Lesende fragen Peter SchneiderHat Kriminalität eine Nationalität?
Wenn man schon die Herkunft eines Täters nennt, sollte man dann auch seinen Zivilstand und sein Einkommen nennen? Unser Kolumnist antwortet.
Kürzlich habe ich in Ihrer Zeitung einen Beitrag über einen Jus-Studenten gelesen, der beim Bundesgericht Beschwerde gegen das Zürcher Polizeigesetz erhoben hat. Es schreibt vor, dass in den Pressemitteilungen der Kantonspolizei die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer angeführt werden muss. Die Regelung kam aufgrund einer SVP-Initiative zustande. Die Partei wollte, dass der «Migrationshintergrund» von Täterinnen und Opfern genannt werden müsse. Warum wird, wenn schon, nicht absolute Transparenz gefordert, also die Offenlegung sämtlicher mehr oder weniger aussagekräftigen Daten zu einer Person wie Einkommen, Bildungsabschluss, Zivilstand und so weiter? S.B.
Liebe Frau B.
Machen wir ein Gedankenexperiment und stellen uns die Schlagzeile «89-Jähriger überfährt Primarschülerin» vor. Vermutlich würde sich niemand beklagen, dass die Nationalität des alten Mannes nicht genannt wird. Das liegt daran, dass die Altersangabe schon die ganze Botschaft enthält: So alte Leute sollten nicht mehr Auto fahren.
So verfolgt jede adjektivische Spezifizierung einer Person einen bestimmten Zweck, nämlich zwischen einer Eigenschaft oder Gruppenangehörigkeit einer Person und einem bestimmten Verhalten einen statistischen Zusammenhang herzustellen. Die entsprechende Kategorisierung soll auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für X oder Y hinweisen.
Wenn man der Ansicht ist, Serben verübten häufiger innerfamiliäre Gewaltdelikte, dann wird man darauf drängen, dies auch durch ein entsprechendes Adjektiv abzubilden, also vom «serbischen Frauenmörder Z.» zu sprechen. Dabei steht «serbisch» allerdings nicht einfach für die Staatsangehörigkeit. Für die SVP ist es ja auch ein Problem, dass so viele Menschen aus Kulturen, die nicht zu «unserer» passen, eingebürgert werden und dadurch die Anzahl nur vordergründig schweizerischer Frauenmörder künstlich erhöht wird.
Hoffnungslos unterkomplex
«Serbisch» steht hier für ein ganzes Bündel von Eigenschaften, die mehr oder weniger bewusst mit diesem Adjektiv konnotiert werden.
Es ist eine statistische Binsenweisheit, dass eine hohe Korrelation keine Kausalität bedeutet. Vielleicht ist die serbische Nationalität eine falsche Fährte und eine bestimmte Kombination aus Bildungsabschluss, Alter und Einkommensklasse ist viel aussagekräftiger hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mann zum Frauenmörder wird.
Das ändert nichts daran, dass die meisten einfachen Kategorisierungen (Alter, Geschlecht, Nationalität), wie sie in Polizeimeldungen vorkommen, hoffnungslos unterkomplex sind gegenüber den Zusammenhängen, die sie «beweisen» sollen. Die grundsätzliche Nennung von Nationalitäten ist Ideologie, nicht der Verzicht darauf.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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