LSD wie Sugus. Und je mehr Drogen er nahm, desto mehr realisierten seine Freunde, dass er nicht nur sensibel war, sondern hochlabil: Barrett kam sich immer mehr abhanden, verlor das Interesse an der Musik, verlor den Verstand und glitt in eine Psychose. Er zog zu seiner Mutter zurück, nahm starke Medikamente und nahm stark zu. Er begann wieder zu malen, arbeitete im Garten und starb am 7. Juli 2006 an Krebs.

Das schon früh etwas mit ihm nicht stimmte, hörte man seinen Stücken an, die Mason und seine Band in Luzern aufführten. Realisierte es mit einer Offensichtlichkeit, die etwas Schockierendes hatte. Denn auf Platte oder als Singles klangen seine Stücke zwar eigenwillig, aber originell, niemand nahm den Terror wahr, der den Musiker bereits gefangen hielt.

Am Freitag im KKL wurde das beim vergleichenden Hören von Barretts Liedern und den späteren seiner Band auf dramatische Weise klar. Man hörte mehr heraus als blosse Skurrilität. Nahm bedrohlich wispernde Stimmen wahr, erlebte den Kampf um die Identität, hörte unberechenbare Melodien, jähe Rhythmuswechsel, gellende Gitarrenpassagen. Eine Unruhe war in diese Musik eingebaut.

«Eine Unruhe war in Syd Barretts Musik eingebaut. Er verlor die Kontrolle, das Bewusstsein und zuletzt den Verstand.»

«Neptune, Titan, stars can frighten», sang Syd Barrett über die Angst vor dem Planetarischen und verortete die Musik in den «icy waters underground», den eisigen Wassern des Unbewussten. Selbst auf «See Emily Play», der fast kindlichen Single, welche die Band in Luzern wie eine Ode an die Freude vortrug, passiert Unheimliches, und das von der ersten Zeilen weg: «Emily tries but misunderstands», eine Strophe weiter singt Barrett schon «You‘ll lose your mind and play», du verlierst spielend den Verstand. Mit «Lucifer Sam», schliesslich, Barretts Lied über die Katze des Teufels, kommt er auch nicht klar: «Black cat‘s something I can‘t explain».

Augen wie schwarze Löcher

Damals fand man das aufregend, denn Barrett sang und klang wie niemand sonst. Heute hört man solche Songs als Vorhof der psychischen Hölle, als eine Epilepsie der Seele. Und so kam es auch. Syd Barrett, der eine offensichtliche Prädisposition zur psychotischen Dekompensation hatte, destabilisierte sich über das LSD weiter, redete immer weniger, zuletzt stand er kataton auf der Bühne. Und spielte im Studio jeden Song in einer komplett anderen, von seinen Freunden nicht lernbaren Version. Er verlor den Anschluss an die Band und sie die Geduld mit ihrem Sänger. Pink Floyd holten ihren Freund David Gilmour an die Gitarre, gaben ihren Songwriter auf und machten mit Schuldgefühlen weiter.

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Acht Jahre später nahm das Quartett in den EMI-Studios an der Abbey Road sein Album «Wish You Were Here» auf, eine Platte der Absenz, der Leere zwischen den Musikern, das gesungene Eingeständnis einer kreativen Krise. Am längsten arbeiteten sie an der neunteiligen Suite «Shine on You Crazy Diamond», Roger Waters‘ Erinnerung an Syd Barrett, mit den Zeilen «Now there‘s a look in your eyes / Like black holes in the sky», deine Augen sind wie schwarze Löcher im Himmel.

Während einer Aufnahmepause betrat ein älterer Mann das Studio und wanderte darin herum, als kenne er es bereits, er war stark übergewichtig und kahl, sah sich alles an, sprach mit keinem und verliess das Studio wieder. Nick Mason, der Drummer fragte sich, wer das wohl sei. Roger Waters beugte sich zu ihm: herüber «Think!», wisperte er ihm zu. «Denk nach!»  Mason kam der Fremde bekannt vor, dabei kannte der sich selber nicht. Es war Syd Barrett.