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Tipps für mehr digitale Achtsamkeit
«Das Handy ist nicht per se ein Teufelswerkzeug»

Karpi am Handy: Patrick Karpiczenko, kurz Karpi, hat eine sehr hohe Bildschirmzeit
Zürich, 8.7.2024
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Viele verbringen mehrere Stunden pro Tag am Handy – weil es Spass macht, Ablenkung bringt, nützlich ist oder weil man sich weniger einsam fühlt. Allerdings sind viele auch unzufrieden oder schämen sich, dass sie in ihrer Freizeit so exzessiv durch Instagram, Tiktok oder Facebook scrollen. Ihre Bildschirmzeit würden die meisten entsprechend niemals preisgeben – anders als diese neun Schweizer Prominenten (zum Artikel). Warum kommen wir so schlecht damit zurecht, wären Social-Media-Verbote sinnvoll und was ist der wichtigste Tipp? Die Expertin Anna Miller hat Antworten.

Wir haben über 50 bekannte Personen gebeten, ihre Bildschirmzeit mit uns zu teilen, aber die meisten fanden es zu privat oder peinlich. Warum?

Anna Miller: Ich kann nur mutmassen, aber Umfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Erwachsenen finden, sie seien zu oft am Handy und würden stattdessen lieber andere Dinge tun, wie Sport treiben oder ins Kino gehen. Dass wir uns anders verhalten, als wir wollen, obwohl wir es eigentlich besser wissen, erzeugt Spannung in uns. Und auch Scham.

Wollen wir denn tatsächlich weniger am Handy sein oder schämen wir uns bloss deswegen, weil es als verwerflich gilt? Ehrlich gesagt macht Instagram ja auch Spass.

Ab und zu ein bisschen Insta ist ja nicht der Punkt. Das Problem ist, dass unser Nervensystem sich nicht erholen kann, wenn wir stundenlang fremde Leben und Emotionen in uns reinlassen. Und es bleibt weniger Zeit für das, was wirklich wichtig für unser Glück ist: Bewegung, echte Begegnungen, etwas mit den Händen erschaffen. Wenn wir 150-mal am Tag Apps checken, stresst das unser System. Auch, weil soziale Medien sehr spezifisch unsere Trigger aktivieren, damit wir länger online bleiben und nicht mehr das tun, was wir eigentlich wollten.

Seit einigen Monaten wird intensiv über Smartphone- oder Social-Media-Verbote für Kinder und Jugendliche diskutiert. Da wir Erwachsenen es ebenfalls nicht im Griff haben: Wären Einschränkungen auch für uns sinnvoll?

Wir müssen auf jeden Fall darüber nachdenken, wie wir das Digitale und Analoge nachhaltig nutzen, damit wir ein besseres Leben führen können und nicht vom Wichtigen abgelenkt werden. Dazu braucht es ein neues Verständnis dafür, wie das Digitale uns schadet. Dann können wir neue, kreative Ansätze finden: beispielsweise separate Digital- und Begegnungszonen im Café schaffen, so wie früher die Raucher- und Nichtraucherzone. Oder dass als Experiment alle Social-Media-Plattformen am Wochenende einfach offline sind. Es geht darum, eine Balance zu finden.

Ist die Zeit am Handy denn wirklich so schlimm?

Nein, das Handy ist nicht per se ein Teufelswerkzeug. Wenn wir uns anschauen, wie wir die Onlinezeit verbringen, entfällt das meiste auf Kommunikations-Apps. Das ist nichts anderes als Beziehungspflege und Aufmerksamkeit geben und erhalten. Auf der Wetter- oder SBB-App allein verbringt ja niemand acht Stunden. Deshalb fällt es auch so schwer, das Ding mal ein paar Stunden wegzulegen. Wir haben Angst, dass digitale Abgrenzung negative Konsequenzen hat, beispielsweise im Beruf. Oder wir halten es kaum aus, mit uns allein zu sein. Dabei wären genau diese Offlinezeiten wichtige Pausen für unser Nervensystem.

Was ist der einfachste Trick, um seinen Handykonsum besser in den Griff zu bekommen?

Das Allerwichtigste ist, den Abstand zwischen dem Handy und dem Körper zu vergrössern, damit wir nicht ständig in Versuchung geraten. Würde ich dauernd ein Stück Schokoladenkuchen mit mir herumtragen, würde ich den ja auch früher oder später essen. Der zweite wichtige Punkt ist, sich zu fragen, was man gern tun würde, wenn man weniger am Handy wäre. Also was einem guttut und wovon man gern wieder mehr in seinem Leben hätte.

Sie haben erwähnt, dass mehr als die Hälfte der Erwachsenen gern weniger am Handy wären. Das heisst aber auch, dass fast die Hälfte gut damit umgehen kann.

Das glaube ich nicht. Ich kenne niemanden, der sagen würde: «Oh, ich habe das Handy verlegt und es zwei Tage nicht bemerkt.» Viele Menschen sind wegen der aktuellen Art, wie wir digital arbeiten und kommunizieren, sehr unter Druck. Checken ihre Mails schon vor Arbeitsbeginn, um die Sache irgendwie im Griff zu haben. Abgrenzung und gute Lebensführung mit genug Pausen und echten Erlebnissen sind ein zunehmendes Thema. Die Digitalisierung und ihr Umgang damit sind enorme Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, so gross wie der Klimawandel.

Es werden aber auch viele sagen, das Handy tut mir gut, ich wäre sonst einsam oder hätte meine Langeweile schlechter im Griff.

Natürlich ist die Digitalisierung auch positiv. Alle haben das Gefühl, es gehe um gut oder schlecht. Aber das ist nicht die Frage. Es ist wie bei der Ernährung. Wir müssen alle essen, die Frage ist bloss, was und wie oft. Die Digitalisierung ist eine Realität. Sie ist eine Grundstruktur unseres Lebens geworden, die wir ausgestalten müssen. Viele Leute haben aber das Gefühl, digitaler Stress, zunehmende soziale Vereinsamung und Abhängigkeit von digitalen Inhalten hätten nichts mit ihnen zu tun, sondern beträfen nur die Jungen. Aber das stimmt nicht. Wenn sich die intelligentesten und empathischsten Leute stundenlang irgendwelche Tiktok-Sachen von 16-Jährigen reinziehen, die 50-mal dasselbe Video aufgenommen haben, bis es perfekt war, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir unsere Zeit auf dieser Welt wirklich so verbringen wollen. Weil das Energie kostet. Und müde macht.